Schmuckband Kreuzgang

Fronleichnam - Impressionen und Predigt

2023 Fronleichnam (c) Pfarrgruppe Dom St. Peter und St. Martin
2023 Fronleichnam
Datum:
Do. 8. Juni 2023
Von:
Martina Bauer

FRONLEICHNAM 2023 LJ A                                                                                    08.06.2023

(Dom)                                                                                  zu: Dtn 8,2-3.14-16a & Joh 6, 51-58

 

Die Kirche: Der mobile Tabernakel Gottes

 

  1. Fronleichnam gehört wahrscheinlich zu den katholischsten Festen. Für viele ist die Prozession mit Fahnen, Blasmusik, den blumenstreuenden Kindern, mit Blumenteppichen und bunten Gewändern, mit der goldenen Monstranz unter dem Tragehimmel, das letzte Überbleibsel der alten Volkskirche, der Kirche, wie wir sie von früher kennen, wie sie viele im Herzen tragen wie eine Sehnsucht aus längst vergangenen Zeiten. Für manche freilich ist sie auch der letzte Zopf einer triumphalistischen, klerikalistischen Kirche, der längst abgeschnitten gehört. So scheiden sich auch an Fronleichnam und der Fronleichnamsprozession, wie an so vielem in unserer Kirche, die Geister. Ich persönlich liebe Fronleichnam und die Prozession und all das damit verbundene Brauchtum – sicher, weil es auch für mich die sehnsüchtige Erinnerung an eine Form von Kirche weckt, mit der ich groß geworden bin, die mich geprägt hat. Aber auch, weil die Prozession in all dem Wandel, den Glaube und die Kirche durchmachen, eine neue und wie ich finde starke Bedeutung bekommen hat. Es ist ja längst nicht mehr die eindrucksvolle Demonstration einer die Gesellschaft prägenden Kirchen. Wir ziehen ja schon seit Jahren nicht mehr durch Fahnengeschmückte Straßen, vorbei an Häusern, wo die Menschen liebevoll ihre privaten Fronleichnamsaltärchen ausgestellt haben. Diese Zeiten sind längst vorbei. Die Prozession hat heute etwas von Bekennermut: Wir trauen uns, in einer Welt, die uns die kalte Schulter zeigt, die dem Glauben gleichgültig, manchmal gar ablehnend gegenüber steht, zu Christus, zu unserem Glauben zu stehen. Und, ja, auch zur Kirche, die eben mehr ist als nur Skandale. Die Prozession durch leere Straßen, vorbei an Menschen, die uns wie Exoten fotografieren, vorbei an Fenstern, aus denen eben gerade aufgestandene Leute im Unterhemd verwundert rausschauen, wer denn da am Feiertag, wenn man ausschlafen kann, Krach macht auf der Straße: diese Prozession macht für mich so unglaublich stark deutlich, wie sich die Zeiten gewandelt haben, aber auch, was eigentlich Auftrag von Kirche ist: Jesus in die Welt zu tragen. Dorthin, wo man ihn nicht kennt, nicht mehr kennt. All diesen Menschen, die sich verschlafen die Augen reiben, zuzurufen, dass Gott sie liebt, ob sie es nun für wahr halten oder nicht. Und Gottes Segen unter die Menschen tragen. Es ist ein wenig so, wie zur Zeit Jesu: Jesus hat auch nicht gewartet, dass die Menschen zu ihm kommen, er hat sich auf den Weg gemacht, in die Dörfer und Städte seiner Zeit. Darum geht es, heute wie damals: dass wir Jesus zu den Menschen bringen.
  2. Was wäre aber die Fronleichnamsprozession ohne den Himmel? Er ist vielleicht das stärkste Symbol für Fronleichnam, für das traditionelle Brauchtum. Aber der Tragehimmel ist soviel mehr als ein Relikt der Volksfrömmigkeit. Er erinnert ja an das Offenbarungszelt, mit dem das Volk Israel einst durch die Wüste zog. Überall, wo das Volk auf seinem Weg Halt machte, wo man campierte, wurde das Offenbarungszelt aufgeschlagen, als Ort, wo Gott wohnt. Mitten im Camp der Israeliten, zwischen ihren Zelten, stand das Zelt Gottes, wohnte Gott. Für die Israeliten war es ein wichtiges Zeichen: Gott ist mit uns auf dem Weg! Gott wohnt nicht im Himmel, er wartet auch nicht im Gelobten Land, am Ziel auf uns: nein, er ist mit uns auf dem Weg, selbst in der Wüste.
  3. Den Aufbewahrungsort für die heilige Eucharistie in unseren Kirchen, den goldenen Schrein, in dem wir das Heilige Brot, das Allerheiligste aufbewahren, nennen wir „Tabernakel“, also übersetzt: „Zelt“. Auch hier wieder die Anspielung auf das Offenbarungszelt. Der Tragehimmel in der Fronleichnamsprozession ist also so etwas wie der mobile Tabernakel – wobei das genau genommen doppelt-gemobbelt ist: denn das Offenbarungszelt, der Tabernakel in diesem Sinn ist immer mobil, ist das Sinnbild eines Gottes, der nicht sesshaft sein will, der unterwegs sein will.
  4. Deswegen finde ich diese Symbolik in der Fronleichnamsprozession so aktuell und alles andere als bloß eine nostalgische Erinnerung an altes Brauchtum. Wir stehen gerade in einer Zeit des Umbruchs. Wir spüren an allen Ecken und Enden, das die alte Form von Kirche brüchig geworden ist und so nicht mehr trägt. So schmerzlich das ist: dieses Abschiednehmen müssen von Vertrautem, von Liebgewonnenem. Auch wenn wir vom Kopf her wissen, dass es so wie früher nicht mehr werden wird: es tut weh, von der Volkskirche Abschied zu nehmen, von dieser Form von Kirche, wo es so selbstverständlich war, gemeinsam zu glauben, wo wir uns in der Kirche als große Gemeinschaft erlebt haben, Geborgenheit gefühlt haben in den vertrauten Ritualen.
  5. Gott verlangt von uns, dass wir all das Vertraute hinter uns lassen – so wie er sein Volk aus der vertrauten Umgebung immer wieder herausgeführt hat; so wie er von Abraham erwartet hat, dass er seine Heimat, seine vertraute Umgebung, verlässt und sich auf den Weg macht in ein unbekanntes Land, in dem er als Fremder lebt. So wie er von seinem Volk verlangt, das vertraute Umfeld zu verlassen und es durch die Wüste führt, 40 Jahre lang, wahrlich kein Spaziergang. Durch Hunger, durch Dürre und Wüste habe er sein Volk gefügig gemacht, heißt es in der Lesung. Ich deute das so, dass Gott seinem Volk zugemutet hat, dass erst das Alte zerbrechen musste, damit es offen wurde für das neue, das Unbekannte. Erst als kein Krümel Brot mehr da war und das Volk hungerte, waren sie offen und empfänglich für das Manna in der Wüste; erst als es in der ausgedörrten Wüste vor Durst fast verging, was es offen und empfänglich für das Wasser, das Gott seinem Volk aus den Felsen sprudeln ließ.
  6. Ja, manchmal muss das Vertraute uns erst genommen werden, damit wir offen werden für das Neue, zu dem Gott uns führen will. Erst einmal muss die alte Volkskirche zerbrechen, die Kirche, zu der die Menschen wie selbstverständlich kamen, in der jeder ganz selbstverständlich seine Kinder taufen ließ, damit wir uns auf den Weg machen und entdecken, wo Gott uns heute begegnen will: unterwegs, mitten unter den Menschen. Damit wir wieder beweglich werden, bereit zum Aufbruch, bereit, Gott unter die Menschen zu tragen.
  7. Ja, es ist in vielerlei Hinsicht auch eine Wüstenzeit, in der wir momentan als Kirche unterwegs sind. Aber Jesus Christus ist mit uns auf dem Weg – in der Fronleichnamsprozession ist das so wunderbar erlebbar. Mir macht das Mut für alles, was kommt. Der Tragehimmel als Symbol für eine Kirche, die sich nicht länger einrichtet, es sich nicht bequem macht in toll renovierten Kirchen und Domen, in modern ausgestatteten Gemeindezentren, mit Fußbodenheizung und Klimaanlage, sondern die sich auf die staubigen Straßen begibt, die unterwegs ist, immer bereit neu aufzubrechen. Der Tragehimmel als mobiler Tabernakel: gibt es ein schöneres Symbol für eine Kirche auf dem Weg. Und wenn wir uns dann noch bewusst machen, dass uns das heilige Sakrament, das wir an Fronleichnam verehren, nicht geschenkt ist zuerst zur Anbetung, zur Aufbewahrung in den Kirchen und Tabernakeln, sondern für die Kommunion; wenn wir uns bewusst machen, dass wir so selbst, wenn der Herr zu uns kommt, wenn er in unseren herzen wohnt, zum mobilen Tabernakel werden, in dem Christus mitten unter den Menschen gegenwärtig bleibt: dann ist mir vor der Zukunft nicht bange.
  8. Nein, ich bin nicht blauäugig: die nächsten Jahre werden für uns alle, für unsere Gemeinden, für die ganze Kirche in Deutschland eine schwere Zeit. Aber trotzdem bin ich nicht bange: Gott führt uns auf dem Weg durch die Wüste und er ist bei uns. Und der Weg hat ein Ziel, das uns voraus liegt: das Gelobte Land, die Verheißung, die Gott uns gegeben hat: Ich bin bei euch! Alle Tage! Was wollen wir denn noch mehr?

Fronleichnam 2023

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