Schmuckband Kreuzgang

Feierliche Schlussvesper am Tag des Großen Gebetes

Feierliche Schlussvesper (c) Martina Bauer
Feierliche Schlussvesper
Datum:
So. 30. Jan. 2022
Von:
Martina Bauer

Jesus - Brückenbauer

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Predigt

GROSSES GEBET 2022                                                                                  zu: Gen 28, 11-17

(Schlussvesper)                                                                                                                             

 

Jesus - Brückenbauer

 

  1. Die Ingenieurskunst des Menschen spannt mit Drahtseilen oder kühnsten Konstruktionen Brücken über die weitesten Flüsse und Abgründe. Aber eine Brücke zum Mitmensch gelingt uns nur schwer. Ein Brief kann heute innerhalb von 24 Stunden die entlegensten Kontinente erreichen, aber ein heilendes oder versöhnendes Wort zum Nachbarn, in dem man in Streit lebt oder den man verletzt hat, kann manchmal Jahre dauern.“ Auf dieses Zitat bin ich dieser Tage gestoßen. Ja, Es ist nicht leicht, die Abgründe und Spaltungen zwischen den Menschen zu überbrücken. Und wie unendlich viel schwerer ist eine wirkliche Brücke zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und den Menschen. Die Jakobsleiter, von der wir eben gehört haben, die wie eine Brücke ist zwischen Himmel und Erde, die scheint eben am Ende doch nur ein Traum.
  2. Mehr als 3.000 Autobahnbrücken in Deutschland sind in maroder Verfassung, schlägt die Autobahn GmbH Alarm. Was passiert, wenn von heute auf morgen eine Brücke gesperrt werden muss, weil sie sich gesenkt hat oder einsturzgefährdet ist, davon kann man nicht nur in Ludwigshafen oder rund um die Schiersteiner Brücke zwischen Mainz und Wiesbaden ein Lied singen. Kilometerlange Staus, lange Umwege, blockierte Straßen.
  3. Auch die Kirche versteht sich als Brücke, als Mittlerin zwischen Gott und den Menschen, als Brücke zwischen Himmel und Erde. Wie marode diese Brücke ist, ist in den letzten Jahren durch die zahllosen Skandale offenkundig geworden – und vielleicht noch einmal brutal deutlich durch das Münchener Gutachten belegt, das mehrere Kardinäle und selbst einen ehemaligen Papst belastet. Für viele Menschen, auch innerhalb der Kirche, ist diese Kirche, die repräsentiert wird von so belasteten Bischöfen und Würdenträgern, so durchsetzt von Missbrauchstätern und Kinderschändern, keine tragfähige Verbindung mehr zum Himmel. Das ist erschütternd.
  4. Als ich für unser Großes Gebet das Thema ausgewählt hatte – „Jesus – Brückenbauer“ – ging es mir eigentlich um etwas anderes. Ich habe an die immer tiefere Kluft in unserer Gesellschaft gedacht, die nicht zuletzt durch Corona aufgerissen wird. An die Unversöhnlichkeit, mit der Meinungen, Überzeugungen, Ideologien aufeinanderprallen. Und dachte, es muss doch jetzt unsere Aufgabe als Kirche sein, zu versöhnen, Brücken zu schlagen, um die Abgründe zu überbrücken. Heute, nur vier Wochen später, denke ich: Wer nimmt uns denn als Kirche noch ernst als Instanz, die Gräben überbrücken, die versöhnen kann? Ist die Kirche nicht wie eine marode Brücke, die massiv einsturzgefährdet ist, ja die längst schon bröckelt? Und der keiner mehr, der einigermaßen bei Verstand ist, vertraut, dass sie trägt? Wäre es vielleicht verantwortungsbewusster, die Kirche dicht zu machen, abzusperren wie eine einsturzgefährdete Brücke, bis sie so grundlegend renoviert ist, dass sie wieder tragen kann? Wenn sie überhaupt noch zu reparieren ist und nicht abgerissen und von Grund auf neu errichtet werden muss.
  5. Mich beschäftigt das alles in den letzten Wochen und Tagen sehr und nimmt mich auch sehr mit. Wie geht es weiter mit unserer Kirche? Wie kann es uns momentan als Kirche überhaupt noch gelingen, Menschen zu erreichen, geschweige denn, eine Brücke zu schlagen zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und den Menschen? Haben wir nicht jegliche Glaubwürdigkeit, jeden Vertrauenskredit gründlich verspielt? Es ist wirklich zum Verzweifeln.
  6. Vor etlichen Wochen, noch lange vor den jüngsten Ereignissen, habe ich etwas erlebt, was mich emotional tief berührt hat. Da hat mich ein Mann, den ich überhaupt nicht kannte, ein älterer Herr, auf dem Weg vom Pfarrhaus zum Dom auf dem Platz der Partnerschaft angesprochen und aus heiterem Himmel angefangen, mich wüst den ganzen Weg über zu beschimpfen; die Ausdrücke, die er mir hinterhergerufen hat, kann man hier im Dom nicht wiederholen, aber sie hatten alle mit Missbrauch von Kindern zu tun. Ich war an eine Szene im Alten Testament erinnert, als König David von einem Mann namens Schimi übelst beschimpft wird. Als seine Männer den Angreifer stoppen wollen, hält er sie zurück mit den Worten: „Wenn er flucht und wenn der HERR ihm gesagt hat: Verfluch David!, wer darf dann sagen: Warum tut er das? Sicher hat der HERR es ihm geboten.“ (2 Sam 16,10ff) Ja, vielleicht müssen wir all das jetzt ertragen, weil wir als Kirche Schuld auf uns geladen haben. Schwere Schuld. Vielleicht trägt die Häme, der Abscheu, der sich über die katholische Kirche insgesamt momentan ergießt, eben auch zu einer Reinigung und Heilung bei, weil sie unser falsches Selbstbild von der makellosen Kirche, der hehren Brücke zwischen Himmel und Erde zerbricht und zerstört, vielleicht will uns Gott so wieder zu einer echten, aufrichtigen Demut führen. Wohin all diese kläglichen Versuche, sich selbst zu entschuldigen, sich herauszuwinden, führen, das erleben wir ja momentan. Vielleicht ist die Zeit, einfach einmal demütig zu ertragen, was sich nicht zuletzt in den Opfern des Missbrauchs über Jahrzehnte an Wut, Verzweiflung, Ohnmacht angestaut hat und was sich da jetzt Bahn bricht und über uns ausgegossen wird. Unabhängig, ob ich persönlich Schuld auf mich geladen habe, oder Verantwortung trage für das Vertuschungsdesaster oder nicht. Vielleicht, um es mit König David zu sagen, haben wir es ja als Kirche einfach um der Opfer willen in den Augen Gottes verdient und es ist Gott selbst, der auch uns auf diese Weise heilen will. Natürlich stehe ich als Priester auch für diese Kirche. Und natürlich spüren im Moment alle, die sich zur Kirche bekennen, wie sehr wir alle gemeinsam in Haftung genommen werden. Vielleicht ist das, was wir da momentan erleben, ein notwendiger Prozess, um die maroden Teile der einsturzgefährdeten Brücke erst einmal einzureißen, abzureißen, damit Neues, Tragfähiges entstehen kann.
  7. Ein zweiter Gedanke: „Jesus - Brückenbauer!“ Jesus ist nicht nur die Brücke, er ist auch der Brückenbauer. Und an diesem Punkt stimmt es dann doch, dass wir als Kirche eben auch Brücke sind, Brücke sein sollen. Wir sind gleichsam das Baumaterial, die lebendigen Steine, aus denen Christus die Brücke baut, die Himmel und Erde verbindet, die Menschen einen Zugang schafft zu Gott. Theologisch gesprochen ist es das sakramentale Verständnis von Kirche, das hier zum Tragen kommt. Kirche ist eben mehr als ein Verein, der die an Christus Glaubenden irgendwie organisiert. Kirche ist, wie es Paulus sagt, der Leib Christi, und wir alle sind Glieder dieses Leibes. Kirche ist, so sagt es das Konzil, gleichsam ein Sakrament, also eine Art, in der Christus sich selbst, seine Liebe zu den Menschen vergegenwärtigen will. Aber das sind wir nicht aus uns, weil wir so gut, so moralisch perfekt, so besonders fromm und gottgefällig wären. Wir sind alle genauso Sünder, anfällige, versuchbare Menschen wie alle. Wir sind nicht die Vermittler der Heilsgnade Gottes, schon gar nicht die Wächter über seine Gnadengaben, die entscheiden, wer würdig ist und wer nicht. Wir sind Werkzeuge, durch die Gott seine Gnade den Menschen zukommen lassen möchte. Kirche ist Zeichen und Werkzeug, um Menschen mit Gott zu verbinden, sagt das Konzil (vgl. LG 1). Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Es ist Christus, der das Heil schafft. Unsere Aufgabe, unsere Berufung ist es, den Menschen einen Zugang zu Christus zu schaffen, sie mit ihm in Verbindung zu bringen, eben: Brücke zu sein. Auch das ist, recht verstanden, ein sehr demütiger Dienst: Auf einer Brücke wird im buchstäblichen Sinn herumgetrampelt, muss herum getrampelt werden, und je mehr, umso mehr erfüllt sie ihre Aufgabe. Manchmal habe ich den Eindruck, die Kirche spielt sich heute eher als Zöllner auf, der den Zugang zur Brücke kontrolliert und bewacht, der bestimmt und entscheidet, wer herüber darf und wer nicht: „Alle Gebote gehalten? Du darfst rüber! Geschieden und wiederverheiratet? Stopp, kein Zutritt! Schwul, lesbisch und gar noch in einer Beziehung? Keine Chance!“ Das aber ist doch das Gegenteil davon, eine Brücke zu sein, Menschen mit Christus in Berührung zu bringen. Wir müssen uns wieder auf unsere Berufung besinnen. Wir sind nicht die Heilswächter, wir sollen Brücke sein.
  8. Wie kann es weiter gehen, was ist die Perspektive? Eine marode, nicht mehr tragfähige Brücke muss saniert werden. Alles andere wäre fahrlässig. Alles, was nicht trägt, muss abgerissen und abgetragen werden, bis auf das tragfähige stabile Fundament, auf dem Christus, der Brückenbauer, wieder Neues aufbauen kann. Das ist ein schmerzlicher Prozess, und dass wir d uns noch viele Jahre begleiten. Wir sind in der Phase des Rückbaus, des Abrisses. Das hat gerade erst angefangen. Aber es gibt keine Alternative. Was mir manchmal Angst macht, ist, dass ich noch nicht sehe, dass wir wirklich an dem Punkt sind, wo wir begreifen, dass Christus der Brückenbauer ist und nicht wir selbst. Wir haben längst schon die Pläne in der Tasche, wie die neue Brücke aussehen sollte. Und da prallen ganz unterschiedliche Pläne und Vorstellungen aufeinander. Aber immer sind es am Ende unsere Pläne, es ist soll eine Brücke nach unseren Vorstellungen werden. Mir fehlt auf allen Seiten die Demut, mit der wir zunächst einmal den notwendigen Abriss und Rückbau angehen. Und dass wir uns Zeit nehmen, auf Christus zu schauen, gemeinsam auf ihn zu schauen, den Brückenbauer, gemeinsam hinzuhören, wie er seine Brücke will. Das braucht Zeit, das braucht Demut, das braucht auch die Bereitschaft, die eigenen Vorstellungen kritisch zu hinterfragen, ja, hier und da auch zerstören zu lassen, damit am Ende wirklich wachsen und entstehen kann, was Gott will.
  9. Am Großen Gebet heute stand den ganzen Tag in der Monstranz Christus auf dem Altar, uns ausgesetzt, uns zugewandt. Die Monstranz mit dem Leib des Herrn: Das ist die feste Zusage: „Ich bin da! Ich bin mit dir, wohin du auch gehst!“ Egal, wie lang, wie schmerzlich, wie beschwerlich der Weg noch sein mag, der vor uns liegt; egal, wie viel vielleicht noch zerstört und abgebaut werden muss: „Ich bin da! Ich gehe mit euch!“, sagt Christus. Und: „Egal, wie sehr diese meinen Kirche auch schuldig geworden ist, versagt hat, wie viel noch in Trümmern fallen muss: Ich werde euch wieder aufbauen zu einer neuen, tragfähigen Brücke!“ Denn die Menschen brauchen eine Brücke, die ihnen den Zugang zum Himmel ermöglicht.