Schmuckband Kreuzgang

Predigt vom Fest der Hl. Familie

Jesus in der Krippe (c) Martina Bauer
Jesus in der Krippe
Datum:
So. 27. Dez. 2020
Von:
Martina Bauer

Ertragt einander!

 

 

 

 

 

 

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Hl. Familie 2020                                                                                                  zu: Kol 3, 12-21

„Ertragt einander“

  1. Manchmal sehe ich diese Bilder noch bei alten Leuten, die ich etwa zur Krankenkommunion besuche: die klassische traditionelle Darstellung der Hl. Familie, im Nazarener-Stil, gern im Schlafzimmer über dem Bett hängend: Maria und Josef und in der Mitte das Jesuskind. Das ganze Gemälde ein einziges Idyll. So wünsche sich viele ihre Familie: alle ein Herz und eine Seele, einander in herzlicher liebe zugetan. Alles wunderschön, das Leben in rosarot. Und die Heilige Familie ist gleichsam das Urbild, der Prototyp für unsere Sehnsucht nach einem Familienleben ohne jeden Makel. Dieses Familienbild klingt ja auch an im Tagesgebet dieses Festtags: „“Herr unser Gott, in der Heiligen Familie hast du uns ein leuchtendes Vorbild geschenkt!“
  2. Mir kommt da sofort ein anders berühmtes Gemälde in den Sinn, das auch das Familienleben der Hl. Familie zum Thema hat: Pauls Klees Skandalbild „Die Jungfrau Maria züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen“, von 1926. Es zeigt die Gottesmutter, die sich das Jesuskind buchstäblich übers Knie gelegt hat und das nackte Hinterteil des Kindes mit weit ausholender Geste versohlt. Der Skandal damals, 1926, war nicht, dass eine Mutter ihr Kind mit körperliche Gewalt züchtigt; das war damals gängige Erziehungspraxis. Der Skandal war, dass die Gottesmutter so dargestellt wird, und mehr noch: das dieses Bild insinuiert, das Jesuskind könnte seinen Eltern gegenüber ungehorsam, bockig, gar böse gewesen sein: einfach unvorstellbar, dass sich Jesus, der Gottessohn, aufführen sollte wir ein normales Kind, dem man im Rahmen der Erziehung eben auch Grenze aufzeigen muss.
  3. Dabei ist das doch eigentlich genau das Geheimnis von Weihnachten: Gott wird Mensch – und zwar mit allen Konsequenzen. Dazu gehört eben auch, dass er nicht als fertiger Messias auf die Welt kommt, sondern als menschliches Kind aufwächst, sich ausprobiert, Grenzen überschreiten, Grenzen gezeigt bekommen muss und so fort. Ich glaube, wie weit Gott in seiner Menschwerdung geht, dass er eben nicht einfach nur so tut, als ob er sich als Mensch verkleidet, sondern wirklich und ganz und gar Mensch wird, Fleisch angenommen hat, das wird erst deutlich, wenn man sich bewusst macht, dass er eben auch Kind war mit allen Konsequenzen. Dass die Evangelien über die Kindheit Jesu so gut wie nichts berichten, außer der Episode von der Flucht nach Ägypten und der vom zwölfjährigen Jesus im Tempel, dass sie im Grunde 30 Jahre, die ganze Kindheit, Pubertät, das Heranwachsen zusammenfassen in einen einzigen kurzen, dürren Satz: „Er wuchs heran und wurde stark, erfüllt mit Weisheit, und Gottes Gnade ruhte auf ihm“, ist ein Stück freundliche Diskretion, die über diese Zeit gebreitet wird. Aber schon dieser Satz deutet ja an, dass Jesus erst zunehmen musste an Weisheit, dass sie also nicht von vornherein einfach so da war.
  4. Wir haben hier im Dom – eigentlich für gestern, das Fest des Hl. Märtyrers Stephanus, diese kleine Installation aufgebaut: die Krippe mit dem Jesuskind und davor ein paar bedrohliche Wackersteine, die an die Steinigung des Stephanus erinnern sollten. Krippe und Kreuz, das sanfte Stroh wie der harte, verletzende Stein; das Idyll von Weihnachten wie die brutale Härte diese Welt mit Verfolgung, Unterdrückung, Mord und Totschlag: beide Seiten gehören zusammen. Der Christus, der an Weihnachten geboren wird, wird in eine Welt hinein geboren, die eben weithin und oft nicht heile Welt ist. Und das gilt auch für unsere Familien.
  5. Nun will ich mir kein Urteil erlauben über Ihre Familien; aber ich komme ja selbst aus einer großen Familie, habe noch 5 Geschwister. Und so dankbar ich bin, dass wir in unserer Familie bis heute einen engen und guten Zusammenhalt haben und uns wirklich alle aufeinander verlassen können, so kann ich doch auch in aller Freimut sagen: natürlich sind in unserer Familie zuhause, als wir noch Kinder und Jugendliche waren, nicht selten auch die Fetzen geflogen. Natürlich gab es dauernd auch Krach und Eifersüchteleien. Natürlich endete auch bei uns manches Familienfest mit Tränen. Jedenfalls war unsere Familie gefühlt meilenweit entfernt von jenem süßlichen Idealbild der Heiligen Familie, dass dieses Nazarener-Motiv suggeriert. Und natürlich gehört auch zu unserer Familie, die mittlerweile ja noch viel größer geworden ist, das Leben in seiner ganzen Fülle, auch mit Brüchen, mit zerbrechenden Beziehungen, mit all dem, was eben menschliches Leben so ausmacht.
  6. Deshalb ist es meiner Meinung nach ein gründliches Missverständnis, wenn man meinen würde, das „leuchtende Vorbild“ der Heiligen Familie bestünde darin, dass Maria, Josef und das Jesuskind eine Familie ohne jeden Konflikt, ohne Brüche, Missverständnisse wären, ein Familie, in der den ganzen Tag nur alles wunderschön und rosarot und voller Liebe wäre. Nein, ich glaube: das macht ja gerade die Größe des Geheimnisses der Menschwerdung Gottes aus, dass er sich auch den Brüchen und Konflikten dieser Welt aussetzt. Der Hl. Paulus hat da in seinem Brief an die Kolosser ein wunderbar realistisches Bild von der Liebe: Liebe ist nicht einfach nur alles rosarot, Liebe ist ein bisweilen anstrengendes, herausforderndes und manchmal auch mühsames Projekt: Sie erfordert, so sagt Paulus, Ausdauer, Demut, Milde, Geduld. Es ist interessant, dass diese Lesung, wenigstens der erste Teil, also ohne das „Ihr Frauen, ordnet euch den Männern unter…“ und so fort, gern für Trauungen ausgewählt wird. Das liegt daran, dass man da nur einen Vers hört: „Bekleidet euch mit Liebe, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht!“ Aber die Verse, in denen Paulus deutlich macht, dass Liebe uns auch einiges abverlangt, werden dann schnell überhört: „Ertragt einander; und vergebt einander, wenn einer dem andern etwas vorzuwerfen hat!
  7. Ja, Liebe ist ein herausforderndes Projekt, ganz besonders innerhalb der Familie. Man ist eben nicht einfach „Heilige Familie“, sondern darum muss man ringen, sich immer wieder bemühen. Es erfordert Geduld miteinander, Demut, sich zurücknehmen können, vergeben können und um Vergebung bitten können. Und noch einmal: Ich glaube, dass auch die Heilige Familie darum immer wieder ringen musste. Gerade das ist das leuchtende Vorbild: dass Gott selbst Teil dieser Familie ist und wir uns an ihm orientieren können, was Geduld, Milde, Vergebung betrifft.
  8. Eigentlich schade, dass dieses große, so lebensnahe Wort des Apostels Paulus kaum wahrgenommen wird, weil sich alle Frauen empört nur aufregen über den Satz: „Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter“; und umgekehrt die Männer jubeln und ihren Frauen sagen: „Da hör‘ nur richtig hin!“ Klar, diese Worte spiegeln ein patriarchalisches Gesellschaftsbild, das unserem Verständnis von Gleichberechtigung nicht mehr entspricht. Aber Paulus meint alle diese Worte wechselseitig; heute würde er wahrscheinlich jedes Mal anfügen: „Das gilt auch umgekehrt“. Was er mit Unterordnung meint, ist ja nichts anderes als die Bereitschaft, sich selbst auch einmal zurückzunehmen; das gilt für Frauen wie für Männer, wenn Liebe funktionieren soll. Was er den Männern sagt: „Ihr Männer, liebt eure Frauen“, gilt doch für die Frauen umgekehrt genauso. Was er den Kindern sagen: „Gehorcht euren Eltern!“ gilt genauso umgekehrt: wie wichtig ist es, dass Eltern auch ihren Kindern zuhören, auf sie hören. Wenn wir das so verstehen, dann sind gerade die Worte des Paulus so lebensnah und das beste Rezept, wie das Projekt Liebe gelingen kann, in einer Familie und überhaupt. Und wie Familie zur „Heiligen Familie“ wird: nämlich indem wir so respektvoll miteinander umgehen, als ob uns im anderen: der Partnerin, dem Partner, den Kindern, den Eltern: Christus selbst begegnet.