Christi Himmelfahrt, LJ B (2021) zu: Apg 1, 1-11
(Dom, 10:00 Uhr)
Der Jünger Jesu:
Ein „Hanns-guck-in-die-Luft“, der sieht, wo die Welt krank ist
- „Wenn der Hanns zur Schule ging – stets sein Blick zum Himmel ging. Nach den Dächern, Wolken, Schwalben – schaut er aufwärts, allenthalben. Vor die eigenen Füße dicht – Ja, da sah der Bursche nicht!“ Wahrscheinlich kennen die meisten von ihnen die Geschichte vom Hanns-guck-in-die-Luft“. Sie wird erzählt im berühmten „Struwwelpeter“, einer Sammlung mit Geschichten mit höchst pädagogischem Anspruch – jedenfalls nach dem Verständnis von Pädagogik Mitte des 19. Jahrhunderts. Ich habe als Kind diese Geschichten geliebt, ganz besonders die vom „Hanns-guck-in-die-Luft“. Heutzutage darf man diese Geschichten Kindern nicht mehr erzählen – sie könnten bleibende psychische Schäden davon tragen. Und politisch korrekt sind die Geschichten schon gar nicht, man denke nur an die Geschichte von den drei Knaben, die einen „Mohren“ verspotten – ich zitiere hier nur, ich würde das böse „M“-Wort sonst natürlich nicht in den Mund nehmen – und die am Ende vom Nikolaus in ein Tintenfass gestopft werden und noch viel schwärzer als der … als die „Person of Color“ durch die Welt ziehen mussten. Also alles für heutige Kinderohren höchstproblematisch. Aber nochmal: Ich - und ich denke, viele meiner Generation haben diese Geschichten geliebt. Die Geschichte vom Hanns-guck-in-die-Luft ganz besonders. Vielleicht, weil sie nicht ganz so brutal ausging: er fiel am Ende nur in den Fluss, wurde herausgefischt und stand da, triefend nass, und die Fische lachten ihn schallend aus. Aber vielleicht auch ein bisschen, weil ich mich mit diesem Hanns so gut identifizieren konnte. Ich war – und bin es manchmal auch heute noch – eben auch nicht selten so ein Hanns-guck-in-die-Luft, einer, der durch die Stadt rennt an den Leuten vorbei, ohne sie zu sehen, so sehr in Gedanken, ein Tagträumer manchmal. Das kann manchmal böse ausgehen – das ist die „Moral von der Geschicht‘“. Aber am Ende kann man auch drüber lachen, sogar die Fische. Als ganz so schlimm ist es nicht, ein Hanns-guck-in-die-Luft zu sein, ein Tagträumer, einer, der in den Himmel guckt statt vor die eigenen Füße.
- Heinrich Hoffmann hat mit diesen Geschichten Kinder vor Gefahren warnen wollen – zum Beispiel den Suppenkasper oder den Zappelphilipp, oder das Paulinchen, das mit den Zündhölzern spielt. Und vor allem erziehen wollen: zum Beispiel zu Menschen, die andere nicht wegen ihrer Hautfarbe diskriminieren –nur hätte er dabei halt das böse „M“-Wort besser nicht gesagt. Aber dass das böse sein könnte, konnte er Mitte des 19. Jahrhunderts wirklich noch nicht ahnen. Ganz ähnlich möchte auch der Verfasser der Apostelgeschichte die Jünger Jesu warnen: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da, und schaut zum Himmel empor?“ Die Welt verändert sich nicht, indem ihr Jesus hinterherschaut, der in den Himmel auffährt, der zum Vater heimkehrt. Schaut vor euch, auf den Weg, der jetzt vor euch liegt. Schaut auf den Auftrag, den Jesus euch mitgegeben hat. Und dieser Auftrag ist Sendung: „Geht hinaus in alle Welt, verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung!“ Und vertraut auf die Verheißung, die er euch mitgibt: „Ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch herabkommen wird“ – alle Kraft, die ihr braucht, um mein Werk fortzusetzen, um in meinem Namen Dämonen auszutreiben, Kranke zu heilen, kurz: die Welt zu heilen, zu heiligen.
- Wir, seine Jünger, wir die Christen, sollen seinen Weg fortsetzen, in seinem Namen weiter das Evangelium verkünden von einem Gott, der alle Menschen liebt, ja die ganze Schöpfung. Und wir sollen wie er selbst Boten dieser heilenden Liebe Gottes sein, dieser Leibe, die die Welt verwandeln kann. Das aber geht nur, wenn wir nicht einfach nur in den Himmel schauen. Das geht nicht, wenn die Kirche einen auf „Hanns-guck-in-die-Luft“ macht, wenn sie nur Jesus hinterhertrauert, den guten alten Zeiten, als alles noch so schön war und so vertraut. Dazu braucht es Aufbruch. Dazu muss ich mit beiden Füßen in der Welt stehen, muss sehen, wo diese Welt krank ist und Unheil. Muss den Mut haben, genau dorthin zu gehen und nicht nur hinter den vertrauten und schützenden Kirchenmauern schöne Gottesdienste zu feiern. Ich muss dorthin gehen, wo es krankt in der Welt, wo die Menschen leiden, wo Menschen nichts von Gott gehört haben, oder ihn vergessen haben. Rausgehen aus der Bequemlichkeit, dorthin, wo die Welt krank ist. Und dort Gottes Liebe verkünden. Das ist der Auftrag der Engel an die Männer von Galiläa, oder besser: der Auftrag, die Sendung Jesu, an die die Engel erinnern. Und dieser Sendung kommen wir nicht nach, wenn wir unverwandt Jesus nach zum Himmel schauen, wie Hanns-guck-in-die-Luft.
- Die Erzählung von Christi Himmelfahrt ist also auch eine Mahnung, mit beiden Füßen auf dem oft harten Boden der Tatsachen zu stehen, die Welt zu sehen und wahrzunehmen, wie sie nun einmal ist – und sie ist eben oft alles andere als eine heile Welt. Sie drängt uns zum Aufbruch – raus aus der Bequemlichkeit, dorthin wo es brennt in der Welt, dorthin, wo Menschen unsere Botschaft, die Liebe Gottes brauchen.
- Aber auch das andere ist wichtig: Kirche, wir Christen, dürfen auch den Himmel nicht aus dem Blick verlieren. Niemals. Hier spricht wieder der Hanns-guck-in-die-Luft in mir. Hier wäre aber auch die Bibel falsch verstanden: Es braucht auch den Blick zum Himmel: denn Himmelfahrt bedeutet eben auch: Durch Jesu Heimkehr zum Vater steht nun endgültig, unwiderruflich, der Himmel für uns offen. Wir schauen den geöffneten Himmel. Himmelfahrt bedeutet: in Jesus Christus ist nun eine Brücke geschlagen zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und den Menschen, eine Brücke, die bleibt, die niemand mehr abbrechen kann.
- Es braucht diese doppelte Perspektive, diese doppelte Blickrichtung: als Christen sind wir Menschen, die auf Jesus Christus schauen, die ihn niemals aus dem Blick, aus dem Herzen verlieren dürfen. Sonst hören wir auf, Christen zu sein. Aber es braucht genauso wesentlich den Blick vor unsere Füße, den Blick darauf, wo diese Welt krankt, den Blick auf die Menschen und was sie brauchen, wonach sie sich sehnen. Und die Bereitschaft, wie Jesus genau dorthin zu gehen, wo Not ist und Armut, Ungerechtigkeit, Krankheit und Leid. Ja, Himmelfahrt bedeutet auch: in uns will Jesus zu diesen Menschen gehen. Dort die Frohe Botschaft verkünden.
- Damit wir mit dieser doppelten Perspektive nicht – wie Hanns-guck-in-die-Luft – am Ende baden gehen, genau dafür ist uns der Heilige Geist verheißen und geschenkt: dieser Geist ist die Perspektive zum Himmel. Der Geist hält uns in der Verbindung mit diesem Jesus, der zum Himmel aufgefahren ist. Er ist uns ins Herz eingegossen, damit wir diese Perspektive, den Blick auf Jesus nie verlieren. Ja, dass er selbst immer bei uns ist. Und zugleich ist er es, der uns antreibt, immer wieder aufzubrechen, Jesu Weg weiterzugehen, hinauszugehen an die Ränder und allen die Frohe Botschaft zu verkünden, die Verwundeten zu verbinden, die Kranken zu heilen, die Darniederliegen aufzurichten.
- Beten wir in diesen Tagen um diesen Heiligen Geist, der uns wachrüttelt, dass wir nicht stehen bleiben und in den Himmel verträumt in den Himmel gucken, der uns antreibt, aufzubrechen, die Menschen, die Welt in ihrer Not wahrzunehmen, der den Blick unseres Herzens aber zugleich fest auf Jesus Christus und den Himmel gerichtet hält.