GRÜNDONNERSTAG LJ B 01.04.2021
(Corona 2) zu: Joh 13, 1-15
Gründonnerstag fällt aus !?
- Zum zweiten Mal feiern wir Gründonnerstag und Ostern unter Corona-Bedingungen. Im letzten Jahr durften gar keine öffentlichen Gottesdienste stattfinden. Wir standen hier allein am Altar, der Kaplan, Pfr. Wagner, der Diakon und ich. Die indischen Schwestern waren noch dabei, stellvertretend für die ganze Gemeinde, die zuhause bleiben musste. Lockdown eins. Keiner hätte wohl damals gedacht, dass Corona auch noch in diesem Jahr ein Thema sein würde, vielleicht sogar noch dramatischer als damals. Auch dieses Jahr wurde diskutiert, ob die Ostergottesdienste überhaupt stattfinden können, sollen. Als dringende Bitte hatte die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten es formuliert: die Kirchen sollten doch auf Präsenzgottesdienste über Ostern verzichten. Wir haben uns anders entschieden – in aller Vorsicht und Verantwortung. Wir feiern nun unsere Ostergottesdienste mit maximal 80 Personen im riesigen Weit des Domes, ohne Gesang, mit großem Abstand. Aber ich weiß natürlich, dass viele sich auch bewusst entschieden haben, zu Hause zu bleiben. Andere haben einfach keinen Platz mehr bekommen und müssen zuhause bleiben, oder vielleicht über Videostream mitfeiern.
- Dabei: wenn man aufgrund von Corona schon einen Gottesdienst absagen sollte oder müsste, dann doch zu allererst den Gründonnerstags-Gottesdienst. Denn fast alles, was diesen Gottesdienst ausmacht, fast alles, was den Gründonnerstag, die Erinnerung an das Letzte Abendmahl Jesu prägt, ist unter Corona-Bedingungen eigentlich unmöglich. Das Letzte Abendmahl ist das tiefste Zeichen der Nähe und Verbundenheit, das Jesus uns, seiner Kirche, seinen Jüngern hinterlässt und aufträgt: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ Jetzt aber ist genau das Gegenteil: nämlich Abstand, freiwillige Isolation, Quarantäne, Distanz angesagt. Wenn also ein Fest so gar nicht „corona-kompatibel“ ist, so gar nicht in diese Corona-Zeit passt, dann der Gründonnerstag.
- Das Letzte Abendmahl ist ein Fest der Gemeinschaft, der Begegnung. Im Zentrum steht ein gemeinsames Festmahl – das jüdische „Seder-Mahl“ im Kontext des Paschafestes. Es geht um die Erinnerung des Volkes Israel an den Auszug aus Ägypten, an die Befreiung aus der Sklaverei. Diese von Gott geschenkte Freiheit feiern die Israeliten Jahr für Jahr mit dem Pascha-Fest, in dem sie gemeinsam ein Festmahl feiern, mit dem geschlachteten Pascha-Lamm, und sich gegenseitig erinnern an die Befreiung aus Ägypten.
- Schon an diesem Punkt stellt sich die Frage: Passt das Fest in diese Zeit? Immer mehr Menschen empfinden die Einschränkungen als unverhältnismäßig, demonstrieren für Freiheit: für die Befreiung aus der Knechtschaft durch Corona-Verordnungen und Allgemeinverfügungen, für die Befreiung von Mundschutz und Ausgangssperren. Ist es nicht zynisch, ein Fest der dankbaren Erinnerung an Befreiung zu feiern, wo sich so viele Menschen gefangen fühlen, eingeschränkt in ihren Freiheitsrechten, geknechtet durch eine mit der Situation überforderte Regierung? Aber vielleicht braucht es ja gerade in dieser Zeit, in einer solchen Situation die Erinnerung daran, dass Gott uns längst befreit hat, dass er sein Volk immer wieder befreit. Wenn die frommen Juden Pascha feiern, dann erinnern sie sich gegenseitig daran, dass Gott nicht nur damals, zur Zeit Mose sein Volk befreit hat aus Ägypten, sondern dass er uns immer neu, jeden Tag neu befreit. Dass er auch heute zu uns steht, bei uns ist. Und dass auch damals die Befreiung ein mühsamer, langer Weg war, der viel Geduld und Ausdauer erforderte: 40 Jahre durch die Wüste.
- Jesus feiert dieses Pascha in der Nacht vor seinem Leiden und Sterben als ein großes Gemeinschaftsmahl. Auch das klingt irgendwie anachronistisch in einer Zeit, in der alle Gastronomie geschlossen ist, man sich nicht gegenseitig einladen und miteinander essen darf, jedenfalls nicht mehr als 5 Personen aus maximal 2 Hausständen. Bei Jesus waren es 12 Gäste, die er eingeladen hat, die zwölf Apostel, 12 Hausstände. Und bevor jetzt ganz Oberschlaue diskutieren wollen, dass die Zwölf ja die ganze Zeit schon mit ihm unterwegs waren, und deshalb durchaus als ein Hausstand durchgehen können: was Jesus mit der Zwölfzahl zeigen möchte, ist ja gerade, dass diese Mahlgemeinschaft viel größer ist als erlaubt. Die Zwölf stehen symbolisch für die 12 Stämme Israels: das ganze Gottesvolk sitzt hier am Tisch, soll damit gesagt werden. Jesus erinnert an die uralte Verheißung aus dem Buch des Propheten Jesaja vom endzeitlichen Festmahl, zu dem alle Stämme und Völker nach Jerusalem, zum Berg Zion pilgern: aus allen Himmelsrichtungen, aus alten Völkern und Sprachen kommen sie zusammen und halten gemeinsam Mahl. Dass der Abendmahlssaal als Ort, an dem sich Jesus damals mit seinen Jüngern versammelt hat, auf dem höchsten Punkt des dem Tempel gegenüberliegenden Zionsberg liegt, unterstreicht diese Symbolik. Es geht um eine Gemeinschaft, die viel, viel größer ist, als man es sich vorstellen kann, erst recht viel größer als es Corona-Verordnungen je erlauben würden: alle Welt kommt hier zusammen zum Mahl. Alle teilen dasselbe Brot, trinken aus demselben Kelch. Mehr Gemeinschaft geht nicht. Passt also Gründonnerstag in Corona-Zeiten, oder sollte man ihn nicht doch besser absagen, ausfallen lassen?
- Und schließlich das andere große Zeichen vom Letzten Abendmahl: die Fußwaschung: Jesus bückt sich, wäscht seinen Jüngern die Füße. „Körpernahe Dienstleistungen“, heißt das in der Terminologie der Corona-Verordnungen. Höchst kritisch! Und doch so wichtig, dass es hier zumindest einige Ausnahmen gibt: denken wir an Krankenpflege, die Altenpflegerinnen und Altenpfleger, Sozialstationen und so fort. Gründonnerstag, Abendmahl geht nicht ohne Berührung! Weil Liebe nicht ohne Berührung geht. Und hier, geht es um Liebe, das sagt das Evangelium unmissverständlich: „Da er die Seinen liebte, die in der Welt waren, liebte er sie bis zur Vollendung!“ Und: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe!“ Christsein geht nicht ohne Berührung: ohne dass wir uns von den Sorgen, Nöten, Bedürfnissen, Ängsten, Freuden unserer Mitmenschen berühren lassen, ohne dass wir wie Jesus die Ärmel hochkrempeln um anzupacken, wo es Not tut.
- Deswegen: Corona hin oder her: wir können Gründonnerstag nicht ausfallen lassen! Denn hier geht es ums Eingemachte! Hier geht es um den zentralen Kern unseres Glaubens: Es geht um Gemeinschaft: eine Gemeinschaft, die Gott schenkt, die größer ist als zwei Hausstände, größer als engster Familienkreis, größer als die Freunde, die wir uns aussuchen. Es geht um eine Gemeinschaft, die Gott zusammenruft, und zwar eine, die alle Grenzen sprengt: aus allen Völkern und Sprachen, aus allen Himmelsrichtungen, politischen Richtungen, Meinungen, von erzkonservativ bis Revoluzzer: Jesus versammelt alle um seinen Tisch. Und es geht um Befreiung: eine Befreiung die mehr ist als nur, keine Masken tragen zu müssen oder endlich wieder in den Urlaub fliegen oder ins Gasthaus gehen dürfen. Es geht um Freiheit von Sünde, Egoismus, Selbstsucht; ja letztlich um Freiheit vom Tod. Und schließlich: es geht um körpernahe Dienstleistungen; es geht ums Anpacken, wo Not ist, es geht darum, füreinander da zu sein, einander zu dienen, selbstlos, vorbehaltlos, aus Liebe. So wie es Jesus uns vorgemacht hat.
- Deshalb können, deshalb dürfen wir - Corona hin oder her - Gründonnerstag nicht ausfallen lassen. Vor allem aber geht es um einen Gott, der sich uns schenkt. Der sich und sein Leben dahingibt, um uns Gemeinschaft zu ermöglichen. Der sich hingibt, um uns aus Sünde, dem Gefangensein in uns selbst, um uns vom Tod zu befreien. Der sich uns zur Speise gibt, um uns so, indem wir seine Hingabe buchstäblich verinnerlichen, zu verwandeln, der uns zu Menschen machen will, die wie er einander dienen und füreinander da sind.
- Dieses „Füreinander da sein“ ist im Übrigen gerade in diesen Corona-Zeiten notwendiger denn je: dass wir aufeinander achten; eigene Bedürfnisse auch einmal zurückstellen um die zu schützen, die so viel gefährdeter und anfälliger sind. Und deshalb: Nein, Gründonnerstag darf nicht ausfallen! Wir brauchen diese Gemeinschaft mit Gott und untereinander gerade jetzt mehr denn je.