Jes 35, 1-6b.10 / Jak 5, 7-10 / Mt 11,2-11
(Frett. & Dom 10:00)
Noch manche Nacht wird fallen….
- Die heutigen Texte sind ein wahres Wechselbad der Gefühle, ein Auf und Ab. Da ist die grandiose Vision aus dem Buch des Propheten Jesaja von der Wüste, die jubelt und jauchzt, und aufblüht. „Die Wüste wird blühen“, sagt er, „Sie wird jauchzen, ja jauchzen und jubeln!“ Gerechtigkeit wird aufgerichtet, die Augen der Blinden werden geöffnet; die Ohren der Tauben hören wieder, der Lahme springt wie ein Hirsch und die Zunge des Stummen jubelt! Es ist ein einziges großes Freudenfest, alles blüht auf, wenn der Herr kommt, „Kummer und Seufzen entfliehen!“ Das ist „Gaudete“, ein einziger Jubel!
- Und dann kommt der Absturz, die Enttäuschung. In der 2. Lesung klingt sie deutlich heraus: Der Herr ist zwar gekommen, klar, aber so schnell verwandelt sich die Welt dann doch nicht in den blühenden Garten. Im Gegenteil: die junge Gemeinde macht die Erfahrung von Verfolgung von außen, aber auch von Machtkämpfen und Streitigkeiten im Innern, soziale Unterschiede von reichen Gemeindemitgliedern und Armen erschweren das gemeindliche Leben. Die Welt ist eben noch längst nicht die heile Welt, wie sie in der Jesaja-Vision aufscheint, auch nicht innerhalb der christlichen Gemeinden am Ende des ersten Jahrhunderts. Der Verfasser des Jakobusbriefes ruft zu Geduld auf und Ausdauer: „Macht eure Herzen stark“, sagt er; Die Saat ist schon ausgesät, aber es dauert eben noch, bis sie wächst und am Ende auch Früchte bringt. Es ist ein Durchhalteappell: „Haltet geduldig aus, bis zur Ankunft des Herrn!“ – bis zu jener zweiten Ankunft, seiner Wiederkunft, wenn er alles zur Vollendung führt.
- Und dann das Evangelium: Auch hier spürt man die Enttäuschung nach der anfänglichen Euphorie, nach dem großen, begeisterten Aufbruch am Anfang. Johannes der Täufer, dem die Menschen zu Tausenden zugelaufen sind, der flammende, mitreißende Predigten gehalten hat, er liegt jetzt von Selbstzweifeln zerfressen im Verließ des Herodes. So spektakulär und aufsehenerregend seine Bewegung war: nach seiner Verhaftung ist alles ganz schnell zusammengebrochen. Hat er aufs falsche Pferd gesetzt? War seine Überzeugung von der Ankunft des Messias, der alles neu macht, der das Friedensreich anbrechen lässt, eine Utopie? In dieser Situation schickt er Boten aus dem Gefängnis zu Jesus und lässt ihn ganz direkt fragen: „Bist du es wirklich? Oder habe ich mich getäuscht?“
- Die Antwort Jesu ist scheinbar ausweichend und doch für Johannes und die, die die alten Schriften und Verheißungen kennen, so direkt, wie es nur geht: „Berichtet dem Johannes, was ihr seht!“, sagt Jesus. „Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören. Tote stehen auf und den Armen wird das Evangelium verkündet!“ Genau das hat Jesaja verkündet und verheißen, wenn der Messias kommt. Genau das verheißt Jesaja in seiner Vision, wenn der Messias kommt. Und genau das geschieht jetzt. „Ja!“, bedeutet diese Antwort: „Der Messias ist gekommen. Ja, ich bin es!“
- (Ein interessantes Detail: in der uralten Jesaja-Verheißung vom Gesalbten des Herrn, dem Messias (Jes 61) verkündet der Christus den Armen die Frohe Botschaft, heilt alle, die gebrochenen Herzen sind, verkündet den Gefangenen die Freiheit. Jesus zitiert in seiner Antwort an Johannes diese Stelle, er weist darauf hin, dass all das ja gerade geschieht – aber er lässt ein Punkt weg: die Freilassung der Gefangenen. Johannes wird nicht freikommen – wir wissen, wie seine Geschichte ausgehen wird. Ein leichtsinniges Versprechen des Königs in weinseliger Laune wird ihn den Kopf kosten. Auch hier wieder:) Ja, das Reich Gottes ist schon angebrochen, aber anfanghaft, gleichsam noch in Samenkörnern. Jesus wird nicht alle Blinden heilen und nicht alle Gelähmten zum Springen bringen. Er wird am Ende selbst am Kreuz sterben – auch im gewaltsamen Tod ist Johannes der Vorläufer. Aber Jesus macht deutlich: mit seiner Ankunft ist die messianische Heilszeit bereits angebrochen. Der Samen ist ausgestreut. Das Reich Gottes beginnt zu wachsen.
- Ich finde dieses Nebeneinander der Texte am Gaudete-Sonntag wunderbar realistisch. Die Bibel macht uns nichts vor. Es ist nicht mit einem Schlag, mit jener Nacht in Betlehem plötzlich alles heile Welt. Es ist ein ständiges Auf und Ab: Phasen, in denen das Reich Gottes zum Greifen nahe scheint, in denen Glauben, Hoffnung, Liebe aufblühen, in denen die Kirche stark ist und der Glaube das Leben der Menschen prägt; und Phasen des Niedergangs, der Enttäuschung. In denen auch innerhalb der Gemeinden, der Kirche Machtkämpfe toben, Streitigkeiten um den richtigen Weg; die einen den anderen absprechen, noch wirklich katholisch zu sein, eben all das, was wir heute auch in den Diskussionen und im Ringen um Reformen in der Kirche erleben.
- Ja, da kann man, wie Johannes der Täufer, ins Zweifeln kommen: ist das wirklich alles der richtige Weg? Da kann man auch massive Glaubenszweifel bekommen: Ist da überhaupt was dran, oder ist der ganze Glaube nur eine menschengemachte Utopie? Machen wir uns was vor? Machen wir den Menschen etwas vor? Da kann man, wie die Gemeinde, an die der Jakobusbrief sich richtet, ungeduldig werden und kurz davor, davon zulaufen, die Flinte ins Korn zu werfen. Genau dahin sind die Appelle zu Geduld und Ausdauer auch uns gesagt: „Haltet aus! Macht euer Herz stark!“ Ja, es mag alles anders aussehen, aber die Saat ist ausgestreut. Es gilt, geduldig wie der Bauer zu warten, bis die Saat wächst und reif wird. „Stärkt die schlaffen Hände, festigt die wankenden Knie!“ sagt auch der Prophet.
- Und Jesus selbst sagt uns dasselbe, was er Johannes dem Täufer ausrichten ließ: Schaut euch um! Schaut genau hin!Dann werdet ihr sehen, wo die Zeichen des Reiches Gottes bereits zu entdecken sind. Wo Blinde wieder sehen und Lahme wieder gehen, wo überall die Frohe Botschaft lebt! Der junge Mann, der vor einigen Wochen in Worms mit der Luthermedaille geehrt wurde für seinen Einsatz und seine Hilfe in der Ukraine, hat bei dieser Gelegenheit eine Dankesrede gehalten, die mich tief beeindruckt hat. Er hat erzählt, was er mitten im Krieg erlebt hat, was Menschen ihm mitten aus dem Krieg in der Ukraine erzählt haben. Schlimme Geschichten, aber auch Geschichten von Hilfe, von füreinander da sein, von einer unglaublichen Solidarität. Geschichten, in denen er, so sagte er, unmittelbar Gottes Hilfe und Kraft gespürt hat. Mitten im Krieg. Mitten in der Wüste. Wo andere, wo wir durch die Nachrichtenbilder, nur Krieg, Tod und Verwüstung sehen, da kümmern sich Menschen selbstlos umeinander, da sind lebt Hoffnung mit einer Kraft, die wir uns kaum vorstellen können und die mich persönlich tief beschämt, wenn ich an unser Jammern über ein paar Grad weniger in den Kirchen oder die gestiegenen Strompreise denke.
- Es gibt ein wunderbares Adventslied, das für mich diese Spannung sehr eindrucksvoll zur Sprache bringt: „Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern“, heißt es da im Blick auf Weihnachten. Der Morgenstern, Christus, das Kind in der Krippe kündet vom Ende der Nacht, von einem neuen, hellen Tag. Und dann heißt es: „Noch mache Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld. Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld!“ Das ist die Zusage: Das Reich Gottes ist angebrochen. Nein, es ist nicht mit einem Schlag alles hell in der Welt, aber der Stern, der uns die Richtung zeigt, Christus, wandert nun mit uns.
- „Seht und berichtet, was ihr seht!“, sagt Jesus. „Macht doch einfach die Augen auf, schaut nicht nur auf das Negative, die Wüste, sondern schaut hin, wo, ganz zaghaft, bereits die Saat des Gottesreiches zu wachsen beginnt!“Das ist für mich die Botschaft dieses Sonntags, eine Botschaft, die Mut macht, sich einzusetzen, die Mut macht, die schlaffen Hände wieder stark zu machen und die wankenden Knie. Und sich mit Überzeugung, mit Leidenschaft und Überzeugung einzusetzen für das Reich Gottes, allen mit Begeisterung zu erzählen vom Reich Gottes, das schon angebrochen ist. Das ist der Markenkern von Kirche! Wenn wir das wieder tun, wenn wir den Menschen so Frohe Botschaft, Evangelium verkünden, auch, ja gerade mitten in der Nacht von Zweifeln, Trauer, Krieg, mitten in der Wüste - dann ist mir um die Zukunft der Kirche nicht bange.