Schmuckband Kreuzgang

Patrozinium

Patrozinium Peter und Paul (c) Martina Bauer
Patrozinium Peter und Paul
Datum:
Di. 29. Juni 2021
Von:
Martina Bauer

Peter und Paul

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PETER & PAUL / PATROZINIUM, LJ B                                 zu: Gal 1,11-20 (vorabend)

(Dom, 18:00 Uhr)                                                                                              und Mt 16,13-19

                                                                                                                                                      

Kirche braucht Petrus und Paulus

 

  1. Wie kann es gelingen, die Kirche zusammen zu halten? Das ist eine Frage, die mich in den letzten Wochen und Monaten zunehmend beschäftigt. Wir spüren ja alle, wie die Fliehkräfte in alle Richtungen zunehmen. Die Diskussionen um den Synodalen Weg etwa machen das deutlich: Sind Reformen der richtige Weg? Oder doch lieber wieder ein Zurück zum alten Glauben, zur alten Liturgie? Ist das hierarchische Amt in der Kirche wirklich konstitutiv für das Wesen von katholischer Kirche – oder ist es ein Teil des Problems, das dringend gründlich reformiert, ja vielleicht gar abgeschafft gehört? Und was ist mit den Frauen? Muss die überkommende kirchliche Morallehre nicht dringend modernisiert, an die Gegenebenheiten unserer Zeit angepasst werden, oder müssen wir im Gegenteil die uralten Werte der Kirche gerade in einer immer liberaleren Zeit mit allen Kräften verteidigen? Die heftige Diskussion um Kardinal Woelki und Kardinal Marx, die gleichsam Symbolfiguren für diese beiden Grundrichtungen sind, macht das deutlich: der eine, der Reformer, der Verfechter des Synodalen Wegs, der dem Papst seinen Rücktritt anbietet; der andere, der Verteidiger der konservativen Richtung, Gegner des Synodalen Weges, dessen Rücktritt leidenschaftlich gefordert wird, der sich dem aber verweigert. Kann man den Laden Kirche da noch lange zusammen halten? Läuft das nicht unweigerlich irgendwann auf eine Spaltung hinaus? Wie gesagt, das sind Sorgen, die mich sehr beschäftigen, auch, weil ich natürlich wahrnehme, dass es alle diese Richtungen, Anschauungen, Überzeugungen auch innerhalb unserer Gemeinden gibt.
  2. Wir feiern heute das Patrozinium unseres Domes: St. Peter und Paul. Auch wenn der Paulus, der ja in Worms in der Pauluskirche noch sein eigenes Patronat hat, hier im Dom manchmal etwas untergeht: der Dom ist seit alters her beiden Aposteln geweiht. Und beide stehen auch unübersehbar hier vorn im Hochaltar. Auch wenn Diakon Springer neulich schon darauf aufmerksam gemacht hat, dass der arme Paulus schon bautechnisch eher im Schatten steht und es am Ende immer Petrus ist, den die Sonne anstrahlt. Beide gehören an diesem Festtag zusammen. Und das ist eine starke, deutliche Botschaft. Die Kirche braucht beide: Petrus und Paulus.
  3. Dass beide an einem gemeinsamen Festtag gefeiert und verehrt werden, ist eigentlich verblüffend. Normalerweise ist der Festtag von Heiligen ihr Sterbetag. Beide haben zwar in Rom den Märtyrertod erlitten, und wohl beide im Rahmen der Verfolgung unter Kaiser Nero, aber unabhängig voneinander und auch nicht am selben Tag. Von Petrus ist überliefert, dass er im Rahmen großer, zur Belustigung des Volkes veranstalteter Hinrichtungsorgien im Zirkus des Nero mit dem Kopf nach unten gekreuzigt wurde, und dann auf dem unmittelbar hinter dem Circus liegenden Gräberfeld begraben wurde – dort, wo sich heute in Rom der Petersdom erhebt. Von Paulus wissen wir, dass er als römischer Bürger am anderen Ende der Stadt, an der Straße nach Ostia, mit dem Schwert enthauptet wurde und dort, an dieser Straße begraben wurde – auch über seinem Grab ist eine riesige Basilika entstanden. Ob die beiden sich in Rom je getroffen haben, wissen wir nicht – es ist nirgends überliefert und auch eher unwahrscheinlich. Besonders sympathisch waren sich die beiden nämlich nicht – das verheimlicht die Bibel keineswegs. Paulus litt wohl zeitlebens darunter, dass er von vielen der besonders Frommen, insbesondere aus dem Kreis der Judenchristen, bestenfalls als Apostel zweiter Klasse betrachtet wurde, als eine Art Möchtegernapostel. Denn er war dem lebenden Jesus nie begegnet, er gehörte nicht zum Kreis der Zwölf, die mit Jesus umhergezogen waren, die Kreuz und Auferstehung erlebt hatten. Er kam erst viel später zum Glauben – nach einer Blitzkarriere als leidenschaftlicher Christenverfolger – durch ein Bekehrungserlebnis, das er selbst mehrfach erzählt, vor den Toren von Damaskus. Als ihm der Auferstandene buchstäblich in den Weg trat. Wie sehr Paulus unter dieser Zurücksetzung durch die anderen Apostel litt, sehen wir daran, wie leidenschaftlich er sein Apostelamt immer wieder verteidigt. Und auch an manchen süffisanten Spitzen gegen die anderen Apostel, die ihm eher die kalte Schulter zeigten. „Über-Apostel“ nennt er sie zum Beispiel einmal spöttisch (2 Kor 11,5). Ja, die Tatsache, dass er scheinbar „nur“ Apostel 2. Klasse war, nagte zeitlebens in ihm. Er war eben auch nur ein Mensch.
  4. So wie im Übrigen ja auch Petrus. Für mich machen gerade seine so offensichtlichen Menschlichkeit und Schwächen den Petrus so sympathisch: er ist leidenschaftlich und überschwänglich in seiner Liebe, manchmal großspurig in seinen Reden: „Du bist der Messias, der Christus, der Sohn Gottes!“ Von keinem anderen sind so große Glaubensbekenntnisse überliefert. Er empfand eine tiefe Liebe zu Christus: „Herr, du weißt alles, du wiest, wie sehr ich dich liebe!“ Er ist derjenige, der mit dem Schwert Christus verteidigen will – aber eben nicht gegen die Soldaten, sondern gegen den unbewaffneten Diener, dem er das Ohr abhaut. Denn er ist eben auch der Feigling, der sein Fähnchen nach dem Wind dreht, der davon läuft, als es brenzlig wird, der Christus verleugnet: „Ich kenne diesen Menschen nicht!“ Der dann aber auch von Herzen bereuen kann, seine Schuld eingesteht und umkehrt. Das fasziniert mich an ihm: Er weiß um seine Schwäche, seine Fehler. Und stellt sich dennoch der Verantwortung, die ihm Jesus überträgt.
  5. Nein, die beiden, Petrus und Paulus, waren viel zu verschieden, um sich mögen zu können. Als Menschen, von ihrem Charakter, ihrer Persönlichkeit, ihrem Bildungsstand - Petrus der einfache Fischer, Paulus der studierte Akademiker und Pharisäer – vor allem aber auch von ihrem Temperament: Petrus, der Bauchmensch, der auf Harmonie aus ist. Und Paulus, der Kopfmensch, der Radikale, bei dem es keine Kompromisse gibt, der das Streiten liebt und keinem Konflikt ausweicht. Und beide sind auch heftig aneinandergeraten. Zwar meidet Paulus ganz offensichtlich die Begegnungen mit den Aposteln – nach seiner Bekehrung braucht es drei Jahre, bis er sich auf den Weg nach Jerusalem macht, um sich den andern Aposteln einmal vorzustellen – und ist fast erleichtert, dass er nur Petrus und Jakobus antrifft. Er bleibt nicht lang. Die Wege werden sich erst wieder kreuzen, als Paulus mit seiner Heidenmission neue Wege geht. Hier braucht es eine Grundsatzentscheidung auch der anderen Apostel, und er braucht den Petrus, der überzeugt werden muss, dass das der Weg der Kirche ist. Auch hier ist Petrus zögerlich, traut sich nicht recht mit den konservativen Hardlinern im Rücken: Gott selbst muss mit einer gruseligen Vision eingreifen, um dem Petrus deutlich zu machen, dass die Heiden keine Unreinen sind, sondern dass Gott sie genauso in seine Kirche gerufen hat: die berühmte Vision von dem Tuch, das vom Himmel herabkommt und in dem alles mögliche unreine Getier und Gewürm wimmelt. „Schlachte und iss!“ sagt eine Stimme vom Himmel! „Um Gottes willen!“ sagt Petrus, „Nie soll etwas Unreines über meine Lippen kommen!“ „Was ich für rein erklärt habe, das nenne du nicht unrein!“ Und im nächsten Moment lädt ihn der heidnische Hauptmann in sein Haus ein, einer, der nach jüdischer Überzeugung „unrein“ ist; und er begreift, was Gott ihm sagen will: Paulus hat recht! Auch die Heiden sind zur Kirche berufen, der Glaube macht rein, nicht die jüdische Abstammung. Und trotzdem wird Petrus wieder einknicken, unter dem Druck der ach so frommen in Jerusalem, die ihm vorhalten, dass er mit Heiden gegessen hat. Und Paulus wird ihn in aller Öffentlichkeit bloßstellen wegen seiner Feigheit und Harmoniesucht. Und schließlich im sogenannten Apostelkonzil einen gangbaren Kompromiss akzeptieren.
  6. Mich erinnert hier Vieles an unsere Situation heute: die unterschiedlichen Richtungen, die manchmal heftigen Kämpfe und Streitereien, bei denen nicht selten der anderen Seite der rechte Glaube abgesprochen wird oder vorgeworfen wird, ewig Gestrige zu sein, die die Zeichen der Zeit nicht verstehen. Der Blick auf Petrus und Paulus zeigt mir: beide Seiten gehören untrennbar zusammen. So schön es wäre, wenn die Kirche ein Haufen Gleichgesinnter wäre, alle einer Meinung, ein Herz und eine Seele: so langweilig und kraftlos wäre es auch. Die Realität war von Anfang an eine andere. Gott mutet uns zu, die Spannung auszuhalten. Denn es ist eine produktive Spannung, eine, die dazu hilft, dass wir als Kirche ansprechbar bleiben, Anknüpfungspunkt für die unterschiedlichsten Menschen. Und eben nicht zu einer Clique Gleichgesinnter werden. Kirche will, Kirche muss ein Raum sein, der eine große Weite hatte. Die Kirche braucht Paulus und Sie braucht Reform und Neuaufbruch, aber auch das Zusammenhalten und das Mitnehmen derer, die sich schwerer tun. Ja, auch das lehren die beiden Apostel: manchmal müssen Konflikte auch in der Sache hart ausgetragen werden. Aber es braucht am Ende auch die Bereitschaft, unter Gottes Wort und Evangelium beisammen zu bleiben, vielleicht Kompromisse zu finden. Um der Menschen willen. Um des Evangeliums willen. Um Gottes willen. Amen.