Schmuckband Kreuzgang

Patrozinium St. Peter und St. Paul

Allerheiligen 2018 (c) Dom St. Peter / Martina Bauer
Allerheiligen 2018
Datum:
Fr. 30. Juni 2023
Von:
Martina Bauer

Predigt von Propst Tobias Schäfer

Patrozinium Peter und Paul                                                                              zu: Apg 3, 1-10

(Dom 2023)                                                                                und Joh 21, 1.15-19 (Vorabend)

 

Petrus mit dem betröppelten Blick

  1. Du guckst wie die Mutter Gottes von Schmerlenbach!“ – Ich weiß nicht, ob diese Redensart hier überhaupt bekannt ist; wo ich herkomme, vor allem aber im Mainfränkischen ist das eine stehende Redensart für einen, der, wie wir sagen, eine „Brutsch zieht“, mit einer Trauermiene durch die Gegend läuft. Wir hatten kürzlich mit den Hauptamtlichen eine Fortbildung im Tagungshaus im ehemaligen Kloster von Schmerlenbach im Spessart; dort wird als Gnadenbild eine uralte Pietà verehrt, die eben entsprechend trauernd und leidend schaut. „Du guckst wie die Muttergottes von Schmerlenbach!“ Wir haben hier im Dom, in der Domsakristei ein Bild, eine kleine Statue des heiligen Petrus. Sie stammt aus dem Nachlass von Kardinal Lehmann, ein privates Erbstück, das ich von ihm habe. Sie stand immer auf seinem Schreibtisch, ein polnischer Künstler hat sie geschnitzt, ein polnischer Bischof hatte sie dem Kardinal einst geschenkt. Und wenn ich Ihnen diese Figur zeige, verstehen Sie, warum ich an den Spruch von der Muttergottes von Schmerlenbach denken musste: denn das Charakteristische an dieser Figur ist der Blick des Heiligen Petrus. Man könnte meinen, die Gesichtszüge sind dem Künstler irgendwie missglückt; aber ich glaube, er wollte den Petrus genau so darstellen. Mit diesen völlig entgleisten Gesichtszügen, diesem total ungläubigen, betröppelten, fast dämlich wirkenden Blick, dieser Mischung aus Erstaunen, Erschrecken, Entsetzen, es einfach nicht fassen, nicht glauben können. Dem entspricht übrigens auch die Handhaltung: Natürlich hält Petrus in der Hand die Schlüssel: „Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs übergeben“, sagt Jesus zu ihm. Aber die Schlüssel, die Petrus sonst wie eine Trophäe, ein Siegeszeichen mit festem Griff hält, wie auch hier an unserem Hochaltar, die scheinen ihm hier fast zu entgleiten, so wie ihm schon die Gesichtszüge entglitten sind. Da ist so gar nichts von „Du bist der Fels, der starke Glaubensheld, auf den ich meine Kirche baue!“ Hier steht einer, der ein Schwächling ist, ein Versager, und der das auch weiß; einer, der selbst nicht glauben kann, warum Jesus ihn, ausgerechnet ihn ausgewählt hat. Trotz allem Versagen. Und genau deshalb liebe ich diese Figur.
  2. Ich kann mich in diesem Petrus wunderbar wiederfinden, mit ihm identifizieren. Mir geht es oft genauso, angesichts so vieler Herausforderungen: immer mehr Gemeinden, der Pastorale Weg, das Berufsbild, das Aufgabenfeld eines Pfarrers ändert sich dauernd, und wie oft frage ich mich: „Kannst Du das überhaupt?“ Ich weiß um meine Schwächen und Fehler, und trotzdem wird mir zugetraut, oder auch nur in Ermangelung eines Besseren zugemutet, Verantwortung zu übernehmen. Aber glauben Sie mir: Innerlich gucke ich oft genau so wie der Petrus hier – ungläubig, dass ausgerechnet ich das alles tun soll, dass Menschen mir das zutrauen, dass Gott mich auf diesen Platz gestellt hat.
  3. Oder die Kirche insgesamt: in was für einem jämmerlichen Zustand präsentieren wir uns oft! Gestern die Nachrichten, die keinen mehr überrascht haben: Rekordaustrittszahlen in 2022. Insgesamt mehr als eine halbe Millionen Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, zusammen mit den Sterbefällen und den immer weniger Taufen insgesamt ein Rückgang um über 700.000 Katholiken. Und das ja nicht ohne Grund, angesichts all der Skandale und negativen Schlagzeilen und Zerstrittenheit und Reformunfähigkeit, und und und. Und anstatt uns alle zum Teufel zu jagen, sagt Jesus diesem jämmerlichen Haufen immer neu zu: „Ich bin bei euch! Ich will euch, ausgerechnet euch, diese Kirche, als Werkzeug meiner Liebe in dieser Welt!“ Müssten wir nicht alle völlig konsterniert dreinschauen wie dieser Petrus?
  4. Jesus, der doch weiß, was wir allesamt für Versager sind; wie wir allesamt oft nicht das Leben, was wir eigentlich glauben; dass es in unseren Kreisen so viel an Versagen gegeben, ja mehr noch; wirkliche schlimmste Verbrechen; Wegschauen, Vertuschung, und bis heute die Unfähigkeit zu wirklicher Erneuerung und Reform. Und trotzdem sagt er uns, wie Petrus: „Du, armseliger Haufen, sollst meine Kirche sein, wie Petrus ein Fels in dieser Welt, ein Werkzeug meiner Liebe!“ Wenn uns das nicht genauso perplex und konsterniert schauen lässt wie den Petrus des Kardinals!
  5. Genau deshalb liebe ich diese Figur, und liebe ich auch das Evangelium, das wir eben gehört haben, so viel mehr als dieses andere, fast triumphalistisch klingende Wort aus dem Matthäusevangelium: „Du bist Petrus, der Fels, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen!“ Im Johannesevangelium geht dem Auftrag an Petrus ein dreifacher Dialog voraus, der, wie ich finde, unglaublich rührend ist: Dreimal die fast kindliche Frage an Petrus: „Liebst du mich? Hast du mich lieb?“ Es ist, als wollte Jesus die dreimalige Verleugnung des Petrus wieder ausmerzen. In jedem Fall zeigt Jesus: Ich weiß, dass Du auch ein schwacher Mensch bist, ich weiß, dass du versagt hast und wahrscheinlich auch wieder versagen wirst. Aber das alles zählt nicht. Was einzig zählt ist die Liebe! „Liebst du mich?“ Dreimal antwortet Petrus, am Ende fast verzweifelt: „Ja, Herr, ich liebe dich! Du weißt doch, dass ich dich lieb habe!“ Und auf diese Liebe hin beauftragt ihn Jesus: „Weide meine Lämmer, weide meine Schafe!“ Nicht auf die tollen Leistungen, nicht auf seine hervorragenden Qualitäten, seinen Mut, seine Treue, nicht auf das, was er alles Tolles vollbracht hätte. Das alles trägt bei Licht betrachtet nicht. Nein, allein auf die Liebe, die aus tiefstem Herzen kommt. Das allein zählt.
  6. Wenn am Ende des Gottesdienstes hier im Dom der himmlische Lichtstrahl den Petrus wieder zum Glänzen bringt, dann sagt das mehr als tausend Worte und eine lange Predigt: am Ende sind es - Gott sei Dank - nicht unsere tollen Leistungen, Kompetenzen, Qualitäten, auf die es ankommt, denn dann wäre es um uns und unsere Welt und um die Zukunft der Kirche schlimm bestellt; sondern am Ende ist es allein die Liebe, auf die es ankommt, um Gottes Frohe Botschaft den Menschen zu verkünden. Das gibt mir Hoffnung und Halt. Amen.