Schmuckband Kreuzgang

Nicht einladende Kirche, sondern eine, die bei den Menschen sein will

31. Sonntag im Jahreskreis (c) Martina Bauer
31. Sonntag im Jahreskreis
Datum:
Sa. 29. Okt. 2022
Von:
Martina Bauer

31. Sonntag im Jahreskreis

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  1. Sonntag, LJ C, 29./30.10.2022 zu: Lk 19, 1-10

(BH & Dom)                                                                                                                                 

 

Nicht einladende Kirche,

sondern eine, die bei den Menschen sein will

 

  1. Die Geschichte vom kleinen Zachäus fasziniert mich seit meiner Erstkommunionvorbereitung. Ich erinnere mich noch gut, dass wir die Geschichte damals mit Bildern gelegte haben: der kleine Zachäus, der nicht über die Großen hinwegsehen konnte: mit dem konnte ich mich damals als 9jähriger so gut identifizieren. Und wie habe ich Jesus dafür geliebt, dass er ausgerechnet den Kleinen gesehen hat, dass er ausgerechnet sein Freund sein wollte. Die Geschichte hat mich seitdem nie mehr losgelassen. Aber immer waren es andere Aspekte, die mich fasziniert haben: der Zachäus als der Sünder, mit dem Jesus dennoch Gemeinschaft pflegt – in Lebensphasen, in denen ich mir so unwürdig und unvollkommen vorkam. Oder die Mahlgemeinschaft, das große fest, das Jesus mit Zachäus und seinen Freunden feiert, in Lebensphasen, in denen mir die Gemeinschaft wichtig war, die Gemeinschaft am Tisch des Herrn.
  2. Heute hat sich meine Sichtweise noch einmal ganz verändert. Ich sehe mich, als Teil der Kirche, eher in den Menschen, die dem Zachäus den Weg, die Sicht auf Jesus verstellen. Wegen der Kirche und ihren Amtsträgern treten heute scharenweise Menschen aus der Kirche aus. Und bringen damit ja genau das zum Eindruck: die Kirche hilft mir nicht mehr, zu Jesus zu finden, sondern sie verstellt mir den Blick auf ihn. Und das ist eine Sichtweise, die mich erschüttert. Denn eigentlich bin ich doch angetreten, um Menschen einen Zugang zu Jesus zu ermöglichen. Ich habe es schon öfters auch in Predigten erzählt: mein Leitbild sind die vier Männer, die in einer anderen Erzählung einen Gelähmten zu Jesus bringen wollen; und weil ihnen der Weg durch die vielen Menschen versperrt ist, steigen sie auf das Dach, schlagen das Dach ein und lassen ihn von dort aus unmittelbar vor Jesus herunter. Menschen mit Jesus und seiner heilenden, befreienden Botschaft in Berührung zu bringen, und dazu auch ungewöhnliche Wege zu gehen, ja, wo der Weg versperrt ist, einen neuen Zugang zu öffnen: so sollte Kirche sein. So will ich als Seelsorger sein. Aber die Realität heute ist eher die, wie sie in der Erzählung von Zachäus deutlich wird: Als Kirche, wie sie sich heute präsentiert, mit ihren moralischen Normen, die andere scheinbar verurteilt, die gleichsam von oben herab auf die übrige Welt schaut mit dogmatischer Überheblichkeit, als Kirche der Skandale und der permanenten Beschäftigung mit sich selbst, verstellen wir den Menschen die Sicht auf Jesus und den Zugang. Eine Kirche, die im Weg steht, statt Zugänge, Wege zu eröffnen. Das ist erschütternd. Aber es ist leider heute vielfach die Realität.
  3. Und dann ist da Zachäus: ein Schlitzohr, ein Sünder, einer, der andere Menschen rücksichtslos übervorteilt, der nur den eigenen Profit sieht. Und der zudem noch zu klein geraten ist. Aber in dessen Herzen dennoch eine Sehnsucht lebendig ist, die Sehnsucht nach mehr, nach Größe vielleicht, nach Anerkennung, nach Wertschätzung, nach gelibt sein. Eine Sehnsucht, die wohl in jedem von uns wohnt. Diese Sehnsucht treibt ihn an, Jesus sehen zu wollen. Und er ist clever: wo die Menschen ihm den Weg versperren, weiß er sich zu helfen: er steigt auf den Baum. Von oben herab, wo er selbst nicht wirklich gesehen wird, versteckt zwischen dem Laub, von dort will er Jesus sehen.
  4. Und dann passiert das Unglaubliche: Jesus sieht in der ganzen Menschenmenge, in all dem Gedränge ausgerechnet ihn. Er geht nicht achtlos vorüber. Er bleibt unter dem Baum stehen, schaut ihn an und holt ihn herunter, den kleinen Mann von seinem hohen Ross. „Komm schnell herunter, denn ich muss heute in deinem Haus bleiben. Bei dir will ich zu Gast sein!“ Und dann wieder die Leute drumherum: die empören sich: Er muss doch wissen, was das für einer ist. Ausgerechnet mit so einem gibt er sich ab! Ist das nicht wieder die Kirche, wie sie sich vielfach heute präsentiert: diese Überheblichkeit, mit der wir denken, wir sind der heilige Rest, die letzten Reinen und Frommen, während die böse Welt draußen sich so schäbig vom Glauben und von Christus distanziert, während es bei allen anderen doch nur noch um Profit, um Wohlstand, um Spaß und Selbstverwirklichung geht.
  5. Mit der Erzählung von Zachäus hält uns der Evangelist Lukas den Spiegel vor. Sind wir als Kirche nicht oft wie die Pharisäer zur Zeit Jesu, die sich für moralisch besser halten, für frömmer, die Freunde Jesu eben, die, die es verdient haben, dass Jesus bei ihnen ist. Aber Jesus lässt sich nicht auf dieses Spiel ein. Er zeigt uns, wie Kirche eigentlich sein sollte, sein müsste. Eine Kirche, die die Kleinen nicht übersieht. Eine Kirche, die sich gerade dem Sünder zuwendet. Eine Kirche, die im Herzen der Menschen die Sehnsucht erkennt, Jesus zu sehen, kennenzulernen, ihm zu begegnen. Und eine Kirche, die mit denen, die draußen stehen, den Kleinen, den Sündern, Gemeinschaft pflegt, die auf sie zugeht.
  6. In all unseren Reformdebatten, in allen Überlegungen, wie wir uns als Kirche erneuern und neu aufstellen müssen, müsste es darum gehen: wie können wir nach dem Beispiel Jesu eine Kirche werden, die die Kleinen, die Sünder sieht und herunter holt, um ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Die nicht zuerst den Sündern sieht, sondern die Sehnsucht nach Geliebt werden in seinem Herzen. Im Grunde stellt die Erzählung der Begegnung von Jesus und Zachäus unsere ganzen Pastoralprogramme und ganzes Verständnis von Seelsorge und Gemeinde auf den Kopf. Wir fragen immer, wie wir eine einladende Gemeinde werden können. Eine Kirche, die alle einlädt. Und wir sind bitter enttäuscht, wenn wir im Gegenteil die Erfahrung machen, dass trotz aller ehrlichen Bemühungen immer weniger kommen, immer mehr wegbleiben. Jesus geht den umgekehrten Weg. Er lädt den Zachäus nicht ein, sondern er geht zu Zachäus: „In deinem Haus muss ich heute bleiben!“ Also müsste die Frage für uns nicht lauten: Wie werden wir eine einladende Gemeinde? Sondern: Wie gelingt es uns, dass wir uns mutig, liebevoll, mit echtem Interesse am Leben der Menschen, bei ihnen einladen? Haben wir den Mut, bei den Menschen, und zwar auch und gerade bei den Sündern, zu Gast zu sein? Und wenn wir das weiter denken, dann müssten wir uns als Gemeinde nicht länger fragen: Wie gestalten wir unser Pfarrfest so einladend, dass die Menschen zu uns kommen? Sondern: Wo feiern die Menschen unserer Tage ihre Feste und wie sind wir sichtbar als Kirche mit dabei? Nicht: Wie gestalten wir unsere Gottesdienste so attraktiv, dass die Menschen gern kommen? Sondern: wie können wir in der Lebenswelt der Menschen unserer Tage mit unserem Glauben, mit unserer Überzeugung, mit Jesus im Herzen mitten unter den Menschen sein?
  7. Das Spannende bei Zachäus ist ja, dass diese vorbehaltlose, bindungslose Gemeinschaft, die Jesus mit ihm pflegt, den Zachäus von Grund auf verändert. Jesus muss nicht ein einziges Wort sagen. Er hält ihm an keiner Stelle vor: „Lieber Zachäus, wir müssen mal ein ernstes Wort reden, so wie du die Leute übers Ohr haust, das geht nicht, das musst du ändern!“ Nein Jesus lässt ihn einfach spüren: ich habe Interesse an Dir, du bist mir wichtig. Und dann spürt Zachäus schon von ganz allein, dass sein bisheriges Leben einer tieferen Freundschaft mit Jesus im Wege steht und verändert sein Leben von Grund auf.
  8. Ja, so müsste Kirche, so müsste eine Gemeinde sein: mit dem Blick, der den Kleinen, den Zukurzgekommenen, auch den Sünder nicht übersieht. Mit dem Blick der Liebe, der in seinem Herzen die Sehnsucht nach Angenommen sein, nach Wertschätzung erkennt. Und eine Kirche, die nicht zuerst selbst einladend sein will, sondern die aus Liebe zu den Menschen bei ihnen sein will, mit ihnen wohnen, leben, feiern, Gemeinschaft haben will. Und die so die Menschen wieder mit Jesus in Berührung bringt, statt ihnen den Zugang zu verstellen. Amen.