Festliches Hochamt in der Martinskirche mit anschließendem Martinsgansessen im Martinushaus
Lesen Sie hier die Predigt von Propst Tobias Schäfer:
27. Sonntag, LJ B (11.11.2018)
(St. Martin, Patrozinium 2018) zu: Mt 25, 31-40
Kirche des Teilens werden…
- Eigentlich haben wir ein völlig falsches Bild vom heiligen Martin. Für uns ist er der liebe, populäre Heilige, der mit dem armen, frierenden Bettler seinen Mantel teilte. Symbol des barmherzigen Teilens. Und mehr nicht. Aber der historische Martin war viel mehr: er war ein Revoluzzer seiner Zeit. Einer, der die Kirche aufmischte. Der viel mehr mit seinem mehr als 1000 Jahre später, am Vorabend seines Gedenktages geborenen Namensvetter Martin Luther gemeinsam hatte als nur den Namen. Er war einer, der für eine grundlegende Reform in der Kirche eingetreten ist. Für eine arme Kirche. Und der deshalb bei vielen aneckte – beim Kaiser, bei den anderen Bischöfen, auch bei vielen im Kirchenvolk.
- „Eine Kirche des Teilens werden“, so hat unser Bischof den Bistumsweg überschrieben, den Prozess der Neuausrichtung im Blick auf die stark zurückgehenden Zahlen von Priestern, von Hauptamtlichen, aber auch von Kirchgängern, von Ehrenamtlichen, ja und nicht zuletzt auch von Finanzmitteln. Und er hat den heiligen Martin gleichsam als Patron für diesen Weg gewählt. Ich glaube, es hat noch kaum einer so richtig begriffen, wieviel Sprengstoff darin liegt, ausgerechnet Martin zum Patron für diese Neuausrichtung zu machen. Denn auch hier klingt das ja auf den ersten Blick ganz nett: eben ein bisschen so wie unsre hübschen Martins- und Laternenumzüge: ein wenig Teilen, ein mehr bisschen Barmherzigkeit und Liebe hier und da, aber sonst bleibt alles beim Alten.
- Die Zeit des heiligen Martin war für die Kirche die Zeit eines radikalen Umbruchs. Die Zeit der großen Christenverfolgungen schien vorbei. Mit Kaiser Konstantin und seinem Toleranzedikt galt Religionsfreiheit im Reich, das Christentum wurde schnell zur privilegierten Religion. Die Bischöfe und der Klerus, die eben noch um ihr Leben fürchten mussten, wurden nun offiziell Staatsbeamte, auch so bezahlt, mit all den Privilegien im römischen Reich. Der Kaiser schenkte den Bischöfen Ländereien und Paläste. Der Papst in Rom, der sich eben noch verstecken musste, residierte nun im Lateran, einem ehemals kaiserlichen Palast. Die Bischöfe waren wichtige Ratgeber des Kaisers und bei Hof – in großen Synoden wurden die Bischöfe zusammengerufen und berieten alle wichtigen Fragen des Glaubens und der Politik. Und jetzt, wo alles scheinbar so gut läuft für die gerade noch verfolgte und unterdrückte Kirche, jetzt, wo man auch Geld hat, schöne und große Kirchen bauen kann, jetzt kommt so ein Querulant wir der Bischof Martin, und beschimpft die Bischöfe, die plötzlich zur vornehmen Gesellschaft gehören, wo sie doch eigentlich an der Seite der Armen stehen müssten. Er weigert sich demonstrativ, in den Bischofspalast zu ziehen, wohnt stattdessen vor der Stadt in einigen Höhlen, die er zusammen mit ein paar Gefährten als Einsiedelei und Kloster nutzt. Er stellt sich immer wieder auf die Seite der Armen, der Schwachen, der Verfolgten. Gegen den zusammen mit dem Kaiser gefassten Beschluss einer ganzen Bischofssynode in Trier tritt er für eine sektiererische Gruppe ein – nicht weil er deren abweichenden Glauben unterstützt, sondern weil er ihnen barmherzig begegnen und sie so zur Umkehr bewegen will. Er verweigert den Friedensgruß mit den anderen Bischöfen und der Kaiser muss ihn mit fast erpresserischen Methoden wieder zum Friedensschluss zwingen – indem er droht, die Ketzer allesamt sofort umbringen zu lassen, wenn Martin nicht mit den anderen Bischöfen den Friedensgruß austauscht.
- Sie merken: das ist ein ganz anderer Martin, als nur der softe, liebe Mantelteiler. Das ist einer, der Kirche gestalten will, und der dazu auch keinem Konflikt aus dem Weg geht. Genau das macht ihn in meinen Augen tatsächlich zu einem hervorragenden Patron für die Umgestaltungsprozesse in der Kirche, vor denen wir stehen.
- „Kirche des Teilens“, das meint eben nicht bloß, dass wir ein wenig von unserem Reichtum abgegeben, dass wir ein bisschen umstrukturieren, damit aber im Grunde alles so weitergehen kann wie bisher. Es meint, dass wir in noch viel radikalerem Maß als bisher alles Teilen müssen: den Pfarrer, die Hauptamtlichen, die Kirchen und Pfarrheime. Der Bischof hat bereits ein paar deutliche Eckpunkte benannt: am Ende des Prozesses sollen aus den heute noch etwa 300 Pfarreien 60 geworden sein. Das bedeutet pro Dekanat maximal 2 höchstens 3 Pfarreien. Gleichzeit aber sagt der Bischof auch: Pfarrei ist letztlich nur die Verwaltungseinheit. Das Leben wird sich auch weiterhin in zahlreichen kleinen Gemeinden abspielen. Aber christliche Gemeinde ist dann eben nicht mehr, wo ein Pfarrer ist – denn so viele Pfarrer wird es einfach nicht mehr geben – oder wo Hauptamtliche sind – denn auch deren Zahl geht ja dramatisch zurück – sondern Gemeinde wird dort lebendig sein, wo Menschen ihr Leben, ihren Glauben miteinander teilen. Wo sich Menschen selbst einbringen, weil ihnen der Glaube, das Evangelium wichtig ist. Es geht eben nicht bloß um eine Anpassung der Verwaltungsstrukturen an die personellen und finanziellen Ressourcen, die wir künftig noch haben. Es geht vor allem und zuerst um eine Veränderung der Grundhaltung. Kirche sind wir nicht für uns selbst. Kirche ist kein Selbstzweck. Sie ist nicht dafür da, dass wir, die wir noch zum Gottesdienst kommen, uns gut fühlen. Kirche ist dafür da, dass wir herausgehen, vor die Tore der Stadt, um dort den Armen zu begegnen, denen, denen es dreckig geht. So wie Martin. Dem Bettler ist er nicht in seinem Bischofspalast begegnet, sondern draußen, vor der Stadt. Deshalb: wir müssen uns mehr interessieren, was die Menschen draußen brauchen – und nicht zuerst, was wir für uns gern hätten, wie wir gern unsere Gemeinde hätten, unsere Gottesdienste, unsere Pfarrfeste, unsere Pfarrheime. unsere Pfarrer und Hauptamtlichen. Wir müssen rausgehen in die Straßen der Stadt. Deshalb bewegt mich die Lichterprozession hier in St. Martin jedes Jahr: weil wir, wenn wir hier durch die Untere Kämmererstraße ziehen, genau den Menschen begegnen, für die wir uns interessieren müssten, die uns aber meisten ratlos, verständnislos, manchmal belustigt, manchmal staunend hinterherschauen. Hier spürt man, wie weit wir als Kirche oft von den Menschen entfernt sind. Da muss Neuausrichtung ansetzen. Der Bischof hat es treffend formuliert. Im Grunde müssen wir alles in unseren Gemeinden unter zwei Fragestellungen prüfen: „Was brauchen die Menschen?“ Und: „Geben wir ihnen das, was sie wirklich brauchen?“ Wichtig dabei: „Die Menschen“ sind eben nicht zuerst wir, die wir hier sitzen. Auch, aber eben nicht zuerst. Es sind die in der Unteren Kämmererstraße. Es sind die Bettler draußen vor den Toren der Stadt. Es sind die, die eben längst nicht mehr da sind und die wir manchmal gar nicht mehr im Blick haben.
- Das ist zugleich die Chance, die im Bistumsprozesses liegt: dass wir unseren Blick öffnen, weiten, unsere Grundhaltung verändern. Und genau hier kann uns der Hl. Martin ein wunderbarer Patron sein: der uns zeigt, was wir in dem ganzen Prozess auch gewinnen können. Wir begegnen Christus! Denn das ist ja die eigentliche Pointe in der Geschichte vom Hl. Martin: in dem armen draußen vor der Stadt: da begegnet uns Christus. Es ist ja eine gefährliche Tendenz unserer Zeit, dass wir meinen, an erster Stelle müssen unsere eigenen Bedürfnisse sehen zu: America first! Deutschland first! Unsere Gemeinde first! Nein: Christus begegnet uns zuerst im anderen: „Was ihr einem der geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!“ Das ist die große Gefahr, die der Hl. Martin in der Kirche seiner Zeit sah: wenn wir satt und selbstgenügsam werden, wenn wir nur noch uns selbst sehen, dann verlieren wir Christus! Vielleicht ist der Bistumsprozess, der Weg zu einer Kirche des Teilens unsere Chance, umso intensiver Christus neu zu entdecken – in unseren Gemeinden – und in den Menschen draußen an den Toren der Stadt. Amen.