Schmuckband Kreuzgang

Karfreitag

Karfreitag17 (c) Martina Bauer
Karfreitag17
Datum:
Fr. 2. Apr. 2021
Von:
Martina Bauer

aus dem Wormser Dom

 

 

 

 

Youtube

 

 

KARFREITAG 2021                                                                                                   02.04.2021

zu: Jes, 52, 13-53,12

 

Im Kreuz offenbart sich der Gott,

der radikal die Opferperspektive einnimmt

 

  1. Vor knapp zwei Wochen wurde das bereits im Vorfeld viel diskutierte, lange herbeigesehnte Kölner Missbrauchsgutachten veröffentlicht. Ein erstes Gutachten hatte der Kölner Kardinal nicht veröffentlichen lassen, weil mehrere juristische Gutachten zu dem Schluss kamen, dass es nicht rechtsicher sei. Sofort wurde gemutmaßt, dass der Kardinal etwas vertuschen will. Nun endlich ist das neue Gutachten veröffentlicht. Es zählt minutiös, in sachlich-juristischem Ton alle Dienstvergehen von Verantwortlichen, auch den schon Verstorbenen auf. Ein amtierender Erzbischof, zwei Weihbischöfe, der oberste Kirchenrichter sind bereits als Konsequenz zurückgetreten bzw. von Ihren Ämtern entbunden worden. Das zunächst zurückgehaltene Gutachten wurde mittlerweile auch offen gelegt und konnte von Journalisten eingesehen werden. Und trotzdem reißen die Diskussionen nicht ab. Der Vorwurf jetzt: das Kölner Gutachten sei viel zu juristisch-korrekt; das werde dem Leid der Opfer nicht gerecht. Die moralische Bewertung fehle. Und vor allem: Die Opferperspektive.
  2. Ja, in der Tat: ein juristisches Gutachten kann nicht die Opferperspektive einnehmen. Es muss ja objektiv, also von außen betrachtet, nüchtern, allein auf die Sache bezogen argumentieren. Das ist die Perspektive und der Auftrag des Juristen. Und gerade in der Missbrauchsdebatte wird immer deutlicher: die kirchlich Verantwortlichen haben viel zu lange, viel zu sehr nur einen falsch verstandenen Schutz der Institution Kirche im Blick gehabt; und viel zu wenig, ja möglicherweise gar nicht die Perspektive derer, die Opfer von Missbrauch in der Kirche und durch Geistliche geworden sind. Sie haben zu wenig gefragt, was das mit den Menschen, Kindern, Jugendlichen macht, wie tief, wie bleibend die Wunden und Verletzungen sind. So sehr eigentlich jedem vernünftig denkenden Menschen klar ist, dass ein juristisches Gutachten nicht die Opferperspektive einnehmen kann, so sehr spürt jeder: gerade im Blick auf Kirche genügt es nicht, einfach sachlich und juristisch die Sachverhalte zu betrachten und zu Von Kirche wird – zu Recht - erwartet, dass sie zuerst und vor allem die Opferperspektive einnimmt, und zwar radikal. Kirche muss sich klar und kompromisslos auf die Seite der Opfer stellen. Weil der Gott an den wir glauben, sich radikal und unmissverständlich auf die Seite der Opfer gestellt hat.
  3. Zweites Schlaglicht: wenige Tage vor der Veröffentlichung des Kölner Gutachtens hat die Vatikanische Glaubenskongregation ein Schreiben veröffentlicht, das weltweit, aber vor allem in den westlichen Ländern großes Aufsehen erregt hat. Als „Responsum ad dubium“, also Antwort auf eine Anfrage, einen Zweifel, stellt die Glaubenskongregation lapidar fest: Die Katholische Kirche habe keine Vollmacht die Beziehung von gleichgeschlechtlichen Menschen zu segnen. Homosexuelle Menschen, aber auch Transgender, Transsexuelle, fühlen sich von der Kirche seit langem an den Rand gedrängt. Immer noch sprechen auch innerhalb der Kirche nicht wenige davon, dass Homosexualität „dem Herrn ein Gräuel“ sei und berufen sich dabei, völlig zu Unrecht, auf die Bibel. Zwar hat die katholische Kirche 1991 mit der Veröffentlichung ihres Weltkatechismus ihre Lehre dahin gehend geändert, dass ausdrücklich gesagt wird: Homosexualität ist keine selbst gewählte Veranlagung, deshalb muss auch homosexuellen Menschen mit Achtung und Respekt begegnet werden und sie dürfen nicht zurückgesetzt, diskriminiert oder ausgegrenzt werden. Deshalb stellt auch die Glaubenskongregation ganz richtig fest, dass selbstverständlich auch homosexuell empfindende Menschen gesegnet werden dürfen; aber eben nicht ihre Liebe oder gar ihre Beziehung. Objektiv und nüchtern-sachlich betrachtet ist das keine Diskriminierung von Homosexuellen, sagt die katholische Kirche. Dass diese Unterscheidung von den Betroffenen aber als Ausgrenzung und massive Diskriminierung empfunden wird, kann man in Rom gar nicht verstehen. Auch hier ist das Problem: es gelingt einfach nicht, die Opferperspektive einzunehmen; die Sichtweise derer, die betroffen sind, die sich ausgegrenzt fühlen. Und das ist fatal: denn es ist geradezu der Kern unseres Glaubens, dass da ein Gott ist, der Mensch geworden ist, um die Opferperspektive einzunehmen. Wir glauben nicht an einen sachlich-nüchterne Gott, der eindeutig definieren würde, was Sünde ist und was nicht, sondern an einen, der radikal parteilich ist.
  4. Dieser Gott, der in Jesus Christus Mensch geworden ist, steht eben nicht auf der Seite der Schriftgelehrten, der Pharisäer, derer, die Gottes Wort und die Heiligen Schrift in- und auswendig kennen, die genau zu wissen meinen, was gut und was böse, wer gerecht und wer Sünder ist. Dieser Jesus steht auf der Seite der Sünder, der Ausgestoßenen, der Schwachen, Verletzen, der Opfer eben. Auch wenn er damit Anstoß erregt bei den Frommen seiner Zeit, auch wenn sie ihn selbst beschimpfen und diffamieren: „Dieser Fresser und Säufer, dieser Freund von Zöllnern und Huren!“
  5. Wie weit Gott in seine Parteilichkeit geht, wie weit damit, radikal die Opferperspektive einzunehmen, wird am Karfreitag deutlich. In Jesus Christus solidarisiert und identifiziert sich Gott so sehr mit den Opfern, dass er selbst als Sünder, als Opferlamm verurteilt, geschäht, geschlagen verspottet wird. Und schließlich ans Kreuz geschlagen und getötet. „Er hat unsere Krankheiten getragen, und unsere Schmerzen auf sich geladen. Er wurde durchbohrt wegen unserer Vergehen, wegen unserer Sünden zermalmt. Er wurde bedrängt und misshandelt. Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt, so tat er seinen Mund nicht auf.“ Weil Gott sich ganz und radikal auf die Seite der Opfer stellt, die Opferperspektive einnimmt, deswegen ist das Kreuz kein Betriebsunfall um Heilsplan Gottes, nicht das Scheitern der göttlichen Sendung. Im Gegenteil: Genau dafür ist Gott in diese Welt gekommen. Und wenn wir am Karfreitag das Kreuz vor Augen gestellt bekommen, wenn wir auf Christus, als den Geschundenen, den Geschähten, das Opfer schauen, dann sehen wir, wie sehr Gott auf der Seite der Opfer steht.
  6. Die Kirche ist nicht entstanden trotz der Kreuzes, im Gegenteil: sie ist auf Golgotha gegründet. Deshalb kann sie überhaupt nur Kirche Jesu Christi sein, wenn sie dem Kreuz nicht ausweicht, wenn sie es wirklich und radikal annimmt, indem sie wie Jesus ganz auf der Seite der Ausgrenzten, der Sünder, der Kranken, der Verletzten, der Ausgestoßenen, der Opfer steht. Kirche ist nur Kirche des Gekreuzigten, wenn sie ganz und vorbehaltlos auf der Seite der Schwulen und Lesben, der Geschiedenen und Wiederverheirateten, der Flüchtlinge und Ausländer, der Obdachlosen und Suchtkranken, der Einsamen und Gescheiterten, der Frauen, und so fort steht. Die Liste wäre endlos fortzusetzen. Auch wenn Gott, gerade im Zeichen des Kreuzes, auch den Tätern seine Liebe und Vergebung anbietet: er steht doch unmissverständlich auf der Seite der Opfer.
  7. Der Karfreitag ist nicht Endstation. Es ist die konsequente Fortsetzung des Weges der Solidarität mit den Opfern. Dieser Weg führt zu Ostern. An Ostern dürfen wie neu feiern, dass am Ende das Leben siegt, dass am Ende an Gottes unfassbarer Liebe zu uns Menschen selbst der Tod zerbricht. Wenn wir also heute vor dem Kreuz unser Knie beugen, dann beugen wir in Demut und Reue unser Knie vor allen, die im Laufe der Geschichte zu Opfern geworden sind – auch durch uns, seine Kirche, Menschen, die sich Christen nennen. Wir beugen unser Knie vor dem Kreuz und vor Christus, vor dem Gott, der die Opferperspektive angenommen hat, um so am Ende alle Täter in die Knie zu zwingen, alle verwundeten Herzen zu heilen und dem Leben zum Sieg zu verhelfen.

Karfreitag

30 Bilder