Wenn ich die Pfingsterzählungen höre, dann denke ich oft: Wenn es doch nur heute so wäre! Wenn nur heute der Heilige Geist so in seine Kirche einfahren würde, wenn wir alle, Priester, Gläubige, alle Jüngerinnen und Jünger Jesu dann wie die Apostel, wie der Petrus die Türen aufreißen würden, hinausgehen, einfach mit Begeisterung den Menschen von Jesus erzählen! Und wenn wir dann, wie die Apostel, die Erfahrung machen dürften, dass sich die Menschen begeistern lassen, anstecken lassen von diesem Geist, sich zu Tausenden sich taufen lassen – oder die Ausgetretenen wieder in die Kirche eintreten würden! Das wäre ein Pfingsten! Aber anders als bei der furiosen Pfingstpredigt des Petrus, schaue ich, wenn ich predige, meist eher in müde, nicht gerade Begeisterung versprühende Gesichter – und kann das ja auch verstehen. Statt Pfingstbegeisterung war meine Woche angefüllt mit Sitzungen, Gremien, Beratungen zum pastoralen Weg, Entwicklung von Personalkonzepten mit immer weniger Hauptamtlichen, von Gottesdienstkonzepten für den Riesenraum unserer künftigen Pfarrei; von Überlegungen zur Reduktion von Gebäuden und Pfarrheimen, von Dienstgesprächen, Mitarbeitergesprächen, Krisenmanagement. Und fast immer kämpfe ich, kämpfen wir alle, Hauptamtliche, Ehrenamtliche, mit dieser tief sitzenden Resignation und Enttäuschung: Wir sehen, wie alles zurückgeht, immer weniger wird, wir verwalten den Mangel, und wollen doch eigentlich Zuversicht verbreiten, eine frohe, begeisternde Botschaft verkünden. Und sind selbst manchmal so mutlos, so ohne jede Vision, ohne Hoffnung.
Wie gesagt, wie sehr sehne ich mich nach so einer Pfingsterfahrung – einfach ohne Sitzungen, ohne erst Gremienbeschlüsse mit 2/3 Mehrheiten und Pastoralkonzepte entwickeln zu müssen, einfach losziehen und Frohe Botschaft verkünden! Das wäre ein Pfingsten!
Aber dann sehe ich die Texte des Pfingstfestes und denke mir: auch die Jünger konnten die mühsame Phase vor Pfingsten nicht einfach überspringen: diese Wochen, in denen sie sich eingeschlossen haben. 50 Tage lang, so berichtet es zumindest Lukas. Gebetet hätten sie in dieser Zeit, sagt er. Ich denke mir: sicher haben sie nicht einfach nur 50 Tage lang gebetet. Ganz sicher, haben Sie sich auch gefragt, wie es jetzt weitergehen soll, nach dem Tod Jesu. Nur ganz mühsam und zaghaft fangen sie an, der Auferstehung zu trauen. Wieder und wieder braucht es in dieser Zeit die Begegnung mit dem Auferstandenen, die sie ermutigt. Diese Phase der Sammlung, der Neuorientierung, der immer neuen Begegnung mit dem Auferstandenen, ja, auch der Enttäuschung war notwendig. Ent-Täuschung: erst einmal mussten auch bei den Jüngern ihre eigenen Erwartungen, Vorstellungen, Pläne zerbrechen, bis sie langsam offen wurden für den Heiligen Geist, offen dafür, sich einfach führen zu lassen. Bis langsam das Bild von einer neuen Form der Jüngergemeinschaft wachsen konnte, einer neuen Form von Kirche, wie Gott sie will.
Ich glaube, genau in dieser Phase sind wir momentan wieder. In dieser mühsamen, aber eben notwendigen Phase, in der wir uns einschließen, sammeln, neue Konzepte, neue Visionen von Kirche wachsen können. Und in der eben auch viel Ent-täuschung passiert, passieren muss. Das erlebe ich momentan. Auch bei mir selbst. Wir alle sind geprägt von Bildern, wie wir Kirche erlebt haben, in unserer Jugend, mit dem Bild, mit der Erfahrung von Kirche, die uns von Kindheit an geprägt hat. So sehr wir wissen, dass das alles so nicht mehr funktioniert, so sehr tragen wir diese Bilder doch im Herzen, wie eine tiefe Sehnsucht. So wie die Jünger sich sehnten, dass es doch wieder so wie früher sein könnte, als Jesus mit Ihnen durch die Dörfer zog, als sie seine Wunder hautnah erleben durften, als Tausende zusammenkamen, um ihn zu hören, an seinen Lippen zu hängen. Dass wir wie die Apostel diese Sehnsucht im Herzen tragen, ist ganz menschlich. Auch wenn wir vom Kopf her wissen: so wie früher wird es nicht mehr werden. Und auch wenn wir ahnen, dass Gott gar nicht will, dass es so wie früher wird. Auch wenn wir spüren, dass er uns vielleicht in alle diese Krisen geführt hat, weil diese geschichtlich gewachsene Form von Kirche endgültig zerbrechen muss, diese alten Bilder, damit Raum wird für etwas ganz neues, eine neue Vision von Kirche, vom Leib Christi, vom Volk Gottes, wie Gott es will.
Das tut weh. Das geht mir nicht anders als Ihnen. Wir haben diese Woche mit den Hauptamtlichen zusammengesessen, und unter anderem einmal darüber nachgedacht, wie und wo künftig Gottesdienste sein können, wenn wir schon bald nur noch 5 Priester für den ganzen Raum Worms und Umgebung sein werden. Dann werden etwa in diesem ganzen Pastoralraum, von Dorn-Dürkheim im Norden bis Offstein im Süden, vom Altrhein bei Eich bis Worms – in diesem ganzen Gebiet mit insgesamt 33 Kirchen, mit aktuell noch regelmäßig 31 sonntäglichen Messfeiern, am Ende nur noch 12 Eucharistiefeiern am Sonntag sein können. Aber nirgends steht in der Bibel, dass es so sein muss, wie wir es gewohnt sind. Nirgends hat Jesus zu seinen Jüngern gesagt: Geht in die Welt und feiert in jedem Dorf, in jeder Stadt an jedem Sonntag so viele Messen wie nur möglich! Jesus hat gesagt: Geht in die Welt und macht alle Menschen zu meinen Jüngern! Wir haben uns an einen Standard von Kirche gewöhnt, der nichts mit dem zu tun, hat, was da an Pfingsten mit dem Feuerbrausen des Geistes angefangen hat. Wir haben die Kirche zu einem Rundum-Service-Unternehmen gemacht!
Bitte nicht falsch verstehen: „Service“ heißt Dienst. Und dienen gehört zum Grundauftrag von Kirche: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr einander dient, wie ich euch gedient habe“, sagt Jesus seinen Jüngern im Abendmahlssaal. Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts, hat der kürzlich verstorbene Bischof Gaillot einmal gesagt. Aber unser Verständnis von Kirche ist ja: Wir zahlen Kirchensteuer und bezahlen damit ein paar Hauptamtliche, damit die uns dienen, damit die uns den religiösen Rundum-Service von der Taufe bis zur Beerdigung liefern. Und wenn sie das nicht nach meinen Wünschen machen, dann trete ich aus! Das ist nicht Jesu Verständnis von Kirche. Dafür ist an Pfingsten nicht der Geist auf die Jünger herabgekommen. Der Geist kommt auf alle herab, die durch die Taufe zum Leib Christi, zur Kirche gehören. Und alle erhalten damit den Auftrag, zu dienen, sich einzubringen. Es gibt verschiedene Gnadengaben, sagt Paulus, es gibt verschiedene Dienste, aber eben nur den einen Geist, den wir alle empfangen haben. Es gibt nicht die bezahlten Arbeiter, das Personal der Kirche und die Kunden, die wir kraft Kirchensteuer sind. Nein: Wir alle sind Kirche! Und die Kundschaft: das ist die Welt draußen, das sind die, die nicht, noch nicht oder nicht mehr zur Kirche gehören. Und Pfingsten bedeutet: wir haben den Geist empfangen, der und raustreibt, uns alle, dass wir gemeinsam, jeder an seinem Platz, mit seinen Kräften, Gnadengaben, Begabungen, Möglichkeiten als Kirche dient. Pfingsten zerreißt die unsichtbaren Türen und Mauern, die Hauptamtliche, Kleriker auf der einen Seite und „gemeines Volk“ trennen. „Durch den einen Geist wurden wir alle in der einen Taufe in einen einzigen Leib aufgenommen!“ sagt Paulus. Nur gemeinsam sind wir Kirche! Wir alle sind Kirche, wir alle sind verantwortlich, dass auch künftig Gottesdienste gefeiert, das Evangelium verkündet, die Armen nicht vergessen werden. Wir alle sind verantwortlich, befähigt und beauftragt, dass der Glaube in unserer Welt lebendig bleibt, dass Christus in dieser Welt lebendig bleibt. Wir alle – weil Gott uns das zutraut. Ihnen wie mir. Und weil er uns dazu seinen Geist schenkt. Das ist Pfingsten!
Liebe Schwestern und Brüder, bei allen Sorgen, die mich im Blick auf die Zukunft der Kirche umtreiben, bei allen Ängsten, die ich auch habe, bei aller Enttäuschung über das Zerbrechen einer geliebten Form von Kirche, wie ich Sie kannte: Ich sehe, wie momentan mit Macht und Gewalt etwas Neues wächst. Und ich vertraue darauf, dass Gott uns dazu wie damals in Jerusalem seinen Geist schenkt, der uns führt, stärkt, der uns raustreibt, der die Grenzen sprengt. Und ich freue mich auf das, was kommt. Denn das ist die Botschaft von Pfingsten: Wo Gottes Geist wirkt, da blüht neues Leben auf! Leben in Fülle. Amen
Pfingsten 2023 mit Beauftragung von Frau Zeller und Frau Haas für die Altenheimseelsorge