Aschermittwoch, LJ C (2022) zu: 2 Sam 12, 1.9-13 und Mt 6, 1-6.16-18
Vergebung und Buße
- Der König David, ausgerechnet der große Hoffnungsträger Gottes, sein Gesalbter, sein Statthalter in Jerusalem, hat schwer gesündigt. Nicht nur, dass er mit der Frau des Urija Ehebruch hatte, er hat dabei auch ganz offensichtlich, auch wenn die Bibel nur vage Andeutungen macht, dass es nicht ganz einvernehmlich gewesen sein könnte, mindestens seine Machtstellung ausgenutzt. Und, als der Ehebruch Folgen hatte, die Frau schwanger wurde, hat er einen teuflischen Plan ausgeheckt, um seine Schuld zu vertuschen: erst versucht er den Mann, den er aus dem Krieg holen lässt, irgendwie dazu zu bekommen, mit seiner Frau zu schlafen, um zu vertuschen, wer der Vater des Kindes ist. Und, als das nicht funktioniert, schreckt er nicht davor zurück, Urija bestialisch umbringen zu lassen: er stellt ihn an die vorderste Front im Krieg und befiehlt seinen Generäle, sich zurückzuziehen, so dass Urija plötzlich allein vor der feindlichen Schlachtreihe steht und fällt. Schlimmer geht nimmer: Ehebruch, Missbrauch, Vertuschung, Mord. Die Antwort Gottes haben wir eben gehört: es ist ein zorniger, tief enttäuschter Gott, der seinem König durch den Propheten Natan seine Schuld vor Augen hält und dem König schlimmstes Unheil androht: die eigenen Nachkommen werden sich gegen ihn erheben, das Schwert wird auf sein eigenes Haus zurückfallen, und noch viel mehr.
- Und genau so wird es kommen: das Kind, das David mit Batseba gezeugt hat, wird krank und stirbt, David versinkt in einer Depression. Als nächstes wird einer der anderen Söhne Davids Unzucht mit seiner Halbschwester haben, die er dazu brutal vergewaltigt. Detailgetreu berichtet die Bibel davon – es ist eine abscheuliche Geschichte. Darüber wiederum kommt es zum Zerwürfnis, ja zum Hass zwischen den Söhnen Davids, schließlich erhebt sich Abschalom und zettelt einen blutigen Aufstand gegen seinen Vater an, am Ende wird Abschalom entwürdigend getötet, nackt an einer Steineiche hängend. Die eine böse Tat des David zieht wie ein Rattenschwanz das Unheil hinter sich her, und es wird deutlich: das ist nicht einfach die gerechte Strafe eines zornigen Gottes; es ist vielmehr so: die Sünde verletzt die heilige Ordnung, die Gott eingerichtet hat und schafft einen Raum des Unheils, in dem jede Sünde neue Sünde gebiert. Es ist ein Teufelskreis. Die Botschaft der Bibel ist: Sünde ist niemals einfach nur Privatsache, jede Sünde löst eine Lawine aus, einen Strudel des Unheils, in den immer mehr Menschen hineingezogen werden. Aus diesem Strudel gibt es kein Entkommen.
- Als David bewusst wird, was er durch seinen Ehebruch ausgelöst hat, als ihm Gott all diese Konsequenzen vor Augen hält, begreift er mit einem Schlag. Das „Misere“, der 51. Psalm ist seine Antwort. Dieser Psalm ist in der Bibel überschrieben mit: „Psalm Davids, als der Prophet Natan zu ihm kam, nachdem er zu Batseba gegangen war“. Es sind ergreifende und erschütternde Worte, mit denen David um Erbarmen und Vergebung bittet: „Miserere, erbarme dich, Herr. Sei mir gnädig nach deiner Huld! Wasche mein Schuld von mir ab. Verwirf mich nicht von deinem Angesicht! Befrei mich von der Blutschuld!“ Und noch überraschender und bewegender ist die Antwort Gottes auf das Flehen des David. „Der HERR hat dir die Schuld vergeben. Du wirst nicht sterben!“
- Man bekommt fast Zorn, wenn man das liest: Das kann doch nicht wahr sein! So einfach ist es bei Gott? Da hat einer Ehebruch begangene, eine Familie entzweit, Missbrauch, Mord. Und dann genügen ein paar Worte der Zerknirschung und die Bitte: „Wasch mich rein von meiner Sünde!“ Und schon erteilt Gott den Persilschein: Alles wieder gut! Ja, so einfach ist es bei Gott: Wer wirklich seine Schuld einsieht, bekennt, voller Reue und Zerknirschung zu ihr steht, dem verzeiht Gott, ohne Wenn und Aber, ohne Bedingungen, ohne Vorleistung.
- Und Nein: ganz so einfach ist es natürlich nicht: Gott verzeiht die Schuld und ermöglicht einen Neuanfang. Aber die Folgen bleiben. Die Konsequenzen, wenn Sie so wollen, die Strafe muss David trotzdem tragen. Das gehört eben dazu. Denn die Strafe ist nicht eine willkürliche Bestrafung durch Gott, es ist die Konsequenz der Sünde. Es ist die Lawine, die die Sünde ausgelöst hat. Die Ordnung ist zerstört. Diese Ordnung wieder herzustellen, braucht mehr als die Verzeihung durch Gott.
- Das ist genau das, was sich in der Tradition des Bußsakramentes widerspiegelt. In der Beichte bekennt der Sünder seine Schuld, zeigt seine Reue. Und erhält von Gott die Zusage: „Ich spreche dich los von deinen Sünden! Deine Sünde ist dir vergeben!“ Dann aber bekommt der Pönitent eine Buße aufgetragen. Diese ist nicht sozusagen der Preis, die Bezahlung, die Gegenleistung für die Vergebung. Gott schenkt sein Erbarmen umsonst, gratis, aus reiner Gnade. Nein, die Buße ist der notwendige Versuch, das Unheil, das durch die eigene Sünde in die Welt gekommen ist, zu heilen, wieder gutzumachen, sofern es eben geht. Die aus dem Gleichgewicht geratene Ordnung wieder herzustellen, indem ich Gutes dem Bösen entgegensetze. Deshalb sollte die Buße der Schwere der Sünde entsprechen: je mehr Unheil in die Welt gekommen ist, desto mehr Gutes muss dem entgegengesetzt werden. Das wirkt auf uns heute manchmal sehr dinglich gedacht, als ob man das Böse in der Welt einfach durch Gutes aufwiegen könnte. Andererseits: wenn wir immer wieder die Erfahrung machen, dass alles Böse neues Böses nach sich zieht und weiteres Unheil schafft, fast wie ein Virus, der sich immer weiter ausbreitet, dann darf ich auch glauben, das auch das Gute weiteres Gutes nach sich zieht, dann gilt es, eine Atmosphäre des Heils zu schaffen, um die Sünde mehr und mehr einzudämmen. Oder um im Bild des Virus zu bleiben: gute Taten, das Bemühen um Menschlichkeit, Ehrlichkeit, Liebe ist wie eine Impfung, die die Welt und die Menschheit im besten Fall mehr und mehr immun macht gegen das Böse, das sich ausbreitet. Und vielleicht darf man diesen Vergleich sogar noch weiter ziehen: so wie die Impfung, wie wir mittlerweile wissen, gut helfen kann, damit die Folgen einer Infektion nicht zu schlimm werden, aber nicht hundertprozentig immun macht, so werden auch wir nie wirklich immun werden gegen das Böse und die Sünde. Wir können uns schützen, wir können dafür sorgen, dass wir nicht ganz so anfällig sind, wir können unsere Widerstandskraft gegen das Böse trainieren. Aber eine letzte Sicherheit gibt es nicht. Und es braucht immer wieder neue Impfungen und Booster.
- Die Fastenzeit ist die Einladung, ganz bewusst in diesen 40 Tagen gemeinsam beizutragen für eine Atmosphäre des Heils gegen alles Unheil, das durch unsere Sünden in die Welt gekommen ist. Die klassischen Übungen der Fastenzeit Fasten – Almosen geben – Gebet - wollen genau das: eine Atmosphäre des Heils, des Guten schaffen: durch Gebet, durch Teilen mit den Armen – Almosen geben – durch Fasten, also indem ich die Triebe und Gelüste meines eigenen Leibes in Zaum zu halten lerne. Genau darum geht es in der Fastenzeit: dem Unheil, dem Bösen in der Welt Gutes entgegenzusetzen, die Atmosphäre zu verändern.
- Dabei ist die Reihenfolge wichtig und immer gleich: Nach der Erkenntnis der eigenen Sünde und dessen, was angerichtet wurde, folgt die Reue und die Bitte um Vergebung, eben das große „Misere“. Dann erteilt Gott Verzeihung, Lossprechung, Vergebung – ganz umsonst, gratis. Ohne Bedingungen. Ohne Vorleistung. Einfach aus Liebe. Aber dann fängt für uns erst die eigentliche Aufgabe an: die Widergutmachung, die Buße, die Umkehr. Jetzt gilt es, den Schaden, der entstanden ist, so gut es geht wieder gutzumachen, auch im eigenen Herzen. Und uns zu immunisieren gegen neues Böse. Indem ich Gutes tue, indem ich die Armen, Schwachen, und Notleidenden in den Blick nehme. Indem ich mich immer neu in Gott und seinem Willen verankere. Und indem ich lerne, mich selbst, meine Leidenschaften, Triebe, das Böse in mir zu zügeln. Eben: Almosen geben, Fasten und Gebet, die drei klassischen Empfehlungen für die Bußzeit, die auch Jesus im heutigen Evangelium uns mit auf den Weg gibt.
- So lade ich Sie ein, dass wir auch in diesem Gottesdienst gemeinsam Gott um sein Erbarmen anrufen. Gemeinsam Gottes Vergebung erbitten. Und uns gemeinsam im Zeichen des Aschenkreuzes verpflichten zu Buße und Umkehr.