Wenn Steine reden...
Predigtreihe zum Domjubiläum
Prediger: Propst Tobias Schäfer
Tausend Jahre alt ist der Wormser Dom.
Was könnten die Steine nicht alles erzählen?
Und mehr noch: haben die alten Baumeister den Dom nicht genau dafür geschaffen, dass er uns von dem guten Gott erzählt.
Die Predigtreihe zum Domjubiläum möchte an drei Sonntagen die Botschaft der Architektur des Domes aufschließen.
3./4. März: (Sa 18:00 Uhr und So 11:30 Uhr)
„Der Tempel seines Leibes“ - Die Architektur des Domes als Bild des Gekreuzigten
Predigt von Propst Tobias Schäfer
3. Fastensonntag – LJ B, 03./04.03.2018 (Dom) zu: 1 Kor 1,22-25 und Joh 2, 13-25
"Wenn Steine reden: Der Tempel seines Leibes"
- „Wenn Steine reden“ – so habe ich die Predigtreihe zum Domjubiläum überschrieben, die heute startet und auch die beiden kommenden Sonntage umfasst. Ja, wenn die Steine unseres tausend Jahre alten Domes reden könnten, die hätten uns sehr viel zu erzählen. Von großartigen Ereignissen: Kaisereinzügen, Reichs- und Hoftagen mit all ihrem Pomp. Von Kaiserhochzeiten, die hier feierlich begangen wurden. Aber auch von Streit und Zank: von Kaiser Heinrich IV. etwa, der von hier aus den Papst zur Abdankung aufforderte: „An Hildebrand, falscher Mönch, nicht mehr Papst! Steig herab von deinem Thron!“ Und schließlich von dem gigantisch inszenierten Fest der Versöhnung zwischen Kaiser und Papst anlässlich des Wormser Konkordates 1122, gut 50 Jahre später. Von Buben, die hier in der Domschule erzogen wurden, und die später, wie Bruno von Kärnten Papst wurden, oder wie der Salier Konrad, der zum Kaiser erwählt wurde. Vor allem aber würden die Steine von den unzähligen einfachen Menschen erzählen, die in den tausend Jahren hierher zum Gebet gekommen sind, hier vor Gott oder am Altar der Gottesmutter ihr Herz ausgeschüttet haben, in ihren Sorgen und Nöten um Hilfe baten, aber auch ihre Freude und Dankbarkeit vor Gott trugen. Wie viele Kerzen wurden wohl in diesen Mauern entzündet, verbunden mit einem kleinen Gebet? O ja, die Steine könnten viel erzählen. Und auch, wenn wir sie nicht hören können: ich glaube, viele Menschen, die hier herkommen, spüren, dass das ein Ort ist, der eine tiefe geistliche Ausstrahlung hat. Dessen Steine und Mauern gleichsam die Gebete, den Lobpreis, den Dank, die Bitten so vieler Menschen atmen, die hier gebetet haben. Und auch heute beten, sich zum Gottesdienst versammeln. Der Dom ist ein Ort der Begegnung zwischen Gott und den Menschen. Und das spürt man. Das spüren selbst Menschen, die mit dem Glauben wenig oder nichts am Hut haben.
- Aber nicht das soll das Thema meiner Predigt sein. Es vielmehr so, dass ich, wie es der Bischof bei dem festlichen Eröffnungsgottesdienst zur Tausendjahrfeier gesagt hat, den Dom selbst, seine Steine, seine Architektur predigen lassen möchte. Denn die Steine haben eine Botschaft, die ihnen die Baumeister gleichsam eingeschrieben haben. Und die gilt es zu entschlüsseln – womit wir wieder beim Motto unseres Jubiläumsjahres wären: „Aufgeschlossen!“ Ich möchte versuchen, ein wenig die Architektur, die Kunst und Gestalt des Domes aufzuschließen und die Botschaft, die die Baumeister vor tausend Jahren uns mitgeben wollten.
- Die erste Botschaft ist der Ort, den sie für den Dombau gewählt haben: die höchste Erhebung der Stadt, so nah wie möglich am Himmel. Und so bauten sie auch den Dom, wie eine Brücke zum Himmel. „Die Krone der Stadt“, so wurde der Wormser Dom genannt. Und so sieht seine Silhouette aus der Ferne auch aus, mit den vier Flankentürmen, dem zentralen Vierungsturm in der Mitte: Wie eine Krone, die die ganze Stadt überragt und bekrönt. Gott ist unsere Krone, unsere Zier! Er ist es, der uns, dieser Stadt eine besondere Würde verleiht: das wollten die Baumeister damit zum Ausdruck bringen.
- Ganz bewusst baute man den Dom dort, wo in römischer Zeit das Forum mit der Marktbasilika, mit verschiedenen Tempeln stand. Schon der Vorgängerdom wurde, gute 400 Jahre vor unserem Dom, an dieser Stelle errichtet. Dort, wo schon in vorchristlicher Zeit der Ort der Gottesverehrung war. Da, wo die Gelehrten und Philosophen in römischer Zeit zusammenkamen und diskutierten, die Weisheit zu ergründen versuchten. Genau dort erbaut man nun die Kathedrale, die Hauptkirche der Stadt. „Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir verkündigen Christus als den Gekreuzigten!“ ruft uns Paulus in der Lesung zu. Genau das ist die Botschaft der Baumeister dieses Domes: „Da, wo die alten Römer mit ihrer griechisch-römischen Kultur Weisheit suchten, das verkündigen wir die Weisheit Gottes schlechthin: Christus, den Gekreuzigten!“ Der Dom ist gleichsam die Antwort auf die Sehnsucht der Menschen nach Weisheit, nach Wahrheit, nach Sinn. Nein, nicht der Dom ist die Antwort, er vermittelt uns die Antwort. Denn die Antwort ist Christus, der Gekreuzigte. Er ist unseres Weisheit, unsere Wahrheit, der letzte Sinn unseres Lebens.
- Im heutigen Evangelium treibt Jesus die Händler aus dem Tempel. In seiner Zeit eines der grandiosesten und fasziniertesten Bauwerke, auch errichtet auf einem Hügel. Auch Ort der Gottesbegegnung, Haus Gottes, des Vaters. Im Anschluss an diese aufsehenerregende Aktion kommt es zu einem Dialog. „Reißt diesen Tempel nieder“, sagt Jesus, „in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten.“ Für uns ist klar, dass Jesus nicht den von König Herodes errichteten Tempel aus Steinen meint, sondern sich selbst, den man kreuzigen wird und der nach drei Tagen wieder auferstehen wird. Für den Begriffsstutzigen erklärt es der Evangelist unmissverständlich: „Er aber meinte den Tempel seines Leibes!“ Der Dom, den Bischof Burchard errichten ließ, ist wie eine steingewordene Illustration dieses Satzes: „Er aber meinte den Tempel seines Leibes!“ Die Kirche ist der Leib Christi, und wir alle sind Glieder an diesem Leib. Die Kirche ist der Tempel Gottes, und wir alle sind lebendige Steine in diesem Bau: mit solchen Bildern beschreibt der Apostel Paulus und das Neue Testament das Geheimnis der Kirche. So wie die Kirche, die Gemeinschaft der Glaubenden, auf geheimnisvolle Weise Leib Christi ist, so ist jede Kirche, jedes Gotteshaus ein Sinnbild für Christus. Er ist der Tempel, der am Kreuz eingerissen wird, um nach drei Tagen durch Gottes Macht und Liebe neu errichtet zu werden. Jeder Tempel, jede Kirche, jeder Dom ist somit ein Bild für Christus selbst, für seinen Tod und seine Auferstehung. Das hat Bischof Burchard, das haben die alten Baumeister gewusst und wollte es durch die Architektur den Menschen vermitteln.
- Wir erkennen das im Grundriss des Domes. Der Grundriss ist kreuzförmig: das Längsschiff bildet den Längsbalken des Kreuzes, das Querschiff den Querbalken. Die frühchristlichen Kirchen waren alle den römischen Basiliken nachempfunden: in der Regel riesige Hallen auf rechteckigem Grundriss mit einer halbrunden Apsis an der Stirnseite. Erst in der Romanik baut man Kirchen bewusst kreuzförmig. „Wir verkünden Christus, als den Gekreuzigten!“ ruft uns der Bau zu. Stellen Sie sich den Dom zur Zeit Burchards vor: ohne Bänke und Bestuhlung. Eine gigantische Halle. Ohne die Choremporen hier oben und ohne Chorgestühl: da konnte man noch in das Querschiff hineinsehen, konnte diesen kreuzförmigen Grundriss deutlich wahrnehmen. Der Dom ist ein Bild für Christus, als den Gekreuzigten. Der Chorraum hier vorn im Osten, ist gleichsam das Haupt. In den gotischen Kathedralen ist man später so weit gegangen, dass man den Chorraum nicht selten abgeknickt hat, aus der Achse verschoben. So wollte man das am Kreuz geneigte Haupt Christi sinnbildlich darstellen.
- Für mich ist dabei ein besonders faszinierender Gedanke, der uns ja auch in unseren Diskussionen um die Neugestaltung des Altarraumes begleitet hat, der Ort des Altars. Der Altar steht etwa im Kreuzungspunkt der Vierung. Wenn wir uns den Grundriss des Domes als Kreuz vorstellen und den Gekreuzigten daran, dann ist das genau der Ort, wo das Herz ist. Der Altar steht im Herzpunkt des Kreuzes. Beim Tod Christi am Kreuz sticht ihm ein Soldat mit der Lanze in die Seite, ins Herz, und, so heißt es im Evangelium, „sofort floss Blut und Wasser heraus“. Blut und Wasser – die alten Kirchenväter deuten das als Hinweis auf die Grundsakramente der Kirche: die Taufe und die Eucharistie. Im Südportal ist diese Szene eindrucksvoll dargestellt: Christus am Kreuz, der Soldat mit der Lanze und unter dem Kreuz eine Frauengestalt, die Ecclesia, die Kirche, die mit einem Kelch das Blut aus dem Herzen Jesu auffängt.
- Was hier auf dem Altar geschieht, ist Frucht der Hingabe Jesu aus Liebe am Kreuz. Was hier auf dem Altar geschieht, ist nichts anderes als die immer neue Vergegenwärtigung dieses Geheimnisses, dass uns Christus sein Herz geöffnet hat – „Aufgeschlossen!“ Daraus leben wir, wenn wir die Heilige Eucharistie empfangen. Es ist Frucht seiner Liebe, für die das Herz das Symbol schlechthin ist.
- „Wir verkünden Christus, als den Gekreuzigten!“ Das ruft uns der Dom unüberhörbar zu. Ich könnte noch so viel erzählen, die Steine des Domes könnten uns noch so viel erzählen – Gott sei Dank haben wir ja noch zwei Sonntage für die Predigtreihe. Ich wünsche uns, dass uns das Jubiläum hilft, uns diese Botschaft neu zu erschließen, die die Alten in dieses so wunderbare Bauwerk eingeschrieben haben. Und dass es uns als Gemeinde gelingt, möglichst vielen Menschen diese Botschaft nahe zu bringen: die Botschaft von einem Gott, der aus Liebe seinen Sohn dahin gibt; der uns Menschen buchstäblich sein Herz öffnet. Der uns hier in diesem Dom immer neu begegnet als der lebendige, liebende Gott.