In Maria schauen, was uns blüht: Auferstehung und Leben
15.08.2020
Mariä Aufnahme in den Himmel (2020):zu: Lk 1, 39-56
In Maria schauen, was uns blüht:
Auferstehung und Leben
Was mit Maria nach ihrem Tod passiert ist, überhaupt, wie und wo sie gestorben ist, wo sie begraben wurde, erst recht von einer leiblichen Aufnahme in den Himmel werden sie in der ganzen Bibel keine Silbe finden können. Deshalb ist es für evangelische Christen undenkbar, Mariä Himmelfahrt zu feiern. „Sola Scriptura“ hat Martin Luther gesagt: allein und nur, was in der Bibel, in der Heiligen Schrift steht und bezeugt ist, ist wahr. Deshalb feiern evangelische Christen den heutigen Tag auch bestenfalls als „Mariä Verscheiden“, also als Todestag Mariens. Über den Tod Mariens steht zwar auch nichts in der Bibel, aber dass sie irgendwann irgendwo gestorben ist, das liegt wohl auf der Hand.
Aber noch lange, bevor sich die Christenheit in katholisch-evangelisch- orthodox und was nicht immer aufspaltete, fragten die frühen Christen weiter. Natürlich, klar ist Maria irgendwann mal gestorben: aber: wann und wo? Und vor allem wie? So entstanden in den sogenannten „Apokryphen“, also legendarischen Erzählungen und Ausschmückungen rund um die Bibel schon sehr bald alle möglichen Geschichten und Geschichtchen, die sich zum Teil auch widersprechen. Einmal ist Maria zum Beispiel in Ephesos gestorben, weil der Jünger Johannes die Gottesmutter mit sich nahm und man ja auch in Ephesos das Johannesgrab verehrte. Die ältere Tradition aber verehrte seit dem 4. Jahrhundert ein Grab im Kidrontal unterhalb des Ölbergs in Jerusalem als das Grab Mariens. Und als Sterbeort wird bis heute die „Dormitio“, die Entschlafungskirche auf dem Zion, unmittelbar neben dem Abendmahlssaal verehrt, also direkt bei jenem „Obergemach“, in dem sich die Apostel nach dem Tod Jesu eingeschlossen hatten, bis der Heilige Geist sie an Pfingsten raustrieb in alle Welt. Und wie Maria entschlief, malte man sich auch in bunten Farben aus: der Heilige Geist hat die in alle Welt verstreuten Apostel wieder zurückgerufen an jenen Ort, wo alles angefangen hatte; gerade rechtzeitig kamen sie an, um beim Tod Mariens noch einmal alle versammelt zu sein. Wie Christus selbst habe man sie anschließend in einem Felsengrab im nahen Kidrontal bestattet, einen Stein davorgeschoben. Und wie bei Jesus selbst hat man das Grab drei Tage später leer aufgefunden, nein, nicht ganz leer: ein süßer Duft von Blumen lag in der Luft; andere Quellen sprechen von bunten Blumen und Kräutern, die an der Stelle des Leichnams lagen. Was genau passiert ist, darüber schweigen selbst die Legenden. Denn eigentlich ist es ja klar: Maria wurde von ihrem Sohn unmittelbar mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen. „Denn ihr Leib, der den Urheber des Lebens geboren hat, sollte die Verwesung nicht schauen!“ So heißt es noch heute in der Präfation des Festtages.
Nun tun sich – nicht nur evangelische Christen – mit dieser Vorstellung heute sehr schwer: dass Marias Leib nicht, wie der aller Menschen, nach ihrem Tod verwest sein soll; dass Jesus sie allen Naturgesetzen zum Trotz mit ihrem Leib in den Himmel aufgenommen haben soll. Überhaupt: solcher Wunderglauben widerspricht doch dem gesunden Menschenverstand, und auch katholische Christen tun sich heute oft schwer mit solchen Wundern, von denen doch die Evangelien und die Bibel so voll sind; und dann erst recht mit einem Wunder, von dem noch nicht mal etwas in der Bibel steht. Also muss man das irgendwie anders deuten: symbolisch, wie eben ein Märchen oder eine Legende eine tiefere Wahrheit enthält. Kann man machen. Darf man auch machen. Muss man aber nicht. Ich bekenne frei raus: ich habe mit der Vorstellung, das Marias Leib nicht verwest ist, dass sie wirklich und unmittelbar nach ihrem Tod von Jesus zu sich in die Herrlichkeit des Himmels geholt wurde, überhaupt kein Problem. Warum soll dieser Jesus, der, wenn‘s sein muss, übers Wasser geht, warum soll dieser Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat, das Leben und den Tod, auch die Naturgesetze, warum soll dieser Gott, wenn er es will, nicht auch Ausnahmen vom Naturgesetz machen können? Ganz ehrlich: mir fällt es nicht schwer, das zu glauben. Ich kann aber verstehen und nachvollziehen, wenn anderen diese Vorstellung heute schwer fällt.
Das Gute ist: auch wenn die katholische Kirche 1950 die Lehre von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel zum Dogma erhoben hat: es ist eigentlich völlig irrelevant, ob ich nun glaube, dass Gott nach dem Tod Mariens eine Ausnahme vom Naturgesetz gemacht hat oder nicht, denn das ist nicht der Gegenstand des Dogmas. Hier geht es nicht um irgendeinen Wunderglauben, sondern hier geht es um den Kern unseres christlichen Glaubens überhaupt. Wir glauben, so ist es im Apostolischen Glaubensbekenntnis der Kirche formuliert: an die leibliche Auferstehung (=carnis resurrectionem), also dass wir alle einst mit Leib und Seele zu einem neuen, unvergänglichen Leben auferstehen werden. Wir glauben das, weil wir glauben, dass Jesus Christus von den Toten auferstanden ist, und zwar um den Tod ein für alle Mal zu besiegen, um uns allen die Tür zum Leben aufzumachen. Das ist der Kern unseres Glaubens. Und wenn ich das glaube, ist das, was an Maria passiert ist, doch gar nichts Besonderes. Dann geht es hier nur darum, dass Jesus an ihr bereits wahrgemacht hat, was er uns allen verheißen hat, was uns allen blüht.
Deshalb ist für mich Mariä Himmelfahrt mit all dem Brauchtum, das sich in der Volksfrömmigkeit über die Jahrhunderte entwickelt hat, auch mit all den Legenden und Geschichtchen, ein so wunderschönes Fest. Die Kräuterweihe, die duftenden Kräutersträuße- die auf die Heilkraft der Natur hinweisen – machen deutlich: Gott will unser Heil für Leib und Seele. Die Legende vom wunderbaren Duft und den blühenden Blumen im leeren Grab ist für mich ein sprechendes Bild: Genau das blüht auch dir, lieber Christ, der du an den auferstandenen Herrn glaubst: Auferstehung und Leben!
Das Wunder der Aufnahme Mariens in den Himmel will doch nichts anderes als uns sagen: der Gott, an den wir glauben, ist einer der uns liebt! Der uns so sehr liebt, dass er es nicht ertragen kann, dass wir sterben müssen. Der deshalb selbst in den Tod gegangen ist, damit wir leben. Und ein Gott, der uns Menschen so sehr liebt, wie sollte der in Jesus Christus nicht seine eigene Mutter umso mehr lieben. So sehr, dass er es nicht erträgt, ihren Leib verwesen und zerfallen zu sehen. Mich bestärkt diese Vorstellung in meinem Glauben, in meiner Begeisterung und Liebe zu diesem Gott, zu Jesus Christus, zum Freund des Lebens. Ja, das alles kann man auch glauben, wenn man sich vorstellt, das Maria wie wir alle begraben wurde und ihr Leib zu Staub zerfallen ist, bis sie am jüngsten Tag auferweckt wird. Aber ist es nicht umso schöner an einen Gott glauben zu dürfen, der eben auch mal – aus Liebe- sagt: „Pfeif‘ auf die Naturgesetze! Ich will meine Mutter schon jetzt bei mir haben!“
Schöner kann man es eigentlich nicht sagen, als wie es in der Präfation dieses Festtages formuliert ist: „Heute hast du die jungfräuliche Gottesmutter in den Himmel erhoben; als Erste empfing sie von Christus die Herrlichkeit, die uns allen verheißen ist, und wurde so zum Urbild der Kirche in ihrer ewigen Vollendung!“
So schaue ich auf zu Maria, der demütigen Magd, und sehe in ihr, was mir, was uns allen blüht, weil Christus uns so sehr liebt. Amen.