Schmuckband Kreuzgang

Christmette im Dom St. Peter zu Worms

Christmette 2023 10
Christmette 2023 10
Datum:
So. 24. Dez. 2023
Von:
Martina Bauer

Predigt von Prospt Tobias Schäfer und Impressionen

CHRISTMETTE 2023                                                                   zu: Jes 9, 1-11 und Lk 2, 1-14

 

„Herr, ich bin nicht würdig…“

 

  1. Es sind genau 74 Kilometer Luftlinie von Gaza-Stadt bis Betlehem. Kaum weiter als von hier nach Heidelberg oder Speyer, Mainz oder Frankfurt. 74 Kilometer nur zwischen absolutem Chaos, zerstörten und zerbombten Häusern, dem puren Grauen, und dem Stall, in dem Gott geboren wird. Ich weiß, dass jetzt vielleicht manch einer, wenigstens innerlich, die Augen verdreht und denkt: Muss der jetzt an Weihnachten, in der Heiligen Nacht, seine Predigt mit Krieg und Zerstörung anfangen? Schon wieder? – Denn im letzten Jahr war es der Ukrainekrieg, der ja auch immer noch tobt, festgefahren ist, ohne wirklich Hoffnung auf einen baldigen Frieden. Kann man nicht mal wenigstens an Weihnachten all das ausblenden, abschalten, einfach den Weihnachtsfrieden genießen? Ein paar Stunden, ein paar Tage wenigstens so tun als wäre heile Welt? All das Chaos holt uns schnell genug wieder ein.
  2. Nein, tut mir leid. Das geht nicht. So funktioniert Weihnachten nicht. Auch wenn uns die Werbung, wenn uns die ganzen Weihnachts-Hollywood-Schulzen seit Wochen genau das einreden wollen: Weihnachten ist kein „Heile-Welt-Fest“, alles Friede, Freude, Tannenduft und liebliche Engelschöre. Nein, Weihnachten ist das Fest, das uns zwingt, uns der Welt zu stellen, weil Gott sich ihr stellt. Gott kommt in diese Welt – nicht in eine herausgeputzte, heile Welt, sondern in genau diese Welt, wie sie ist. Mit all ihrer Härte, mit ihren Brüchen, mit Hunger und Elend, mit zerbrechenden Beziehungen, mit Mord und Totschlag, mit dem menschenverachtenden Terror, dem seit dem Holocaust schrecklichsten Massaker an Juden, das in Israel den Krieg ausgelöst hat, mit den Naturkatastrophen, Dürren und Überschwemmungen, die die immer dramatischere Klimaerwärmung auslöst. Und ich könnte die Liste noch endlos fortsetzen, bis auch dem letzten die Weihnachtsstimmung vergangen ist. Aber genau das ist Weihnachten, genau das macht die Größe dieses Festes aus, die Größe unseres Gottes: er wartet nicht darauf, bis wir es endlich geschafft haben, alle Probleme der Welt zu lösen, bis wir endlich Gerechtigkeit und Frieden auf der ganzen Welt geschafft haben. Dann würden wir noch ewig warten. Er kommt jetzt, mitten hinein in das Chaos dieser Welt. Nichts ist in Ordnung. Unterwegs, obdachlos, in einem zugigen, stinkenden Viehstall kommt er zur Welt.
  3. Die Liturgie der Kirche kennt unglaublich viele kleine Feinheiten, die wir kaum wahrnehmen, mit denen Sie uns genau diese unfassbare Liebe Gottes nahebringen will. Mir ist in diesem Jahr erstmals aufgefallen, dass die Adventszeit eröffnet wird mit einem Evangelium, das so gar nicht adventlich oder weihnachtlich ist. Am ersten Werktag in der Adventszeit wird immer die Geschichte vom Hauptmann von Kafarnaum verkündet: ein römischer Soldat, ein Heide, ein Ungläubiger. Er kommt zu Jesus, weil sein Diener krank, gelähmt, mit Schmerzen zuhause liegt. Am Ende wird Jesus den Diener heilen. Aber was hat das alles mit Advent, mit Einstimmung auf Weihnachten zu tun, habe ich mich gefragt? Warum hat die Liturgie ausgerechnet für den Einstieg in die Adventszeit ein solches Evangelium ausgewählt? Als Jesus mit dem Hauptmann gehen will, sagt er die berühmten Worte: „Herr, ich bin es nicht wert, dass Du mein Haus betrittst.“ Das ist es: Gott kommt zu uns, auch wenn wir nicht würdig sind, auch wenn unsere Welt ein einziges Chaos ist, auch mitten hinein in Krieg und Katastrophen, die großen wie auch die kleinen Katastrophen des alltäglichen Lebens: mitten da hinein kommt Gott. Er wartet nicht, bis wir alles aufgeräumt, geregelt, geordnet haben. Das ist Weihnachten.
  4. Nein, unsere Welt ist nicht würdig, dass Gott zu uns kommt. Wir sind es nicht. Auch nach bald vier Wochen Adventszeit, auch wenn wir uns noch so sehr bemühen, uns innerlich auf Weihnachten vorzubereiten, unser Herz vorzubereiten: nie wird diese Welt, wird unser Leben, unser Herz wirklich vorbereitet sein. Und doch kommt der Herr. Demütig und bescheiden in diesem Kind in der Krippe. Mitten hinein in das Chaos dieser Welt. Und was für die große Welt gilt, gilt genauso für unsere kleine Welt. Wir können uns noch so sehr bemühen, wirklich Weihnachtsstimmung zu schaffen. Immer wird es in letzter Minute noch Streit geben. Oder Einsamkeit. Oder Enttäuschung. Oder es erfährt jemand kurz vor dem Fest von einer schweren Krankheit. Und auch der Tod macht kein Weihnachtsmoratorium – auch vor und in den Festtagen sterben Menschen, die uns viel bedeuten. Eine „heile Welt“, in der wir Weihnachten als romantisch-idyllisches Friedensfest feiern könnten, gibt es nicht.
  5. Herr, ich bin nicht würdig“ – beten wir in jeder Messe. Und das gilt auch im Blick auf Weihnachten: „Herr, wir sind nicht würdig, diese Welt ist nicht würdig für deine Ankunft!“ Aber davon lässt sich Gott nicht aufhalten. Er kommt, mitten in das Elend dieser Welt. Er kommt mitten in der Nacht, in die Nacht dieser Welt hinein. Er wartet nicht, bis alles hell ist und glänzt.
  6. Aber wenn das alles wäre, dann wäre Weihnachten ein armseliges Fest. Nein, Gott kommt, um uns in dieser Chaos-Welt eine Hoffnung zu schenken, eine Verheißung. Die Engel über der Krippe fassen diese Verheißung ins Wort: „Heute ist euch der Retter geboren! Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden!“ In diesem Kind erfüllen sich die uralten Verheißungen, die Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Frieden, nach Leben in Fülle, nach einer Welt ohne Leid. Die Hirten haben das als erste begriffen: Was in dieser Nacht geschieht, das will der Menschheit neue Hoffnung schenken: „Welt ging verloren – Christ ist geboren: Freue dich oh Christenheit!“ Nicht ist schlimmer, wie wenn wir die Hoffnung verlieren. Nichts ist schlimmer, wie wenn Menschen sagen: „Es ändert sich ja doch nichts mehr! Die Welt ist wie sie ist, und weil die Menschen nicht dazu lernen, ist die Welt dem Untergang geweiht!“ Das ist genauso schlimm, wie an Weihnachten einfach für ein paar Tage auf „heile Welt“ zu machen, indem man die Realität einfach ausblendet und verdrängt.
  7. Nein, Gott hat die Hoffnung, seinen Glauben an die Menschheit noch nicht verloren. Deshalb kommt er in die Welt. Dieses Kind in der Krippe macht den Unterschied: in diesem Kind zeigt Gott, dass er die Welt nicht aufgegeben hat. Er zeigt, wie sehr er diese Menschen liebt, wie sehr er seine Welt liebt, auch wenn sie seiner Liebe oft so wenig würdig erscheint. Gottes Liebe macht den Unterscheid. Diese Liebe, die in dem Kind in der Krippe aufscheint, hat die Kraft, alles zu ändern. Wenn wir uns mit dieser Liebe anstecken lassen, wenn wir sie im Herzen tragen, dann brauchen wir das Chaos, das Leid, das Schlimme in der Welt nicht zu verdrängen. Dann haben wir eine Hoffnung, die gegen all das ein entschiedenes: „Mit Gott!“ setzt. Mit Gott glauben wir, dass sich diese Welt verändern lässt. Mit Gott glauben wir, dass Friede wirklich möglich ist. Mit Gott glauben wir, dass die Menschen miteinander im Frieden leben können, dass auch für Gaza, für Israel, für die Ukraine Frieden möglich wird. Mit Gott glauben wir, dass wir Menschen eine gerechte Welt für alle schaffen können. Mit Gott glauben wir, dass unser Planet Zukunft hat und wir gemeinsam auch die Klimaprobleme in den Griff bekommen können. Dieses Kind in der Krippe ist der Grund für unsere Hoffnung. Eine geerdete Hoffnung, die die Welt sieht, wie sie ist, ohne zu verzweifeln. Die aber auch Hoffnung hat, dass sich etwas ändern lässt. Mit Gott!
  8. Ich wünsche Ihnen allen von Herzen, dass Weihnachten, dass dieses Weihnachten in uns die Hoffnung neu entfacht: Die Welt ist nicht dem Untergang geweiht. Weil Gott mit uns ist. Weil er Mensch geworden ist. Amen.

Christmette 2023

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