Schmuckband Kreuzgang

Predigt vom 21. Sonntag im Jahreskreis

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Datum:
So. 23. Aug. 2020
Von:
Martina Bauer

"Ihr aber, für wen haltet ihr mich?"

23.08.2020

  1. Sonntag, LJ A (2020): zu: Mt Mt 16, 13-20

 

„Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“

 

  1. Manchmal habe ich das Gefühl, in unsere Demokratie sind Wahlen fast uninteressant geworden; wichtig sind vor allem die permanenten Umfragen. Ständig werden neue Ergebnisse veröffentlicht, die verkünden, wie der oder jener Politiker beim Wähler ankommt. Die wiederum versuchen, aus den Ergebnissen der Umfragen ihre Konsequenzen zu ziehen: Was kommt beim Wähler momentan gerade an, was nicht? Wie muss ich mich anpassen, verändern, um in der Gunst zu steigen? Was erwarten die Menschen? Wie muss ich mich nach außen geben, welche Rolle muss ich spielen: eher der kompetente Macher, oder der souveräne Herrscher, oder der schlagfähige Kritiker? Was kommt am besten an?
  2. Im Evangelium, das wir heute gehört haben, macht Jesus auch eine Art von Umfrage: „Für wen halten die Leute mich?“ Auch Jesus ist offensichtlich interessiert, was die Menschen von ihm erwarten, welchen Eindruck sie von ihm haben, wie er in der Gunst der Menschen wahrgenommen wird. Und die Jünger geben bereitwillig Auskunft, und es zeigt sich, Jesus sehr unterschiedlich wahrgenommen wird. Jeder hat ein ganz bestimmtes Bild von ihm. Was macht Jesus nun mit diesem Umfrageergebnis? Worum geht es ihm überhaupt? Geht es ihm darum, sich anzupassen an den Zeitgeschmack, an die Erwartungen der Menschen? Ganz sicher nicht, denn sehr schnell wird im Evangelium deutlich, was ihn wirklich interessiert: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Wer bin ich für dich? Das fragt er seinen engsten Freunde. Wer bin ich für dich, welche Rolle spiele ich in deinem Leben?
  3. Petrus antwortet darauf mit einem Bekenntnis, das fast wie auswendig gelernt klingt: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Aber das, was fast wie ein Glaubensbekenntnis aus dem Gottesdienst klingt, wie so eine auswendig gelernte und heruntergeleierte dogmatische Formel, das ist im Munde des Petrus etwas ganz anderes. Denn dieses Bekenntnis kommt nicht aus dem Kopf, es kommt aus dem Herzen. Hier geht es nicht um ein Umfrageergebnis, hier geht es – fast möchte ich sagen - um eine Liebeserklärung. Du bist für mich nicht bloß irgendein Wundertäter, nicht ein toller volksnaher Redner, der die Massen fesselt. Sondern: Du bist für mich der Messias, der Sohn Gottes, der Retter, nach dem ich mich mein ganzes Leben lang gesehnt habe, auf den die ganze Welt so lange gewartet hat!Hier geht es gerade nicht darum, die Erwartungen der Jünger abzufragen, um sich dann entsprechend anzupassen. Hier ist die Beziehungsebene angesprochen. Die Antwort des Petrus ist nicht einfach eine tolle dogmatische Zusammenfassung der Existenz Jesu, sondern das ist eine Liebeserklärung: „Für mich bist du der Messias.“ Das heißt: In meinem Leben bist du der wichtigste Mensch. Du bist der Sohn des lebendigen Gottes: da klingt für jeden frommen Juden sofort das wichtigste Gebot und Gebet des Alten Testamentes durch, das Schema Jisrael: „Höre Israel! Jahwe, unser Gott Jahwe ist einzig. Darum sollst du den Herrn deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deiner ganzen Kraft“. „Du bist der Sohn des lebendigen Gottes“, das heißt dann: Ich liebe dich mit ganzem Herzen, ganzer Seele, mit meiner ganzen Kraft. Das ist es, worauf es Jesus ankommt. Nicht Umfrageergebnisse, nicht die unterschiedlichen Erwartungen der Menschen: sondern die Liebe derer, die sich zu ihm bekennen.
  4. Auf diese Liebeserklärung, auf dieses Bekenntnis gründet Jesus seine ganze Kirche. Das ist für ihn das entscheidende Fundament der Kirche: nicht Umfrageergebnisse, nicht was eine Mehrheit erwartet oder will, auch nicht eine dogmatische Wahrheit, sondern die vorbehaltlose und ungeteilte Liebe derer, die sich zu ihm bekennen. Jesus gründet seine Kirche ja nicht auf die großartigen Leistungen des Petrus. Die Bibel ist da schonungslos ehrlich: Dieser Petrus, auf den Jesus hier die Kirche gründet, ist eben auch ein Feigling, der davon läuft, wenn es ernst wird; er ist theologisch keine Leuchte; er muss sich von Paulus, dem theologischen Kopf der frühen Kirche, in aller Öffentlichkeit zurechtweisen lassen, und auch seine Führungsqualitäten lassen zu wünschen übrig. All das wusste Jesus, davon bin ich fest überzeugt. Aber darauf kommt es ihm eben nicht an. Denn viel wichtiger als Führungsqualitäten, als ein brillanter theologischer Geist, als Mut und Tatkraft, ist Jesus etwas anderes: nämlich die Tatsache, dass im Herzen dieses Menschen eine ungeteilte, ehrliche Liebe glüht. Und darauf kommt es an. Darauf gründet Jesus seine Kirche! Das ist das entscheidende Fundament.
  5. Mich macht das sehr nachdenklich. Ich frage mich an dieser Stelle oft, ob wir nicht heute in der Kirche zu sehr auf die falschen Dinge setzen. Natürlich ist es wichtig, dass wir ein Gespür dafür haben, was die Menschen heute von der Kirche erwarten. Natürlich ist es wichtig, dass Menschen, die in der Kirche Verantwortung tragen, theologisch und praktisch gut ausgebildet sind. Sonst bräuchte es kein aufwändiges Studium und keine anspruchsvolle pastoralpraktische Ausbildung. Natürlich ist es auch wichtig, dass die Leute, die eine Gemeinde leiten sollen, auch Führungsqualitäten haben. Aber das eigentlich entscheidende Fundament: nämlich die lebendige, ehrliche Liebe zu Jesus Christus: Wo wird das heute sichtbar? Ich stelle mir diese Frage auch sehr selbstkritisch: Wo wird für Sie als Gemeinde sichtbar und spürbar, dass ich das, was ich als Priester und Pfarrer tue, zuerst deshalb tue, weil ich mit ganzem Herzen, ganzer Seele, ganzer Kraft Jesus Christus liebe? Wo wird für Außenstehende spürbar, dass die lebendige, echte, leidenschaftliche Liebe zu Jesus Christus das Fundament unserer Gemeinde ist, der Fels, auf dem unsere Kirche gegründet ist?
  6. Mich erinnert das manchmal etwas an eigentlich längst vergangene, sehr prüde Zeiten, in denen Liebe und Zuneigung und alles, was damit zusammenhängt, so sehr zum Privatbereich gehört hat, dass es unanständig war, seine Liebe öffentlich zu zeigen, und sei es nur dadurch, dass ein Paar händchenhaltend durch die Straße ging. Aber diese Zeiten sind ja längst vorbei. Niemand empfindet heute mehr etwas dabei, wenn sich Menschen auch öffentlich ihre Liebe zeigen, in einer Umarmung, einem Kuss. Heute muss niemand mehr seine Gefühle als etwas Unanständiges verstecken. Nur da, wo es um unsere Liebe zu Jesus Christus geht, da habe ich oft das Gefühl, dass wir immer noch prüde und verschämt verstecken, was wir empfinden. Darüber spricht es sich sehr schwer. Das geht doch niemanden etwas an.
  7. Natürlich gibt auch das Umgekehrte: Es gibt Menschen, die sich mit ganzem Herzen, mit ihrer ganzen Arbeitskraft für eine Sache einsetzen, und zwar aus ihrem Glauben heraus. Dann wird solches Engagement tatsächlich zu einem Ausdruck der Liebe zu Christus und zu seiner Kirche. Wenn sich Menschen aus innerer Überzeugung, aus Nächstenliebe, die vom Evangelium her kommt, für andere Menschen einsetzen, etwa kranke Familienangehörige aufopferungsvoll pflegen, oder sich in der Gemeinde engagieren an den unterschiedlichsten Punkten (und hier gehört etwa auch der Flüchtlingshelferkreis dazu, oder die Kinder- und Jugendarbeit, oder die Erstkommunionvorbereitung, oder der Besuchsdienst, oder der Schmuck der Kirche, oder, oder, oder...), ohne dabei zu fragen: Was bringt mir denn das? Was hab ich denn davon? – Da wird etwas davon spürbar, dass hinter solchem Einsatz mehr steht, nämlich eine Liebe zu Gott, zu Christus, zu seiner Kirche. Und darauf kommt es Jesus an. Er will nicht eine Schar von Anhängern, denen er nach dem Mund redet, sondern er will Menschen, die ihn lieben, und Liebe ist eben nicht etwas, wofür ich vielleicht nach Feierabend auch noch Zeit habe, sondern Liebe ist etwas, was die ganze Existenz umfassen und umgreifen muss. Wer liebt, der bringt sich ganz ein, ohne dauernd Angst zu haben, dass er zu kurz kommt. Solche Menschen sucht Jesus. Nicht Menschen, die dauernd nur Ihre Wünsche und Erwartungen äußern und erwarten, dass Jesus nach ihrer Pfeife tanzt. Deshalb – das aber nur ganz in Klammern gesagt – ist mir persönlich der Zölibat so kostbar: als ein Zeichen der ungeteilten Liebe zu Jesus Christus.
  8. Vielleicht kann uns das Evangelium etwas Mut machen, dass wir uns offen und ehrlich der Frage Jesu stellen: Du aber, wer bin ich für Dich? Das wir uns offen und ehrlich fragen: Was ist der eigentliche Grund, dass ich noch zur Kirche gehöre, zum Gottesdienste komme, mich Christ nenne? Nur Konventionen, Gewohnheit, ein irgendwie geartetes religiöses Bedürfnis – oder jene leidenschaftliche Liebe zu Jesus Christus, wie sie die Jünger bewegt hat? Und was hindert uns, offen von dieser Liebe zu künden? Eine Kirche, deren Fundament für alle Welt sichtbar die Freundschaft, die lebendige Liebe zu Jesus Christus ist, eine solche Kirche würde, da bin ich ganz sicher, auch heute viele Menschen tief beeindrucken.