25. September 2022
Mitwirkende:
Hauptzelebrant: Apostolischer Nuntius, Erzbischof Dr. Nikola Eterović
Konzelebranten: Bischof Dr. Peter Kohlgraf, Mainz Tobias Schäfer, Propst am Dom zu Worms Msgr. Dr. Yean Choong P. Johannes Zabel, OP Maximilian Wagner, Pfarrer
Diakone: Matthias Kirsch Hans-Jürgen Springer
Kantorin: Ute Linner
Lektorin: Martina Bauer
Organist: Domkantor Dan Zerfaß
Dombläser: Leitung Volker Günther
Predigt S.E. Apostolischer Nuntius
Erzbischof Dr. Nikola Eterović
(Am 6,1.4-7; Ps 146; 1 Tim 6,11-16; Lk 16,19-31)
Worms, 25. September 2022
900 Jahre Wormser Konkordat
„Christus Jesus, der vor Pontius Pilatus das gute Bekenntnis abgelegt hat“
(1 Tim 6,13).
Exzellenz!
Liebe Schwestern und Brüder!
Die Einladung Seiner Exzellenz Mons. Dr. Peter Kohlgraf, dem Bischof der verehrten Diözese Mainz, und von Propst Tobias Schäfer, dieser Heiligen Messe aus Anlass der 900-Jahr-Feier des Wormser Konkordates vorzustehen, habe ich gerne angenommen. Nach dem Dank an den dreieinen Gott für dies große kirchliche und politische Ereignis des Austausches der Dokumente am 23. September 1122 hier in Worms gibt es mir die Gelegenheit, zu diesem Anlass die sehr herzlichen Grüße des Heiligen Vaters Franziskus zu übermitteln, des Bischofs von Rom und Hirten der Universalkirche, den ich die Ehre habe, in der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten. Als Zeichen der tiefen Verbundenheit in der Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe mit dem Papst, der das Symbol der Einheit der Kirche ist, erteile ich Euch mit Freude am Ende der Eucharistiefeier den Apostolischen Segen.
Offen für den Heiligen Geist, der zur Einsicht des Wortes Gottes führt, das verkündet worden ist, möchte ich beim Zeugnis Jesu vor Pontius Pilatus verweilen (I), wie auch bei der Goldenen Regel für das Zusammenleben der Menschen, die Jesus zur Vollendung geführt hat (II).
In der zweiten Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an seinen Schüler Timotheus haben wir einen bedeutenden Text vernommen, der gleichsam als Bekräftigung der Existenz Gottes zwischen politischer Macht und religiöser Vollmacht unterscheidet, also zwischen weltlicher und geistlicher Autorität. „Ich gebiete dir bei Gott, von dem alles Leben kommt, und bei Christus Jesus, der vor Pontius Pilatus das gute Bekenntnis abgelegt hat und als Zeuge dafür eingetreten ist: Erfülle deinen Auftrag rein und ohne Tadel, bis zum Erscheinen Jesu Christi, unseres Herrn, das zur vorherbestimmten Zeit herbeiführen wird der selige und einzige Herrscher, der König der Könige und Herr der Herren, der allein die Unsterblichkeit besitzt, der in unzugänglichem Licht wohnt, den kein Mensch gesehen hat noch je zu sehen vermag: Ihm gebührt Ehre und ewige Macht. Amen“ (1 Tim 6,13-16).
Der Völkerapostel unterstreicht die Einzigkeit Gottes, der „einzige Herrscher, der König der Könige, Herr der Herren“ (1 Tim 6,15). Dieser übersteigt alles und wohnt in unzugänglichem Licht, kein Mensch kann ihn sehen. Aber jener Gott hat sich in Jesus Christus offenbart, der das seit Beginn der Zeit tief verborgene Geheimnis in der Fülle der Zeiten erschlossen hat (vgl. Röm 16,25-26). Dank der Offenbarung Jesu Christi haben wir erfasst, dass Gott nicht nur ein Souverän, ein König der Könige oder Herr der Herren ist, sondern der Vater Jesu und aller Menschen. Er ist kein unzugänglicher Solitär, sondern er lebt in der liebenden Beziehung von Sohn und Heiligem Geist im Geheimnis des dreieinen Gottes. In seiner großen Güte ruft uns Gott zur Teilnahme an seinem göttlichen Leben schon in dieser Welt, vor allem durch das Sakrament der Taufe.
Im erwähnten Text wird auch eine geschichtliche Gestalt genannt, Pontius Pilatus, welcher in den Jahren 26 bis 36 nach Christus Statthalter von Kaiser Tiberius in der römischen Provinz Judäa war und eine bedeutsame politische Rolle spielte. Wie wir aus den Berichten der vier Evangelien wissen, hat Pontius Pilatus Jesus zum Tod verurteilt, obwohl er keine Schuld bei ihm gefunden hatte (vgl. Lk 23,4; Joh 18,38). In besonderer Weise ist an das Gespräch des unschuldig angeklagten Jesus und des beeinflussbaren Richters Pilatus zu erinnern. Bevor Jesus die Frage: „Bist du der König der Juden?“ (Joh 18,33) bejaht, erläutert er die geistliche Natur seines Königtums: „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Wenn mein Königtum von dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde. Nun aber ist mein Königtum nicht von hier“ (Joh 18,36). Daher müssen Pilatus, der Römische Kaiser und die Herrscher aller Zeiten Jesus Christus und seine Macht nicht fürchten, jedenfalls nicht deswegen, dass er ihnen ihre Autorität streitig macht.
Trotzdem wurde Jesus zum Tode verurteilt. Er hat die Wahrheit über Gott und seine Natur, wie auch die menschliche Natur geoffenbart, und dafür wurde er gekreuzigt, womit er das gute Zeugnis ablegt. Wir wissen aus dem, was Jesus lehrt, dass er nicht gegen den Kaiser, die politische oder weltliche Macht war, doch spricht er dieser Macht keine göttliche Vollmacht zu. Es gibt nur einen Gott, den die Menschen verehren sollen, während die Herrscher dieser Welt diesen Gehorsam respektieren müssen. Hierzu bleibt die Aussage des Herrn Jesus grundlegend: „So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört“ (Mt 22,21). Um diese Aussage in rechter Weise zu verstehen, sind Jahrhunderte in der Geschichte vergangen, unruhige Zeiten voller Auseinandersetzungen zwischen weltlicher und geistlicher Macht. Die ersten Christen wollten sich nicht am römischen Kaiserkult beteiligen und trugen so nach der göttlichen Vorsehung zur ausgeglichenen Beziehung zwischen geistlicher und politischer Macht bei. Nachdem mit dem Toleranzedikt von Mailand im Jahr 313 auch für die Christen die Religionsfreiheit galt, verlagerten sich die Kämpfe der beiden Mächte auf andere Gebiete, und diese waren wiederum gewalttätig. Zusammenfassend können wir sagen, dass beide Seiten sich exzessiv gebärdet haben, insofern die kirchliche Macht als zeitliche Macht die politische Gewalt unterwerfen wollte, wie auch die weltliche Macht die geistliche zu bezwingen suchte, was man Cäsaropapismus nennt.
Von großer Bedeutung in der Geschichte der Beziehungen zwischen Kirche und Staat war das sogenannte Konkordat von Worms, jener Pactum Calixtinum sive Heinricianum, das Abkommen zwischen dem Papst und dem Kaiser, mit dem die Zeit der Auseinandersetzungen um die Investitur endet, was vor allem das Recht der Ernennung und Bestellung von Bischöfen meint. Die beiden Hauptfiguren dieser Verständigung waren der Salier Heinrich V., seit 1106 römischer-deutscher König und von 1111 bis 1125 römisch-deutscher Kaiser, und Papst Calixtus II. aus dem Hause Burgund (1119-1124). Seit Gottfried Wilhelm Leibniz wird dieser Austausch der Urkunden Wormser Konkordatgenannt (1693). Es kann in gewisser Weise als erstes Konkordat in einer langen Reihe von Abkommen gelten, welche die Beziehungen zwischen der Katholischen Kirche und den jeweiligen Staaten regeln. Es handelt sich dabei um ein erprobtes Instrument, das in 79 Staaten Gültigkeit hat, einschließlich von 14 der deutschen Länder. Für die Kirche ist wesentlich, dass ein Staat die Religionsfreiheit sichert und es klare Regeln über die wechselseitigen Kompetenzen von Kirche und Staat gibt, vor allem auf den Gebieten, wo beide tätig sind (res mixtae), so bei der Bildung und Erziehung (staatlicher Religionsunterricht oder katholische Schulen), im Gesundheitswesen (Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen) oder Einrichtungen der Caritas für Behinderte, Jugendliche oder ältere Menschen. Von vitalem Interesse für die Katholische Kirche ist die Freiheit bei der Ernennung von Bischöfen.
das tut auch ihr ihnen“ (Lk 6,31; Mt 7,12).
Mit der Goldenen Regel können wir die Botschaft Jesu Christi in der Erzählung vom namenlosen reichen Mann und dem armen Lazarus im heutigen Evangelium zusammenfassen. Der Reiche, „der sich in Purpur und feines Leinen kleidete und Tag für Tag glanzvolle Feste feierte“ (Lk 16,19), und Lazarus, der vor der Tür des Reichen lag und dessen Leib voller Geschwüre war und der seinen Hunger gerne mit dem gestillt hätte, „was vom Tisch des Reichen herunterfiel“ (Lk 6,21). Diese Situation lässt sich offensichtlich nicht in das ewige Leben übertragen, denn wir hören, dass Lazarus starb und „von den Engeln in Abrahams Schoß getragen wurde“ (Lk 16,22), der Reiche hingegen kam nach seinem Tod in die Unterwelt (vgl. Lk 16,22). Gott verurteilt den Reichen wegen seines fehlenden Mitleids für den armen Lazarus.
Ebenso hat Gott durch den Propheten Amos die Reichen in Israel wegen ihrer Sorglosigkeit und ihrem Desinteresse am Gemeinwohl getadelt, weil sie der „Untergang Josefs“ nicht kümmert (Am 6,6). Der Prophet Amos geißelt mit Nachdruck die Mächtigen und Reichen, weil sie selbst noch die Ärmsten im Land zu Boden trampeln, sie ausbeuten und vernichten (vgl. Am 8,4-6). Der Prophet kündigt die Vergeltung Gottes an: „Keine ihrer Taten werde ich jemals vergessen“ (Am 8,7).
Die vom Propheten Amos beschriebene Ungerechtigkeit meint auch die staatlichen Autoritäten. Sie sollen sich um das Gemeinwohl kümmern, eingebettet in einen Rechtsstaat, der Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit für alle Bewohner garantiert. Mit den ihnen zur Verfügung stehenden Instrumenten sollen die politisch Verantwortlichen die Menschen vor einem schlechten Leben, vor Sklaverei in jeder Form, vor Korruption und Ausbeutung bewahren, sowie jene bestrafen, die sich schwerer Verbrechen gegen einzelne Personen oder die Gesellschaft schuldig machen. Ein solcher Staat wirkt schon vor dem Christentum in der Welt nach der bekannten Maxime: „Was du nicht willst, dass man dir tut, das füge auch keinem anderen zu“.
Für die Kirche, wie auch für religiöse Menschen insgesamt ist diese Maxime gültig, aber nicht ausreichend. Denn mit ihr könnte sich auch der Reiche rechtfertigen: er lebte zwar täglich in Saus und Braus, aber damit tut er eigentlich nichts Böses. Aber das ist eben nicht genug: ein gläubiger Mensch und besonders ein Jünger Jesu Christi kann sich nicht mit Nichtstun rechtfertigen. Wie sein Meister, so muss auch der Jünger ein gutes Glaubenszeugnis geben gemäß der Mahnung Jesu: „Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihnen“ (Mt 7,12); mehr noch: „Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe“ (Joh 15,12). Daher kann er nicht untätig bleiben angesichts des Leidens seiner Brüder und Schwestern, die in seiner Nähe leben, aber auch in den armen Ländern, und seine Hilfe brauchen. Die Katholische Kirche sorgt sich stets um diese Menschen. Jeder von uns ist aufgerufen, nach seinen Möglichkeiten dazu beizutragen, dass es weniger Hunger und weniger Krankheiten in der Welt gibt und alle Menschen Zugang zu Trinkwasser haben, auf dass alle ein menschenwürdiges Leben in ihrer Heimat haben.
Die Kirche hat die Pflicht, ihre Mitglieder zu guten Christen zu erziehen, was bedeutet, die göttlichen Tugenden von Glaube, Hoffnung und Liebe zu leben, wie auch die Kardinaltugenden von Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Zucht und Maß zu üben. Diese Tugenden finden sich auch außerhalb der Kirche und im Schoß der Gesellschaft und bilden eine Richtschnur für das Gute, das zu tun, wie für das Böse, das zu vermeiden ist. Hiervon profitieren auch die Verantwortlichen einer Gesellschaft. In einer genügend homogenen Gemeinschaft müssen sie nämlich nicht jede ihrer Tätigkeiten rechtfertigen, die den Frieden und die soziale Gerechtigkeit zum Ziel hat oder die das Gemeinwohl fördert.
Liebe Brüder und Schwestern, die Erinnerung an das Wormser Konkordat lässt uns im Licht des Wortes Gottes die Aktualität der Hauptthemen der Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche bedenken. Sie sind aktuell bis heute und Gott sei Dank gültig und werden auch in Deutschland angewendet. Abschließend möchte ich die Bedeutung der Religionsfreiheit unterstreichen, die nicht abstrakt zu betrachten ist, sondern vor allem in der Umsetzung in die Praxis, in das Leben der Menschen. Ich beziehe mich auf den Respekt vor der Gewissensfreiheit des medizinischen Personals, das sich nicht an Taten gegen die christliche Moral beteiligen will, so an Abtreibungen, Sterbehilfe, Genmanipulation und so weiter. In diesem Zusammenhang ist klar, dass der Staat beispielsweise den Bruch des Beichtgeheimnisses nicht verlangen darf. In jedem Fall aber bleibt die Kirche offen für den Dialog mit den staatlichen Autoritäten in allen Fragen und mit dem Ziel, gemeinsam angemessene Lösungen zu finden, welche die Autonomie von Kirche und Staat respektieren. Beide setzen sich für das Wohl derselben Menschen ein, die zu einem großen Teil sowohl Gläubige wie Staatsbürger sind. Amen.