17. Sonntag, LJ A (2020):zu: 1 Kön 3,5.7-12
1. Was braucht einer, um Gottes Volk gut zu leiten? Das ist die Frage, die Gott selbst dem König Salomo, der gerade erst den Thron bestiegen hat, ganz direkt stellt: „Was brauchstDu, um mein Volk gut zu leiten?“ Salomon hat Angst vor der Aufgabe, richtig Respekt: „Ich bin noch so jung, stehe jetzt aber an der Spitze deines Volkes, eines großen Volkes. Ich weiß nicht aus noch ein.“ Salomo hat Angst vor der großen Aufgabe. „Was brauchst Du“ fragt Gott, „um das Volk gut zu leiten?“ „Gib mir ein hörendes Herz“ antwortet Salomo. Und diese Bitte gefällt Gott. Weil Salomo nicht um Macht und Reichtum, um Ruhm und Ansehen gebeten hat, sondern um das, was es wirklich braucht, wird Salomo am Ende zu dem größten und angesehensten König Israels, noch vor seinem Vater David, der, das muss Gott sich einfach eingestehen, in vielem am Ende ein Fehlgriff war – ich sage nur Ehebruch und Mord.
2. Was braucht es heute, um Gottes Volk zu leiten? In der vergangenen Woche hat die Vatikanische Kleruskongregation diese Frage klar und unmissverständlich beantwortet: es braucht dazu eigentlich nur eines: die Priesterweihe. Eine Pfarrei leiten kann nur ein geweihter Priester. Kein Team. Schon gar keine Laien. Basta. Ich wünschte, diejenigen, die in Rom meinen Kirche zu leiten und solche Dokumente verfassen zu müssen, würden hin und wieder einmal um ein hörendes Herz beten. Dieses Dokument, das momentan nicht nur in Deutschland die Gemüter erregt, ist nicht nur nicht hilfreich und einfach nur rückwärtsgewandt, es ist schlicht eine Bankrotterklärung. Es sieht die Not in weiten Teilen der Kirche, bietet aber keinerlei Lösung, sondern bremst und blockiert alle Versuche, gemeinsam als Volk Gottes nach Wegen und Perspektiven zu suchen – wie wir es momentan bei uns mit dem Pastoralen Weg versuchen oder deutschlandweit mit dem Synodalen Weg.
3. Ich will jetzt nicht über vatikanische Dokumente wettern und auch keine kirchenpolitische Kampfrede halten – das gehört meiner Meinung nach nicht in die Liturgie und den Gottesdienst. Die Predigt ist Verkündigung der Frohen Botschaft; Auslegung und Übersetzung des Evangeliums in unsere Situation hinein. Um die richtigen Wege zur Gestaltung von Kirche für die Zukunft muss an anderer Stelle gestritten, diskutiert, gerungen werden. Und dennoch kann und darf man das auch nicht einfach verschweigen, zumal wenn die alttestamentliche Lesung des heutigen Sonntags da wie eine Steilvorlage ist: wenn es um die Frage geht, was es braucht, um Volk Gottes zu leiten, ist die Antwort der Bibel sehr klar und einfach: „ein hörendes Herz“, das vor allem.
4. Natürlich, und auch das muss klar und ehrlich gesagt werden: Salomo ist nicht König geworden, weil er sich beworben hätte, weil er sich selbst für besonders qualifiziert hält; er ist auch nicht demokratisch gewählt worden. Es gab damals auch keinen Rechtsanspruch, König zu werden; und es hat niemand sich in seiner Würde verletzt gefühlt, weil er sich nicht um dieses Führungsamt bewerben kann. Der König wurde von Gott berufen und ausgewählt. Und er wurde auch geweiht – auf ganz ähnlicher Weise, wie heute noch eine Priesterweihe vonstatten geht: durch Salbung mit Öl und Handauflegung durch Gottes Propheten. Er wurde eingesetzt als eine Art Statthalter Gottes auf Erden, und Gott allein stand das Recht zu, den einzusetzen, den er für den richtigen hält. Auch das gehört zur vollen Wahrheit – und ich gebe ehrlich zu, dass mich hier unsere Debatte heute um Leitung in der Kirche manchmal erschreckt. Da geht es oft genau darum: dass doch gefälligst jeder ein Recht darauf haben muss; ja, dass es geradezu die Menschenwürde verletzt, wenn jemand nicht, falls er das will, Priester – oder Priesterin - werden kann. Nein, es gibt kein Recht auf Weihe! Weder für Männer noch für Frauen. Es gibt kein Recht auf ein Leitungsamt in der Kirche. Es gibt kein Recht auf Berufung. Gott beruft, wen er will, frei. Und es ist die Aufgabe der Kirche zu allen Zeiten – und zwar der Kirche als Gemeinschaft aller Getauften – miteinander herauszufinden, herauszuspüren, wer von Gott berufen ist und wer nicht. Die Frage ist also auch hier nicht: Wen brauchen wir? Sondern: Wen will Gott? Wen hat er dazu ausgewählt und berufen? Das aber herauszufinden, ist nicht leicht. Dazu braucht es einen Blick für die Zeichen, die Gott uns gibt, die „Zeichen der Zeit“, wie es das Konzil formuliert hat, dazu braucht es im Gebet eine gute und enge, lebendige Beziehung zu Gott; dazu bedarf es vor allem aber eben auch eines hörenden Herzens.
5. Mich ärgert diese ganze Debatte auch deshalb, weil „Leitung“ in der Bibel eigentlich ein Randthema ist und wir unsere ganzen Reformdebatten – und jetzt auch noch angeheizt von Rom – immer mehr allein auf dieses Thema zuspitzen: Wer darf der Gemeinde oder Pfarrei vorstehen? Wie darf Leitung gestaltet werden und wie nicht? Wer darf leiten und wer nicht? Leitung ist ein Dienst neben vielen anderen. Erin Dienst! Das bedeutet: es dient der einen großen Sache, die uns aufgetragen ist: Gottes Frohe Botschaft durch alle Generationen zu allen Menschen zu bringen. Menschen mit dieser befreienden, heilenden, Leben schenkenden Botschaft in Berührung zu bringen. Menschen mit dem Heiland Jesus Christus in Berührung zu bringen. Das Wort „Leitung“ oder „leiten“ kommt übrigens an keiner einzigen Stelle in den vier Evangelien vor. Jesus hat das Wort Leitung offensichtlich nicht in den Mund genommen. Am ehesten vielleicht, als er den Petrus am Ende beauftragt hat: „Weide meine Lämmer, weide meine Schafe!“ (Joh 21) Aber sonst muss man deutlich sagen: Jesus Auftrag lautet: „Geht zu allen Menschen, sagt ihnen: Das Reich Gottes ist nahe!“ Und nicht: Leitet Gemeinden oder Pfarreien! Ich habe eigentlich nur eine Stelle gefunden, in der im neuen Testament vom Leistungsdienst (wohlgemerkt: Dienst! Nicht Amt!) die Rede ist, und das ist bei Paulus im 1. Korintherbrief (1 Kor12, 28): Dort ist davon die Rede, das Gott Menschen für verschiedene Dienste berufen und eigesetzt hat: die einen als Apostel, andere als Propheten, andere als Lehrer. Und dazu hat er den Menschen auch verschiedene Gaben verliehen: Krankheiten zu heilen, zu helfen, zu leiten, die Gabe der Zungenrede. Leitung ist hier eine Gabe neben vielen anderen – und nicht einmal die erste, schon gar nicht die wichtigste. Ich glaube, wir alle, die leidenschaftlichen Reformer bei uns genauso wie die Autokraten in Rom sollten sich das einmal bewusst machen: Leitung ist ein Mittel zum Zweck; ein Dienst, der der einen großen Sache dienen muss: Christus und seine Frohe Botschaft bestmöglich zu den Menschen zu bringen.
6. Christus zu den Menschen tragen – Christophorus: der Christusträger. Sein Gedenktag war am vergangenen Freitag. Hier im Dom haben wir ein meterhohes 850 Jahre altes Bild von ihm. Er ist der Prototyp des Christusträgers. Die Legende sieht in ihm einen Riesen, besessen von dem Gedanken, der Größte zu sein und deshalb niemanden zu haben, dem er dienen könne, weil es eben keinen gibt, der größer, der mächtiger sei als er selbst. Auf der Suche nach einem, der größer ist und dem er dienen könne, durchwandert er die Welt; schließlich wird er Fährmann und verdient sich seinen Lebensunterhalt, indem er Menschen auf seiner starken Schulter über einen reißenden Fluss trägt. Eines Tages, so erzählt die Heiligenlegende, habe ein kleines Kind darum gebeten, ans andere Ufer getragen zu werden. Dieses kleine unscheinbare Kind aber wird zu seiner schwersten Last, er geht in die Knie. „Ich trage die Last der ganzen Welt auf meiner Schulter, wie du mich getragen hast“, so erklärt ihm dieses Kind und offenbart sich so als Christus. In diesem Kind hat er schließlich den Größten gefunden, den Herrn der Welt, dem er fortan sein Leben weiht und dienen kann – bis er als Märtyrer in der Christenverfolgung unter Kaiser Decius sein Leben hingibt. Als der Fährmann, der Menschen einen Weg eröffnet, wo keine Weg mehr zu sein scheint, wird Christophorus der Patron der Reisenden. Sein Bild ist heute als Segensbitte und Medaillon auf vielen Armaturenbrettern der Autos angebracht. Als der Fährmann, der ans andere Ufer hilft, wird er auch zum Patron der Sterbenden und für einen guten Tod: dass der Tod uns nicht plötzlich und in Sünde überrascht, dafür wird er im Mittelalter angerufen: deshalb bringt man sein Bild so unübersehbar in den Kirchen an: dass der Blick wie ein Stoßgebet fast automatisch auf ihn fallen muss, wenn man die Kirche betritt.
7. Für mich ist er aber auch der große Patron und Heilige der Demut: der Riese, der besessen ist vom Wunsch, zu dienen. „Demut“: das Wort bedeutet eigentlich „Dienmut“: Mut, sich selbst in den Dienst nehmen zu lassen. Mut, anderen zu dienen. Christus und seinem Evangelium zu dienen. Sein Dienst ist es, Christus ans andere Ufer zu tragen – unsere Berufung als Christen ist es: Christus im Herzen zu allen Menschen zu tragen. Christophorus – der, der den Weg frei macht für Christus. Der große Heilige der Verkehrsmittel, heute würden wir sagen: der Infrastruktur. Letztlich ist auch die Kirche nur ein Verkehrsmittel – Infrakstruktur, die dazu dient, Christus den Weg zu bahnen zu den Herzen der Menschen. Daran kann uns Christophorus heute erinnern. Und dass das nur funktioniert mit der Bereitschaft zum Dienen – nicht durch den Willen zur Macht und zum Machterhalt. Leitung in der Kirche geht nur, wenn sie als Dienst verstanden und auch gelebt wird: nicht als Herrschaft, nicht als Macht. Und solche Leitung setzt ein hörendes Herz voraus. Ein Herz, das zuerst darauf hört, was Gott, will. Das spürt, was die Menschen brauchen. Ein solches hörendes Herz und den dazu gehörenden Dienmutwünsche ich uns allen: den Reformern, den Haupt- und Ehrenamtlichen in der Kirche in den unterschiedlichen Diensten, denen, die in Leitungsverantwortung stehen und –aus aktuellem Anlass – ganz, ganz besonders den Herren in der vatikanischen Kleruskonkregation und in Rom. Amen.