Schmuckband Kreuzgang

Predigtreihe: Wenn Steine reden...

„Ein feste Burg…“: Bollwerk wider die Mächte des Bösen

Predigtreihe Wenn Steine reden (c) PG Dom St. Peter und St. Martin
Predigtreihe Wenn Steine reden
Datum:
So. 18. März 2018
Von:
Martina Bauer
Predigtreihe Wenn Steine reden (c) PG Dom St. Peter und St. Martin
Predigtreihe Wenn Steine reden

 

Prediger: Propst Tobias Schaefer

 

5. Fastensonntag – LJ B, 17./18.03.2018 (Dom)                                                             zu: Ps 46

 

Wenn Steine reden:

„Ein feste Burg…“:

Bollwerk wider die Mächte des Bösen

 

  1. Ein feste Burg ist unser Gott“, dichtet Martin Luther 1529 –angelehnt an Psalm 46, in dem es heißt: „Gott ist uns Zuflucht und Stärke, ein bewährter Helfer in allen Nöten. Darum fürchten wir uns nicht, wenn die Erde auch wankt, wenn Berge stürzen in die Tiefen des Meeres (…) Denn der Herr der Heerscharen ist mit uns, der Gott Jakobs ist unsere Burg!“ Der Psalm und auch Luthers Lied in seiner ursprünglichen Intention sind ein Lied vom Gottvertrauen, vom tiefen Vertrauen in einen Gott, der uns schützt und birgt, selbst wenn die Erde wankt. Mehr und mehr aber wurde Luthers Lied zum Kampf- und Trutzlied in den konfessionalistischen Auseinandersetzungen und schließlich im 19. Jahrhundert zur Hymne des national-deutschen Protestantismus. Die „Marseillaise der Reformation“ wurde es schließlich genannt (Heinrich Heine) und in diesem Sinn wurde auch das 1868, vor genau 150 Jahren eingeweihte Wormser Lutherdenkmal konzipiert: als Stein und Bronze gewordene Manifestation der „festen Burg“, deren alles überragender Wachtturm Martin Luther selbst ist.
  2. In der Tat kann man die ganze Lutherdenkmal-Bewegung Mitte des 19. Jahrhunderts verstehen als eine Art Protest gegen den alles überragenden katholischen Dom in der Lutherstadt Worms. Als Gegenbewegung zur Gründung eines Dombauvereins 1856 gründeten Wormser Protestanten im selben Jahr den Lutherdenkmalverein. Sicher nicht zufällig im Jahr des 850jährigen Jubiläums der ersten Domweihe wurde mit heute unvorstellbarer Feierlichkeit, die alles andere in den Schatten gestellt hat, unter Anwesenheit von 20.000 Gästen schließlich eingeweiht, unter ihnen zahlreiche gekrönte Häupter, allen voran der Protektor des deutschen Protestantismus, der preußische König Wilhelm, das Lutherdenkmal – natürlich mit der Hymne: „Ein feste Burg ist unser Gott!“
  3. Das Lutherdenkmal in Worms als eine Art protestantischer „Gegendom“ – so haben es die tief getroffenen Katholiken damals verstanden und so war es wohl auch gemeint. Von Mainz kommt eigens der Professor am Mainzer Priesterseminar Ludwig Hundhausen nach Worms, um sich das alles aus der Nähe anzusehen und die verwundete Seele der Katholiken aufzurichten. Er verfasst anschließend eine Schrift über das „Luthermonument“, und beschreibt darin, wie er sich, als er Worms wieder Richtung Mainz verlässt, noch einmal umdreht und aus der Ferne die Silhouette der Stadt sieht und alles überragend den Dom, die Krone der Stadt. Er beschreibt, wie er den damals einsturzgefährdeten, fast ruinösen Dom noch aus der Ferne wahrnimmt, in seiner „hehren Majestät und Pracht … ein Symbol der Kirche selbst“, so schreibt er. „Und es war, als ob der alte St. Petersdom jene Worte uns zuriefe, die der Herr einst zu Petrus selbst gesprochen, jene mit unauslöschlichen Buchstaben in die Weltgeschichte eingegrabenen Worte der Verheißung: …‘Du bist Petrus und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen. … Und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen.‘“ Und dann schaut er noch einmal aus nach dem Lutherdenkmal, das doch so trutzig neben dem Dom errichtet wurde. Und was sieht er dort von der Ferne? Den Dom und sonst - nichts! Wo die wahre Kirche, und wo die Pforten der Hölle sind, war damit wieder klar.
  4. Ja, in der Tat: Ein wenig ist der Dom aus demselben trutzigen Geist erbaut worden, wie 850 Jahre später das Lutherdenkmal. Bewusst hatte man den Dom – wie schon seinen Vorgänger – über dem römischen Forum errichtet, dort, wo einst die heidnischen Tempel standen. Deutlicher konnte man den Sieg des Christentums über die alten heidnischen Götter kaum manifestieren. Und in der Tat sollte der Bau selbst genau das aussagen, was Professor Hundhausen in ihm sah: die auf dem höchsten Felsen errichtete Kirche Gottes, eine feste, unerschütterliche, unüberwindliche Burg, der die Mächte der Hölle und Unterwelt nichts anhaben können: „Du bist Petrus, der Fels, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen!
  5. Eine feste Burg, ein Bollwerk gegen alle feindlichen Mächte des Bösen: genau so hat Bischof Burchard seinen Dom konzipiert. Und tatsächlich vermittelt er das bis heute. Egal, von wo man auf Worms zufährt: immer sieht man schon aus der Ferne, alles andere überragend, den Dom, der mit seinen vier Flankentürmen aussieht wie eine mächtige mittelalterliche Burganlage, eine Festung: „Ein feste Burg ist unser Gott!“ Für den mittelalterlichen Menschen hatte das aber nichts Triumphalistisches. In einer Zeit, in der das Leben auf vielfältige Weise gefährdet war, sollte der Dom vor allem Sicherheit vermitteln: Ein Zufluchtsort, ein Raum, in dem ich mich geschützt, geborgen fühlen darf. So wenig, wie Luthers Lied ursprünglich als Trutz- und Kampflied gemeint war, sondern als Einladung zum Vertrauen in Gott, der für uns wie eine schützende, alles Böse abwehrende Burg ist, so sollte der Dom den Menschen vermitteln: hier, im Haus Gottes, bin ich sicher, geborgen. Hier, bei Gott, kann mir das Böse in dieser Welt nichts anhaben. Eine feste Burg, ein Bollwerk gegen die Mächte des Bösen sollte der Dom sein – und genau das, diese Geborgenheit, diesen Schutz vermittelt er bis heute.
  6. Und wenn die Welt voll Teufel wär und wollt uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr“, heißt es in Luthers Lied weiter. Wer auf Gott vertraut, dem kann der Teufel, ja eine ganze Welt voller Teufel nichts anhaben, der braucht sich nicht zu fürchten, wenn die Grundfesten der Erde auch wanken, wenn über uns die wilden Wasser tosen und schäumen, wie es im Psalm heißt. Genau das ist die Botschaft, die der Dom als Bauwerk vermitteln möchte. Nicht umsonst haben die alten Baumeister ihn außen mit allen möglichen Teufeln und Bestien geschmückt, ganz besonders eindrucksvolle Monster, Raubtiere und Teufel am Westchor, zwischen den Säulen der Zwerggalerie. Es ist, als wollten sich die Bildhauer und Baumeister lustig machen über die Teufel und Mächte des Bösen. „Ihr kommt hier nicht rein!“, sagen uns diese Bestien. „Ihr müsst draußen bleiben!“ Hier innen finden sich solche bedrohlichen Tiere nicht.  Und wenn doch, dann sind sie gezähmt, bezwungen: wie der Teufel, den die heilige Juliana in dem leider sehr verborgenen wunderschönen romanischen Relief hier oben im Ostchor wie ein Schoßhündchen an der Leine führt. Das Böse kann hier nicht rein. Christus hat es längst besiegt. Das will der Dom den Menschen vermitteln. Hier, bei Gott seid ihr sicher. „Völker toben, Reiche wanken“, heißt es weiter in dem Psalm, der für Luther die Vorlage zu seinem Liedtext war: Aber wir fürchten uns nicht, denn unser Gott ist unsere Burg!
  7. Wenn Steine reden“: für die Menschen vor tausend Jahren hatte der gewaltige Dombau eine unüberhörbare Botschaft. In einer Zeit, als die Menschen größtenteils in einfachen Lehmhäusern und Hütten wohnten, war dieses gewaltige Bauwerk aus mächtigen Steinen ein Symbol der Sicherheit: Hier finde ich Zuflucht, hier bin ich sicher. Hier kann mir kein Teufel, nichts Böses, keine Mächte des Schicksals etwas anhaben. Aber auch, als am 21. Februar 1945 in den Türmen des Doms die Menschen Zuflucht suchten vor den Bomben, als die mächtigen Mauern im Bombenhagel erzitterten, da haben die Menschen genau das hier gespürt: Gott ist unsere Zuflucht, unser Schutz! Bis heute, in unserer Zeit der Wolkenkratzer und der Hochtechnologie, hat der Dom diese Faszination nicht verloren. Menschen, die hierher kommen, die in den Dom eintreten, empfinden auch heute ganz unwillkürlich dieses Gefühl der Geborgenheit, der Sicherheit. Letztlich kommt das aber nicht von den teilweise meterdicken Mauern, den stabilen Gewölben, die im Laufe der Jahrhunderte manchen Kriegen und Katastrophen getrotzt haben. Sondern dieses Gefühl der Sicherheit kommt daher, dass, wer hier eintritt, einfach spürt: Hier bin ich in einer anderen Welt. Hier bin ich im Haus Gottes, in einem Raum, der Schutz und Geborgenheit bietet, nicht, weil die Baumeister ihn so stabil gebaut haben, sondern weil Gott selbst unsere Burg ist. Der mächtige Dom mit seinen Mauern und Steinen ist letztlich nur ein Bild, ein Symbol für den, der uns wirklich, weit mehr als dicke Mauern, hohe Türme und das Böse vertreibende Bestien in den Galerien Sicherheit, Geborgenheit und Schutz geben kann: nämlich Gott. Er ist es, der durch seinen Sohn, durch sein Leiden und Sterben am Kreuz und durch seine Auferstehung die Macht des Bösen besiegt hat: „Jetzt wird Gericht gehalten, jetzt wird der Herrscher der Welt hinausgeworfen werden!“ (Joh 12, 31) sagt Jesus im Evangelium. Er ist es, der uns Schutz und Geborgenheit schenkt, einfach weil er uns liebt: „Ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein!“ (Jer 31,33). Das ist die Botschaft, die große Einladung, für die der Dom steht: Tretet ein in den Raum, wo ihr Gott begegnen könnt, tretet ein in die Gemeinschaft mit Gott! Nichts in dieser Welt, kein noch so stabiler Bunker, keine noch so trutzige Festung kann diese Sicherheit geben, die uns Gottes Liebe schenken kann.
  8. Wenn Steine reden“ – ja, wenn die Steine unseres Domes anfangen zu reden, dann sind sie fast nicht mehr zu stoppen. Ich glaube, ich könnte jeden Sonntag des Jubiläumsjahres eine Predigt zu diesem Thema halten, und es gäbe immer wieder etwas Neues hier im Dom zu entdecken. Buchstäblich jeder Stein, jedes Kunstwerk hat eine Bedeutung, eine Botschaft, die es zu entschlüsseln und zu verstehen gilt. Das macht gerade die Faszination dieses Domes aus, der gerade deshalb wirklich und ohne Zweifel der Schönste ist. Und nicht nur für uns Wormser. Amen.

 

Predigtreihe Wenn Steine reden (c) PG Dom St. Peter und St. Martin
Predigtreihe Wenn Steine reden (c) PG Dom St. Peter und St. Martin
Predigtreihe Wenn Steine reden (c) PG Dom St. Peter und St. Martin
Predigtreihe Wenn Steine reden (c) PG Dom St. Peter und St. Martin
Predigtreihe Wenn Steine reden (c) PG Dom St. Peter und St. Martin
Predigtreihe 2018 (c) PG Dom St. Peter und St. Martin
Predigtreihe 2018 (c) PG Dom St. Peter und St. Martin