- Sonntag, LJ C, 08./09.10.2022 zu: 2 Kön 5, 14-17
(Dom) und Lk 17, 11-19
Nur wer bereit ist, umzukehren, findet auch zu Christus
- Man hat den Eindruck, je konkreter Beschlüsse des Synodalen Weges werden, desto nervöser wird man in Rom und anderswo. Plötzlich melden sich Bischöfe öffentlich zu Wort, bei denen man sich wirklich fragt, ob die nicht andere, eigene Probleme haben. Der Erzbischof von Bratislawa etwa. Die polnischen Bischöfe haben sich bemüßigt gefühlt, ihren deutschen Kollegen einen Brief zu schreiben, in dem sie den synodalen Weg in Deutschland heftig kritisieren, und nun hat auch noch der ansonsten hoch angesehene Schweizer Kurienkardinal Koch, im Vatikan für die Ökumene zuständig, sich mit einem unsäglichen Vergleich mit theologischen Strömungen in der Nazizeit zu Wort gemeldet. Der Tenor ist immer die Angst, dass sich die deutsche Kirche abspalten könnte, dass sie die rechte katholische Lehre verlässt, dass sie von der Wahrheit abirrt. Gern wird dann das schlimme Wort vom Zeitgeist bemüht: die deutschen Katholiken rennen dem Zeitgeist hinterher, statt auf den Heiligen Geist zu hören. Dass der aber vielleicht gerade im Synodalen Weg, in den Diskussionen, Auseinandersetzungen, ja, manchmal auch im Streiten miteinander, wirken könnte: das kann sich von den Kritikern keiner vorstellen. Dass sich die Wahrheit und der rechte Weg für die Kirche gerade in einem aufmerksamen, gemeinsamen Wahrnehmen der „Zeichen der Zeit“ zeigen können, ja mehr noch: dass ohne ein Wahrnehmen und Ernstnehmen der Zeichen der Zeit die Wahrheit des Evangeliums den Menschen dieser Zeit gar nicht vermittelt werden kann – das ist dort offenbar überhaupt nicht vorstellbar. Aber genau das hat das II. Vatikanische Konzil ausdrücklich festgestellt, das vor genau 60 Jahren, am 11. Oktober 1962 von Papst Johannes XXIII. eröffnet wurde.
- Die Eröffnungsrede, die der Papst damals, vor 60 Jahren hielt, hat auch heute eine unglaubliche Aktualität und man wünschte sich fast, der Papst würde genau diese Rede seines Vorgängers heute einmal seinen Kardinälen, den Bischöfen, den Bedenkenträgern, den Bremsern und Hardlinern in Rom und überall in der Welt vorlesen. Dort heißt es: „In der täglichen Ausübung unseres seelsorglichen Amtes müssen wir manchmal, zu unserem großen Kummer, auf jene hören, die zwar vom Eifer verzehrt sind, aber nicht sehr viel Urteilsvermögen oder Ausgewogenheit besitzen. Für sie ist die moderne Welt nichts als Verrat und Zerstörung. Sie behaupten, dass dieses Zeitalter weitaus schlechter als frühere Zeitalter ist, und sie verhalten sich, als hätten sie überhaupt nichts aus der Geschichte gelernt – und doch ist die Geschichte die große Lehrerin des Lebens. ... Wir fühlen uns verpflichtet, diesen Propheten des Unglücks zu widersprechen, die auf ewig Unheil vorhersagen – als stünde das Ende der Welt unmittelbar bevor.“ Und dann formuliert Papst Johannes XXIII. mit aller Klarheit, was nach seiner Überzeugung Ziel und Zweck des Konzils sein soll: „Unsere Aufgabe ist nicht bloß, diesen kostbaren Schatz (= der Glaubensüberlieferung) gleichsam besessen von der Vergangenheit zu hüten, sondern uns eifrig und ohne Furcht der Aufgabe zu widmen, die das gegenwärtige Zeitalter an uns stellt – und wenn wir das tun, werden wir dem treu bleiben, was die Kirche in den letzten 20 Jahrhunderten getan hat. (…) (Das) authentische Dogma muss untersucht und gedeutet werden im Licht der Forschungsmethoden und der Sprache des modernen Denkens. Denn die Substanz des uralten anvertrauten Glaubensgutes ist eine Sache, und die Art und Weise, wie es dargestellt wird, ist eine andere.“
- Was der heilige Papst Johannes XXIII., dessen Heiligengedenktag übrigens bewusst auf den 11. Oktober, den Tag der Eröffnung des Konzils, gelegt wurde, hier für das Konzil vorgibt, ist das, was er selbst einmal „aggiornamento“ genannt hat: „Verheutigung“. Darum geht es: die eine und unwandelbare Wahrheit des Glaubens in das Heute zu übersetzen Dazu muss ich aber ernst nehmen, dass Gott uns seinen Willen und seine Wahrheit auch an dem entdecken und neu verstehen lässt, was das Konzil die „Zeichen der Zeit“ genannt hat. Diesen biblischen, schon von Jesus gebrauchten Begriff hat Papst Johannes XXIII bereits in seiner Ankündigung des Konzils verwendet. Das Konzil selbst spricht mehrfach von den Zeichen der Zeit, die es recht zu deuten und zu verstehen gelte, weil in ihnen uns Gott zeigt, wohin der Weg der Kirche führt. „Zeichen der Zeit“ bedeutet aber gerade nicht „Zeitgeist“. Wer dauernd denen, die im Synodalen Weg ernsthaft miteinander ringen, ein plumpes Übernehmen des Zeitgeistes vorwirft, der diffamiert auf eine böswillige Weise das sehr ernste Ringen darum, sich von Gottes Geist führen zu lassen, der eben auch und gerade in den Zeichen der Zeit zu uns spricht, die wir erkennen und recht deuten müssen.
- Ich glaube, dass das heutige Evangelium uns hier ein paar interessante Wegweisungen mitgeben kann. Vielleicht darf man die Aussätzigen im Evangelium nämlich auch als ein Bild unserer Kirche sehen, so, wie sie sich momentan präsentiert. Wir sind krank. Eine schreckliche, entstellende Krankheit – so sehe ich die durch Missbrauch und manche anderen Skandale entstellte Kirche. Und wie die Aussätzigen damals machen wir die Erfahrung: niemand will mehr mit uns zu tun haben, man macht einen Bogen um uns herum. Was tut nun Jesus? Er ruft den Aussätzigen zu: Bleibt auf dem Weg! Geht zu den Priestern. Versteckt euch nicht, verkriecht euch nicht, sondern bleibt auf dem Weg. Es ist das, was wir in der Kirche Sendung nennen: Jesus schickt uns, so entstellt, so krank, so angeschlagen, wie wir sind, auf den Weg. Dieses gemeinsam auf dem Weg Sein das macht das Wesen von Kirche aus. Wo wir als Kirche nicht mehr bereit sind, aufzubrechen, uns auf den Weg zu den Menschen zu machen, ob sie uns nun haben wollen oder nicht, wo wir uns verkriechen, wo wir meinen, wir müssten uns erst selbst heilen und kurieren oder heilen lassen, und erst dann können wir wieder selbstbewusst losziehen, da ist es vorbei. Jesus schickt die Aussätzigen auf den Weg, so jämmerlich, wie sie sind, und, so heißt es im Evangelium, während sie gemeinsam auf dem Weg sind – auf griechisch: „syn-odos“ – gemeinsamer Weg – werden sie rein. Das heißt: Heilung geschieht, wo wir uns als Kirche synodal verstehen – gemeinsam Kleriker wie Laien, Bischöfe und Ehrenamtliche auf dem Weg sind, wo wir uns neu von Christus senden lassen, wo wir zu den Menschen gehen, um ihnen die Frohe Botschaft zu sagen. Wo wir unsere Aufgabe tun: Reich Gottes zu verkünden: da wird Kirche rein.
- Aber dafür brauchen wir doch keine großartigen Veränderungen und Reformen, könnte man jetzt argumentieren. Wir müssen einfach nur unsere Sendung, unsere Mission erfüllen. Genau so argumentieren die Gegner aller Reformen: Hört endlich auf, euch nur mit euch selbst zu beschäftigen, mit Strukturen und Lehren, nehmt einfach unbeirrt eure Sendung wahr und alles ist gut. Aber Nein, so funktioniert es nicht. Denn es kommt im Evangelium ja noch etwas zweites, sehr Wichtiges dazu: die Umkehr. Einer der Aussätzigen dreht um, geht zurück zu Jesus. Übrigens ausgerechnet der Fremde, der Außenseiter, der religiös Abtrünnige; nicht einer von den vermeintlich Frommen, Rechtgläubigen. Umkehr, das bedeutet eben auch: sich verändern, die Richtung korrigieren. Die Pointe im Evangelium ist ja: nur der, der umkehrt, begegnet auch wirklich Jesus. Vorher blieb Jesus in der Ferne. Nur wo wir in unserem Leben bereit sind, umzukehren, finden wir zu Jesus. Die anderen 9 werden rein, vom Aussatz geheilt; zu dem, der zu Jesus findet, sagt der Herr: Dein Glaube hat dich gerettet! Wenn wir als Kirche nicht nur den Aussatz loswerden wollen werden wollen, die alten Skandale ablegen, sondern wirklich Rettung wollen, dann müssen wir auch als Kirche umkehren. Genau darum muss es beim Synodalen Weg gehen und darum geht es. Um echte, aufrichtige Umkehr. Das ist freilich mehr als nur die Diskussion über Strukturen, über Priestertum der Frau und Zölibat. Aber umgekehrt: ehrliche Umkehr geht nicht ohne dass wir uns genau diesen Themen und Diskussionen offen stellen, ohne dass wir immer neu fragen: was will Jesus von uns? Wo ist er in unserem Tun, in unseren Strukturen, in unseren Gemeinden und Pfarreien? Wo wird seine Menschenfreundlichkeit und Liebe konkret sichtbar in der Art und Weise, wie wir Frauen ausschließen oder teilhaben lassen, wie wir über homosexuelle Menschen oder Menschen mit anderer sexueller Identität urteilen und mit ihnen konkret umgehen in unseren Gemeinden, in unserer Lehre, in unserer Seelsorge. Deshalb muss all das offen und kritisch und mit der Bereitschaft zur Umkehr diskutiert werden.
- Wenn all unsere Diskussionen nicht von der Bereitschaft zur Umkehr getragen sind, dann werden wir vielleicht irgendwie aus dem Schlamassel rauskommen, aber zu Jesus findet nur der, der umkehrt. Und nur der erfährt wirkliche Rettung, wirkliches Heil. Ich wünsche und erhoffe mir für die Kirche mehr als nur, dass wir irgendwann mal aus den Skandalen sauber und heil rauskommen und wieder Ansehen genießen. Eine Kirche, die ihren Weg einfach fortsetzt, als wäre nichts gewesen, die aber nicht bei Jesus ist, ist sinnlos, ganz egal wie sauber und makellos sie vielleicht sein mag. Eine Kirche ohne Jesus ist am Ende nur ein Folkloreverein. Ich wünsche mir eine Kirche, die ehrlich umkehrt und die bei Jesus ist. Weil er allein unsere Rettung und unser Heil ist. Amen.