- Sonntag, LJ A (2020): zu: Sir 27,30-28-7
(VAM und St. Martin) und Mt 18, 21-35
Gottes Liebe verwandelt unser Herz
- Über die Gleichnisse Jesu zu predigen ist nicht gerade leicht. Und zwar nicht, weil sie so schwierig zu verstehen wären, sondern im Gegenteil: weil Jesus in seinen Gleichnissen eine so einfache und klare Sprache spricht, dass selbst der Begriffsstutzigste ohne Probleme kapiert, was Jesus meint. Und wenn eine gute Predigt das Evangelium erklären, in unsere Zeit und Situation hinein übersetzen will: was hat da ein Prediger noch zu tun, wenn ohnehin jeder direkt versteht und kapiert, was Jesus meint?
- Genauso ist es mit dem heutigen Evangelium und dem Gleichnis von dem Schuldner und seinem Knecht. Ein Mann, der seinem Herrn ein unglaubliches Vermögen schuldet, dass er im Leben niemals mehr zurückzahlen kann: Zehntausend Talente; umgerechnet eine unvorstellbare Summe. Der Arme bettelt und fleht und der Herr lässt sich erbarmen und erlässt ihm seine Schuld – ohne Bedingungen, ohne Gegenleistung. Derselbe Knecht kommt dann zu einem Mitknecht, der ihm wiederum eine lächerliche Summe schuldet – und macht einen Riesenterz, lässt den Mitknecht gar ins Gefängnis werfen. Als der Herr schließlich davon hört, wird er zornig: „Hättest du nicht mit deinem Mitknecht Erbarmen haben müssen, wie ich mit dir Erbarmen hatte?“
- Ganz klar: mit dem Herrn meint Jesus Gott, der uns ohne jede Gegenleistung unsere Schuld erlässt, unsere Sünden verzeiht, einfach weil er uns so grenzenlos liebt. Und deshalb müssen auch wir denen, die uns krumm kommen, die uns verletzt haben oder an uns schuldig geworden sind, doch mindestens ebenso großherzig vergeben. Klare Botschaft. Da dieses Gleichnis zudem Jesu Antwort ist auf die konkrete Frage: Wie oft muss ich denn meinem Bruder vergeben, der sich gegen mich versündigt hat? – gibt es an diesem Gleichnis gar nicht herumzudeuteln. Die Botschaft ist klar: wenn Gott uns mit so großem Erbarmen begegnet, müssen wir unbegrenzt, ohne Wenn und Aber, ohne Limit, einander vergeben: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern!“ beten wir immer neu im Vater unser. Jesus dreht den Spieß hier um: Gott hat euch doch schon alles grenzenlos aus Liebe vergeben – Also: Jetzt seid ihr dran! – sagt er.
- An diesem Gleichnis gibt es also nichts herum zu deuten oder herum zu interpretieren. Es ist klar und unmissverständlich. Punktum. Predigt zu Ende.
- Allerdings: das ist nur die eine Seite. Die Botschaft ist klar. Und leuchtet ja auch ein. Nur: wo es konkret wird, da beginnt es dann doch schwierig zu werden. Ich erinnere mich gut, dass ich vor vielen Jahren einmal sehr vollmundig über dieses Evangelium gepredigt habe und darüber, dass es angesichts der großen Liebe und Geduld Gottes mit uns absolut keinen Grund und keine Rechtfertigung gibt, dass wir einander nicht alles, auch die schlimmste Schuld verzeihen müssen. Nach der Predigt hat ein altes Ehepaar vor der Kirche auf mich gewartet; die Frau hatte Tränen in den Augen. Sie wollten mit mir über meine Predigt sprechen. Sie haben mir erzählt, dass ihr Sohn – das lag damals schon mehr als 20 Jahre zurück, bei einem Überfall auf eine Tankstelle, in den er als unbeteiligter Kunde eher zufällig herein geraten war, versehentlich vom Räuber erschossen wurde. Der junge Mann war damals gerade 20 Jahre alt. „Wir würden ja so gern damit abschließen“, hat mir diese Frau gesagt, die jeden Sonntag in der Kirche war und eine fromme Frau. „Aber ich kann es einfach nicht. Ich kann diesem Mann, der mir meinen Sohn genommen hat wegen ein paar Stangen Zigaretten, einfach nicht verzeihen. Ich will es ja, aber ich kann einfach nicht!“ Ich wusste damals nicht, was ich sagen soll. Ich habe mich geschämt, weil für mich dass alles so einfach und klar schien. Aber so einfach ist es eben oft nicht. Manchmal kann das Herz nicht, wie es eigentlich will.
- Natürlich ist alles richtig, was ich damals gepredigt habe – und doch ist im Leben oft alles viel komplizierter. Natürlich sind wir selbst so grenzenlos von Gott beschenkt; natürlich hat er uns so grenzenlos alle Schuld vergeben und vergibt uns immer neu. Und natürlich darf Gott erwarten, dass wir einander genauso großherzig und voller Liebe begegnen – und vielleicht wollen wir es sogar. Aber manchmal geht es einfach nicht. Es ist und bleibt eine lebenslange Herausforderung, sich selbst der Liebe und dem Erbarmen Gottes so zu öffnen, dass seine Liebe unser Herz allmählich verwandeln kann. Natürlich gibt es Schicksalsschläge, manchmal auch Erfahrungen aus früher Kindheit und Jugend, die einem Menschen das Herz verhärten, natürlich gibt es Verwundungen und Schicksalsschläge, die das Herz vernarbt haben. Und dann dauert es oft lang, bis sich hier etwas verändert, aufweicht. Das geht nicht von Heute auf Morgen. Das geht schon gar nicht, nur weil ich einmal eine flammende Predigt eines Grünschnabels gehört habe, dem das Leben bis dahin noch nichts wirklich Schweres zugemutet hat. Manchmal braucht es auch hier sieben mal siebzig Anläufe, bis ganz langsam und allmählich sich etwas verändert. Und doch bleibt die Herausforderung: Weil Gott uns grenzenlos liebt, erwartet er auch, dass wir einander mit gleicher Liebe und Großherzigkeit begegnen.
- Wo wir spüren, dass wir uns damit schwer tun, lohnt es sich, sich immer wieder bewusst zu machen, wo Gott mich ganz persönlich seine große Liebe hat spüren lassen, wo er mir ganz persönlich barmherzig begegnet ist. Und ihm und seiner Liebe immer neu mein Herz zu öffnen. Denn diese Liebe hat die Macht, am Ende alle Verhärtungen, alle Narben und Wunden unseres Herzens heilen. Und dann – das ist meine große Hoffnung, werden wir vielleicht eines Tages auch selbst wirklich zu echter, großherziger Liebe fähig sein. Vielleicht dauert es lange, manchmal ist es ein lebenslanger Kampf. Aber: Gott sei Dank – hat Gott mit uns auch eine grenzenlose Geduld.