Schmuckband Kreuzgang

Predigtreihe Wenn Steine reden...

„Das Licht kam in die Welt“ - Ausrichtung zum Licht

Predigtreihe (c) PG Dom St. Peter und St. Martin
Predigtreihe
Datum:
So. 11. März 2018
Von:
Martina Bauer
Predigtreihe (c) PG Dom St. Peter und St. Martin
Predigtreihe

Wenn Steine reden...
Predigtreihe zum Domjubiläum

Prediger: Propst Tobias Schaefer

 

  1. Fastensonntag – LJ B, 10./11.03.2018 (Dom) zu: Joh 3, 14-21

 

Wenn Steine reden:

„Das Licht kam in die Welt“: Ausrichtung zum Licht

 

  1. „Was ist es hier so dunkel!“ das ist manchmal die erste Reaktion von Touristen, die den Wormser Dom besuchen. Ganz besonders im Sommer, wenn draußen die Sonne scheint und man aus dem grellen Sonnenlicht hier in den Dom eintritt. Und im Nachsatz kommt dann manchmal: „Der Speyrer Dom ist viel schöner, der ist ganz hell und lichtdurchflutet!“ Als Propst am Wormser Dom ist ein solcher Satz, wie wenn man mir ein Messer ins Herz sticht. Dabei ist die scheinbare Dunkelheit des Wormser Domes kein Baufehler, sondern im Gegenteil: von den Baumeistern gewollt. Es ist eine der wichtigsten Botschaften, die die Baumeister in ihren Bauplan eingeschrieben haben. „Wenn Steine reden“ – ja wenn die Steine des Domes reden könnten, dann würden Sie uns auch davon erzählen. Die Art und Weise, wie hier im Dom Dunkelheit und Licht inszeniert wurde, gehört nämlich für mich zu den faszinierendsten Merkmalen und Botschaften dieses Domes.
  2. Keine Frage: der Wormser Dom ist dunkel. Und wenn wir ihn uns zur Zeit seiner Erbauung vor tausend Jahren vorstellen, ohne jedes elektrische Licht, nur mit Kerzen erleuchtet, dann war das damals noch sehr viel deutlicher. Aber eben auch deutlicher zu erleben, wie und wo in den dunklen Raum das Licht einfällt. Aber auch heute ist es für mich jedes Mal wieder ein wirkliches geistliches Erlebnis, wenn man aus dem grellen, hellen Sonnenlicht draußen in diesen Dom eintritt, und zunächst einmal fas gar nicht sieht. Man tritt buchstäblich ein in eine völlig andere Welt. Aus dem grellen, oft lauten, rummeligen Leben draußen, im Alltag unserer Welt, in einen kühlen, dunklen, ruhigen Raum. Die Dunkelheit, die einen sofort umfängt, hat nichts Beängstigendes, sondern etwas Beruhigendes, etwas Bergendes. Jedenfalls empfinde ich es so. Und dieser Augenblick, den es braucht, bis sich die Augen an die Lichtverhältnisse im Dom gewöhnt haben, führt ganz automatisch dazu, dass ich zur Ruhe komme, abschalten kann. ich lasse ein Stück die helle, bunte Welt draußen und trete ein in einen ganz eigenen Raum, in die Gegenwart Gottes.
  3. Es ist interessant, dass man schon in der Antike Tempel bewusst dunkel und meist fensterlos gebaut hat. Die römischen Tempel hatten helle, lichtdurchflutete Säulenvorhallen. Das eigentliche Heiligtum aber war ein dunkler, fensterloser Raum. Der Jerusalemer Tempel, für die frommen Juden und auch für Jesus selbst der Ort, an dem Gott seinen Wohnsitz auf Erden genommen hat, war ein Areal aus verschiedenen offenen Säulenhallen und Vorhöfen. Dann trat man ein in das Heiligtum, das nur die Priester zum Weihrauchopfer und zum Opferdienst betreten durften: ein dunkler Raum. Und abgetrennt durch einen Vorhang, das Allerheiligste, das nur der Hohepriester und auch der nur einmal im Jahr, am Versöhnungsfest, betreten durfte, wo ursprüngliche die Heilige Lade mit den zehn Geboten stand; der Raum, in dem Gottes Herrlichkeit wohnt: ein ansonsten leerer, völlig fensterloser, stockdunkler Raum. „Gott will im Dunkel wohnen, und hat es schon erhellt“, so dichtet Jochen Klepper in einem eindrucksvollen Adventslied.
  4. Für uns mag das paradox wirken, dass man Gott gleichsam in die Dunkelheit setzt. Aber in einem Land, das vom Wüstenklima geprägt ist, in dem jeder Baum, jeder Strauch, der auch nur ein wenig Schatten wirft, ein Geschenk des Himmels ist, ist Dunkelheit und Schatten nichts Bedrohliches, sondern ein Segen! Die Botschaft, die die Baumeister des Domes hier vermitteln wollen, lautet: wer Gott begegnen will, der muss aus der lauten, grellen, hellen Welt erst einmal eintreten in das mystische, dämmrige Licht der Gegenwart Gottes. Seine Gegenwart drängt sich nicht auf, sich ist nicht grell. Es ist ein mystischer Raum, den Burchard hier durch das Dämmerlicht inszeniert. Ein Raum, der einlädt, ruhig zu werden, die Augen an eine neue Wirklichkeit zu gewöhnen, und zu lernen, mit den Augen des Herzens wahrzunehmen, was sich im grellen Scheinwerferlicht dieser Welt nicht erschließt. Ich liebe die scheinbare Dunkelheit des Domes, die ja, wenn man einmal eine Weile drinnen ist, gar nicht mehr dunkel ist.
  5. Plötzlich beginnen dann die Steine, der ganze Bau tatsächlich zu reden. Man nimmt war, dass Licht und Dunkelheit hier im Dom ganz bewusst inszeniert sind. Dunkel sind die Seitenschiffe. Dunkel ist es unten, wo wir Menschen stehen. Bewusst lassen die Fenster des Seitenschiffs im Norden nicht viel Licht einfallen. Und wenn, dann ein dämmriges, farbiges, mystisches Licht. Das Seitenschiff im Süden hat praktisch keine Fenster. Hier waren die Stiftsgebäude angebaut. Nur von oben, aus den Fenstern des Obergadens fällt tagsüber ein helles Licht – aber so hoch, dass es kaum den Boden erreicht. Auch das vermittelt eine besondere, mystische Atmosphäre – und ist eine Botschaft: oben, im Himmel, wo Gott wohnt, da ist Licht. Hier unten, unsere Welt, dieses Leben ist immer auch ein Leben in Dunkelheit, in Schuld und Sünde, geprägt von Leid und Not. Das Licht von oben kündet von einer anderen Welt, vom Licht Gottes. Und wenn sich der Blick dann nach Osten, zum Altar wendet, wird es dort immer heller: die großen Fenster des Querhauses lassen diesen Raum deutlich heller werden als das Kirchenschiff. Das Licht wird wie in einem Brennpunkt dort gebündelt, wo der Altar steht: das ist der Ort, wo uns Gott begegnet im Sakrament, in der heiligen Eucharistie.
  6. Der dunkle Dom richtet uns so fast automatisch aus hin auf das Licht, auf Christus. Kein anderer Evangelist greift die Lichtsymbolik so deutlich auf wie Johannes. Schon im Prolog, in dem großartigen Eingangshymnus seines Evangeliums, der uns jedes Jahr an Weihnachten als Evangelium verkündet wird, spielt er mit dem Motiv des Lichtes: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort“, heißt es da. Und weiter: „Das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst. (…) Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt!“ Und spätestens hier wird klar, was oder besser wer gemeint ist: Christus ist das wahre Licht, das an Weihnachten in die Welt kommt! Er ist die Sonne der Gerechtigkeit, wie es im Lied heißt. „Ich bin das Licht der Welt“, sagt Jesus selbst über sich – übrigens wieder im Johannesevangelium. Und heute hören wir, auch wieder aus dem Johannesevangelium: „Das Licht kam in die Welt, aber die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht. (…) Wer die Wahrheit tut, kommt zum Licht!“Kinder des Lichtes“ nennt Paulus in seinen Briefen die Getauften. Im Grunde ist der Dom mit seiner Dunkel-Licht Inszenierung eine imposante steingewordene Umsetzung der Theologie des Johannesevangeliums.
  7. Die alten Kirchen waren alle nach Osten hin ausgerichtet: in Richtung auf den Sonnenaufgang. Selbst wenn sie, wie die großen römischen Basiliken, im Osten nur eine fensterlose Apsis hatten: wichtig war die Richtung: auf die aufgehende Sonne hin. Es ist dieselbe Aussage: Christus ist das wahre Licht, die Sonne, die uns aufgegangen ist. Und mehr noch ist der Sonnenaufgang von Anfang an auch auf Ostern, hin gedeutet worden: ein Auferstehungssymbol. So wie die Nacht und Dunkelheit ein Symbol für den Tod ist, ist der Sonnenaufgang ein Bild für das neue Leben, das uns Christus schenkt. Wie gesagt: praktisch alle alten Kirchen hat man daher bewusst nach Osten hin ausgerichtet: zum Sonnenaufgang und, vom Abendland aus gesehen, zugleich in Richtung auf Jerusalem hin, das im Osten liegt, auf seinen Tempel und mehr noch: auf den Ölberg hin, denn von dort kommt, nach uralter jüdischer Überlieferung, der Messias. In dem Zusammenhang – nur am Rande erzählt: Kürzlich hat ein Stuttgarter Architekt (Reinhart Gunst) mich aufmerksam gemacht, dass er festgestellt habe, dass die Ausrichtung des Wormser Domes von West nach Ost, wenn man diese Linie genau weiterziehen würde, exakt nach Jerusalem und auf den Tempelberg führt – und gleichsam über den Tempel durch die Goldene Pforte auf den Ölberg, von wo der erwartete Messias kommen wird. Seine Theorie, dass das kein Zufall ist, wird noch dadurch gestützt, dass besagter Architekt errechnet hat, dass es vom Wormser Dom bis zum Tempelberg in Jerusalem exakt 10 Millionen römische Fuß Länge wären.
  8. Wichtiger aber ist, so glaube ich wenigstens, die Ausrichtung auf den Sonnenaufgang. Nun haben wir natürlich das Problem, dass die Sonne über das Jahr wandert und so der Sonnenaufgang jeden Tag ein wenig weiter zieht. Ich habe jedoch festgestellt, dass es exakt einen Tag im Jahr gibt, an dem der Sonnenaufgang genau in der West-Ost-Achse des Domes liegt. Und jetzt raten Sie einmal: das ist genau der 25. Dezember. Weihnachten. „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kommt in die Welt!“ Und wenn jetzt ein ganz Schlauer feststellt, dass da ein Denkfehler sein muss, weil sich ja durch die Kalenderreform vom julianischen Kalender, in dessen Zeit der Dom gebaut wurde, zum gregorianischen Kalender alles um 13 Tage verschiebt, dem sei gesagt: das ändert an der Grundaussage nichts, denn dann fiel zur Zeit Burchards der Sonnenaufgang im Osten des Domes genau auf das Epiphaniefest, also den ursprünglichen Weihnachtstermin, wie er auch heute noch in den Ostkirchen begangen wird.
  9. Und jetzt stellen Sie sich noch einmal den Dom zur Zeit Burchards vor, also ohne Balthasar Neumann Hochaltar. Hinten, in der Ostapsis, drei helle, große Fenster – drei: Zeichen für die Trinität, die Dreifaltigkeit. Und an Weihnachten fällt mit dem Sonnenaufgang das Licht durch diese Fenster, und fällt in gerader Linie in die Mitte der Vierung, wo damals der Altar stand. Das wahre Licht kommt in die Welt. Hier begegnet uns Christus, das wahre Licht. Kann man die Botschaft des Johannesevangeliums eindrucksvoller darstellen?
  10. Der Dom richtet uns also aus in Richtung auf Christus. Er gibt uns im buchstäblichen Sinn des Wortes „Orientierung“: richtet uns aus in Richtung auf den Orient, den Osten, auf den Sonnenaufgang. Auf Christus. So wie die Fastenzeit, die österliche Bußzeit eine große Einladung ist, uns und unser Leben neu auszurichten auf Christus, gibt uns der Dom als Bauwerk, als Ort der Gottesbegegnung Orientierung, gibt unserem Leben die richtige Richtung: auf Christus hin, zum Licht, das die Dunkelheiten unseres Lebens hell macht. Ich bin froh, dass ich hier im Wormser Dom und nicht im hellen Speyrer Dom Propst bin. Amen.

 

Musikalisch wurde der Gottesdienst mitgestaltet von dem Ensemble Coro Piccolo aus Altrip. Leitung Christiane Schmidt  /  Orgel: Dominik Hambel

Predigtreihe (c) PG Dom St. Peter und St. Martin
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