Schmuckband Kreuzgang

Predigt vom 14. Sonntag im Jahreskreis

05.07.2020 (c) PG Dom St. Peter und St. Martin / Martina Bau
05.07.2020
Datum:
So. 5. Juli 2020
Von:
Martina Bauer

Grund zum Jubeln?

05.07.2020

  1. SONNTAG IM JAHRESKREIS, LJ A zu: Sach 9, 9-10

(2020: Dom (Sa und 11:30 Uhr)                                                                        und Mt 11, 25-30

 

Grund zum Jubeln?

 

  1. Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem!“ So pathetisch beginnt die alttestamentliche Lesung aus dem Buch des Propheten Sacharja. Haben wir Grund, in diesen Jubel einzustimmen? In der letzten Woche sind die Kirchenaustrittszahlen von 2019 veröffentlicht worden: Historischer Höchststand! Deutlich mehr als eine halbe Million Menschen sind aus der Kirche ausgetreten – ziemlich exakt genauso viele aus der evangelischen wie aus der katholischen Kirche. 2019 war kein besonderes Krisen- oder Skandaljahr. Viele prophezeien bereits jetzt: in 2020, unter den Vorzeichen der Corona-Krise, wird es noch viel schlimmer werden. Kirche versinkt in der Bedeutungslosigkeit. Dass die Kirchen in der Gesellschaft längst nicht mehr als „systemrelevant“ betrachtet werden, hat die Corona-Krise unmissverständlich offenbart. Innerkirchlich versuchen wir uns mit Pastoralem Weg und Synodalem Weg neu aufzustellen. Irgendwie muss es uns doch gelingen, das Ruder rumzureißen, wieder Bedeutung zu bekommen, als Kirche wieder wichtig zu sein für die Menschen. Aber irgendwie sind die Ideen dazu alle, entschuldigen Sie, wenn ich dem ein oder andern jetzt auf den Fuß trete: ziemlich ausgelutscht und von gestern. Seit 50 Jahren fällt uns in der innerkirchlichen Diskussion auch nichts anderes ein als die Frauenfrage, die Abschaffung des Zölibats, mehr demokratische Strukturen, weniger Hierarchie. Sorry: glaubt wirklich einer ernsthaft: das alles, selbst wenn der Papst morgen per Dekret all das ändert, würde den Trend und die Kirchenaustritte auch nur im Ansatz stoppen? Es ist doch schlicht nicht wegzudiskutieren, dass die evangelische Kirche, die in all diesen Fragen seit Jahrzehnten andere Wege geht, trotzdem exakt genauso viele Kirchenaustritte hat.
  2. Was machen wir also falsch? Die deutsche Kirche hat vor wenigen Monaten mit dem Synodalen Weg begonnen: es geht darum, in einem breiten Diskussionsprozess zu schauen, wie wir uns als Kirche für die Zukunft glaubwürdig neu aufstellen können. Im Bistum Mainz ist es der Pastorale Weg, der sich derselben Herausforderung stellt. Ich bin in einer Arbeitsgruppe des Pastoralen Wegs im Bistum auf Bistumsebene. Als diese Gruppe vor 3 Wochen tagte, gab es eine interessante Diskussion. Was ist eigentlich das Ziel des Pastoralen Weges – haben wir uns gefragt? Natürlich: Glauben teilen, Leben teilen, Ressourcen teilen, Verantwortung teilen. Aber sind das Ziele? Ist das nicht der Weg? Die entscheidende Frage ist doch: Haben wir eine Vision für die Kirche der Zukunft? Wie soll Kirche in 25 Jahren, in 50 Jahren aussehen? In der Arbeitsgruppe gab es dann eine heftige Diskussion: ja, klar, wir brauchen erst einmal eine Vision: Wie soll denn Kirche der Zukunft aussehen? Was für eine Kirche brauchen wir? Wollen wir? Wollen die Menschen, damit sie bleiben, nicht weiter austreten oder gar sogar zurückkommen? Wie kommen wir zu einer Vision für die Kirche im Bistum Mainz? Müsste man nicht zuerst einmal einen großen Workshop machen, um gemeinsam eine Vision zu entwickeln? So haben wir lange diskutiert.
  3. Und je länger wir darüber diskutiert haben, wie wir uns eine tolle, überzeugende Vision machen, umso mehr ist mir bewusst geworden, was für eine schwachsinnige Diskussion - Entschuldigung, ich kann es nicht dezenter formulieren – wir da führen. „Wir machen einen Workshop, um uns eine Vision zu erarbeiten!“ Schlimmer geht es nicht mehr. Mir ist mit einem Schlag bewusst geworden, dass vielleicht das genau unser Problem ist. Wir meinen, es kommt auf uns an. Wir meinen, wir müssten nur die passende und richtige und die Menschen ansprechende „Vision“ entwickeln. Dabei weiß doch jeder, der auch nur einen flüchtigen Blick in die Bibel wirft: Visionen kann man nicht machen. Da kann man noch so gescheite Workshops machen. Eine Vision kann man nicht entwickeln. „Vision“ bedeutet: „Schau“. Die Propheten hatten Visionen, oft in Träumen, und die kamen von Gott. Gott schenkt Visionen, indem er Menschen etwas davon ahnen, schauen, erspüren lässt, wie er sich seine Kirche vorstellt. Nicht wir machen uns die Vision, Gott schenkt sie. Oder eben auch nicht.
  4. Denn auch das ist eine bittere Realität in der Bibel: „In jenen Tagen waren Visionen selten“, heißt es etwa zur Zeit, als Samuel zum Propheten berufen wird (1 Sam 3,1). Auch sonst erzählt die Bibel immer wieder von Zeiten, in denen der Himmel verschlossen war; Zeiten, in denen das Volk durch Dürre und Wüste geführte wurde. Visionen kann man nicht machen, kann man auch nicht von Gott verlangen. Sie werden geschenkt, und zwar dann, wenn Gott es für richtig hält. Ja, vielleicht ist unsere Zeit eine Wüstenzeit, eine Zeit, in der Visionen eher selten sind. Vielleicht müssen wir beten und bitten, dass Gott uns eine Vision schenkt. Vor allem aber müssen wir uns von dem Gedanken verabschieden, wir könnten uns unsere Vision machen, und wenn wir die nur gut machen, dann blüht die Kirche wieder auf.
  5. Denn, das ist meine feste Überzeugung: eine Kirche, der es vor allem darauf ankommt, etwas zu gelten in dieser Welt, gesellschaftlichen Einfluss zu haben, gut dazustehen bei den Menschen, systemrelevant zu sein: eine solche Kirche entspricht ganz sicher nicht Gottes Vision! Gott kommt so ganz anders in diese Welt!
  6. Und damit sind wir wieder bei der alttestamentlichen Lesung, die scheinbar so triumphalistisch und pompös daherkommt: „Juble laut, Tochter Zion, jauchze Tochter Jerusalem! Siehe dein König kommt!“ Man sieht geradezu vor dem geistigen Auge den triumphalen Einzug des Messias an der Spitze seines Volkes! Nur: wer genau hinhört, bekommt mit, dass dieser Einzug alles andere als triumphal ist: Auf einem Eselsfohlen reitet der König: ein fast lächerliches Bild gibt er ab. Und das Volk war ein abgerissener Haufen, der endlich aus dem Exil heimkehren durfte. Und das Jerusalem zur Zeit des Propheten Sacharja war ein Trümmerberg! Das Volk kehrt aus fast 70jährigen Gefangenschaft zurück und findet nichts als Trümmer vor. Ganz bescheiden, demütig, unscheinbar kommen Gott und sein Volk daher.
  7. Vielleicht ist das das Bild, die Vision Gottes auch für seine Kirche heute: eben nicht: „Zurück zu altem Glanz!“ Sondern demütig, bescheiden den mühsamen Neuanfang auf den Trümmern der untergangenen Stadt. Und wer weiß: vielleicht sind wir erst an dem schmerzhaften Punkt, wo alles in Trümmern fallen muss, damit Neues wachsen kann, damit Gott seine Vision gegen all unsere Träume, Pläne, Vorstellungen verwirklichen kann. Wir müssen aufhören, unsere Kirche bauen zu wollen, aufhören mit dem Irrglauben: wir könnten uns unsere Kirche zurecht reformieren und endlich wieder demütig hinhören und fragen, was Gott will. Solange wir meinen, wir wären die Weisen und Klugen, die wüssten, wie Kirche sein muss, ist Hopfen und Malz verloren. Denn Gott offenbart seine Vision nicht den Weisen und Klugen, sondern den Unmündigen und Demütigen.
  8. Das Tröstliche ist für mich die Erfahrung des Volkes Gottes durch alle Zeiten, dass Gott seinem Volk auch in der Wüste nahe war, auch in den Zeiten, als der Himmel scheinbar verschlossen schien, als Visionen selten waren; ja er ist sogar mit seinem Volk in die Verbannung, ins Exil gezogen ist. Gott verlässt uns nicht. Das ist uns in Jesus Christus fest zugesagt. Und darauf vertraue ich in allem Ringen unserer Tage. Amen.