- Sonntag, LJ A: zu: 1 Kor 1,26-31 und Mt 5, 1-12a
„Der Verstand verstummt beklommen, nur das Herz begreift‘s allein“
- Manches ist schon verrückt, was wir Christen so glauben: dass Gott Mensch wird, nicht mal eben so, als eine Art Verkleidung oder Erscheinungsweise, wie der alte Zeus mal als Stier, mal als Schwan auf Erden wandelte, sondern richtig Mensch wird, mit Fleisch und Blut, und dass einfach nur, weil er uns Menschen liebt: einfach unglaublich. Dass dieser Jesus wirklich von den Toten auferstanden ist; nicht zum Schein, nicht als Halluzination, nicht irgendwie symbolisch, sondern wirklich zu einem neuen, ewigen Leben auferstanden ist; und dass wir genauso auferstehen werden nach unseren Tod: nicht zu fassen. Oder dass Gott, der große, unfassbare, allmächtige Gott in einem winzigen Stück Brot ist, wirklich und mit Fleisch und Blut gegenwärtig ist; dass er sich von uns essen lässt, damit wir ihn, seine Liebe buchstäblich verinnerlichen: zu verrückt, als dass man sich so etwas ausdenken könnte. Nein wirklich: unser christlicher Glaube ist schon ziemlich verrückt.
- Kein Wunder, dass Menschen zu allen Zeiten, aber in unseren Breiten besonders seit der Aufklärung, so ihre Probleme mit dem Glauben haben. Glaube ist was für die Dummen, haben im 19. Jahrhundert die Wissenschaftsgläubigen gesagt. Wahr ist nur, was mit den Methoden der Wissenschaft und nach den Naturgesetzen nachgewiesen werden kann. Wissenschaft ist Wahrheit, Glaube ist bloß Mythos. Gott sei eine Art Lückenbüßer für all das, was die Wissenschaft noch nicht erklären kann; aber mit dem Fortschritt der Wissenschaft werde der Glaube und das Christentum verschwinden, ohne noch eine Frage hinterlassen zu haben, so August Comte, einer der großen Vertreter dieser Denkrichtung. Glaube ist nur was für die Dummen, deutlicher kann man es gar nicht sagen.
- Ja, sagt heute Paulus in seinem Brief an die Korinther, genau so ist es! der Glaube ist etwas für die Dummen, die Törichten, die Schwachen. Aber nicht, weil die es nicht besser wissen, sondern weil Gott genau die ausgewählt hat: die verstehen nämlich besser, tiefer, leidenschaftlicher, was Gott will. Denn das Christentum ist nicht zuerst ein System, um die Welt besser zu verstehen, ein philosophisches Denkgebäude für gescheite Köpfe; Jesus hat keine Lehre hinterlassen wie ein Platon oder ein Aristoteles. Er hat sich nicht hingesetzt, und einen theologischen Traktat verfasst oder einen Katechismus zusammengestellt. Er hat einfach aus dem Herzen gesprochen und den Menschen zu vermitteln versucht, wie sehr Gott uns liebt. Dass wir ihm nicht gleichgültig sind, dass sich Gott für die Menschen interessiert, und zwar besonders für die Armen, die Trauernden, die Hungernden, die Bedrängten – die Seligpreisungen sind ein gutes Beispiel dafür. Das ist keine Lehre, auch kein Manifest zu einer sozialen Revolution. Es ist die Frohe Botschaft von einem Gott, der das Elend der Kleinen sieht, dem es nicht egal ist, der sich kümmert. Das Christentum ist keine abstrakte Lehre, kein theologisches System. Es ist Frohbotschaft – Evangelium. Und diese Frohe Botschaft lautet zusammengefasst: Gott hat euch lieb. Er sieht euch. Er will euch mit seiner Liebe nahe sein. Und genau deshalb können die einfachen Menschen, die Kleinen, die nicht so Verkopften diese Botschaft einfach besser verstehen. Christentum geht nicht über den Kopf, sondern über das Herz.
- Nicht, dass das Christentum unvernünftig wäre – dann könnte man ja die ganze Theologie in die Tonne klopfen. Aber Theologie ist nicht dafür da, Glaubenserfahrungen mit naturwissenschaftlichen Methoden zu erklären, sondern dafür, die Botschaft Jesu, die Botschaft der Bibel immer besser zu verstehen, zu deuten; es geht darum, deutlich zu machen, dass es eben nicht unvernünftig ist, an diesen Gott und seine verrückte Liebe zu uns Menschen zu glauben. Im Gegenteil. Aber eben auch sich selbst und die Möglichkeiten des Verstandes zu relativieren, ins rechte Verhältnis zu setzen zu dem so viel größeren Gott, den wir nie ganz verstehen werden.
- Mich hat als Student immer ein Bild unglaublich fasziniert. In der Mainzer Seminarkirche, die ja ursprünglich eine Klosterkirche der Augustiner-Eremiten war, gibt es ein prachtvolles barockes Deckengemälde, dass das Leben des Hl. Augustinus beschreibt: einer der ganz großen Theologen und Kirchenlehrer der frühen Kirche. Ein unfassbar gebildeterer Denker, ein Philosoph, ein brillanter Geist. Sein Anliegen war es, den Glauben wirklich zu erklären, Gott zu verstehen. Das Deckengemälde zeigt an einer Seite einen Traum des Hl. Augustinus: da sitzt ein kleines Kind am Meeresstrand und spielt mit einem Löffel. Es versucht, das Meer auszulöffeln und in eine kleine Kuhle zu schöpfen. Im Traum versucht Augustinus dem Kind zu erklären, dass das nicht funktionieren kann, dass es niemals das riesige, unerschöpfliche Meer mit dem kleinen Löffelchen ausschöpfen kann. „Siehst du,“ antwortet das Kind. „und du versuchst den unfassbar großen Gott und seine Liebe mit deinem kleinen Verstand zu begreifen! Das kann genauso wenig funktionieren!“
- Als Theologiestudent hat mich dieses Bild immer getröstet, wenn ich manches nicht verstanden habe. Es ist aber mehr als ein Trost für die Dummen, denen die Theologie Karl Rahners mit seinen verschachtelten Sätzen nicht in den Kopf gehen wollte. Es ist eine Geschichte, die uns Demut lehren will. Eigentlich genau das, was Paulus den Korinthern ins Stammbuch schreibt. Natürlich sollen wir alle versuchen, Gott und seine Frohe Botschaft immer besser zu verstehen, zu verinnerlichen. Aber eben immer im Wissen, dass dieser Gott soviel größer ist als unser Verstand; dass keiner von uns je mit Gewissheit sagen kann: „So ist Gott und nicht anders!“ Gott ist immer größer. Er ist immer anders, als wir ihn uns ausdenken.
- Diese Einsicht könnte uns auch helfen in all unserem Ringen um den rechten Weg für die Kirche, in all den Kämpfen und Streiten um Reformen, Veränderungen, Bewahren von Traditionen, um synodalen Weg. Mich schockiert manchmal die Schärfe, mit der hier gestritten wird. Und mich erschreckt die oft überhebliche Selbstgewissheit, mit der jede Seite, ob Reformer, ob die Wahrer der Tradition, davon überzeugt sind, dass nur ihr Weg der richtige, der gottgewollte sein kann; dass die Kirche dem Untergang geweiht ist, wenn sich die anderen durchsetzen. Mich erschreckt, dass keine Seite auch nur annimmt, dass sie sich vielleicht irren könnte. Das Weise, das Starke, man könnte ergänzen: das so völlig von sich und der eigenen Meinung Überzeugte, sagt Paulus, das macht Gott zuschanden. Weil Gott größer ist, weil keiner von uns die Erkenntnis Gottes und seines Willens mit Löffeln gefressen hat.
- Und dann komme ich wieder zu dem, was ich am Anfang gesagt habe: es geht doch letztlich nicht darum, dass wir Recht haben, dass wir genau wissen, was Gott will. Es geht darum, dass wir im Herzen spüren, dass es um die Liebe geht. Dass diese Liebe Gottes uns verwandeln möchte, und durch uns die Welt verwandeln will.
- Wir begehen den Tag des Großen Gebetes. Im Zentrum, im Mittelpunkt steht die Monstranz mit der Eucharistie, mit dem kleinen Stück Brot, von dem uns Jesus sagt: „Das ist mein Leib! Das bin ich! Nehmt und esst!“ Das ist nicht zu verstehen, nicht zu erklären, mit dem Verstand nicht zu begreifen: ein Gott, der sich so klein macht, der sich uns zur Speise gibt, den wir in uns aufnehmen, verinnerlichen. Und der uns so verwandeln möchte. In diesem Sakrament berührt uns Gott so unmittelbar mit seiner Liebe, will uns stärken, verwandeln. Das kann ich nicht einfach erklären, das geht nicht über den Kopf. Das geht direkt ins Herz.
- Eine ähnliche Erfahrung wie der Hl. Augustinus hat übrigens ein anderer heller Kopf des Mittelalters gemacht: der Hl. Thomas von Aquin, dessen Gedenktag gestern war: Dominikaner, der unbestritten größte Theologe und Denker seiner Zeit, der mit der „Summa Theologiae“ und in seinen „Quaestiones“ den christlichen Glauben messerscharf und umfassend erklärt hat. Am Ende seines Lebens habe er eine Art mystischer Erfahrung gehabt, ein eigenartiges Ereignis. Von diesem Moment an habe er nichts mehr geschrieben; alles, was er vorher geschrieben hatte, schien ihm wie Stroh und Spreu. Von ihm stammen die zwei wahrscheinlich tiefsten Hymnen, Gesänge auf die heilige Eucharistie: „Gottheit tief verborgen…“ und das „Pange, lingua“, ein Lied, das an keinem Fronleichnam, keinem Großen Gebet fehlen darf, dessen letzte Strophen, das „Tantum ergo“, vor jedem Sakramentalen Segen gesungen werden. In einem Vers dieses Liedes fasst Thomas, der wie kein anderer versucht hat, theologisch zu erklären, wie Wandlung, wie die Eucharistie zu verstehen ist, zusammen, was ich in dieser wieder mal viel zu langen Predigt versucht habe zu sagen, dass es nämlich am Ende nicht darauf ankommt, es im Kopf zu verstehen, sondern sich von Gottes Liebe berühren zu lassen: „Gott ist nah in diesem Zeichen – kniet hin und betet an. Mahl der Liebe ohnegleichen, nehmt im Glauben teil daran. Der Verstand verstummt beklommen – nur das Herz begreift’s allein!“