- Sonntag, LJ B (2021) zu: Jona 3, 1-5.10
(Dom, 10:00 / 11:30 Uhr) Mk 1, 14-20
Martin Luther und Worms
- Da macht sich einer auf den Weg, in die große Stadt, wo sich die Mächtigen der Welt versammelt haben. Im Auftrag Gottes. Um ihnen zuzurufen: „Kehrt um! Der Weg, auf dem ihr geht, ist falsch und führt in den Abgrund! Ihr müsst etwas ändern!“ Einer gegen alle; ein kleiner, unbedeutender Mann, gegen die machtvolle große Stadt, gegen Kaiser und Reich. Am 10. Dezember waren es genau 500 Jahre, als Martin Luther in einem symbolischen Akt die päpstliche Bulle, in der er zum Widerruf seiner Thesen aufgefordert wurde und ihm der Bann und die Exkommunikation angedroht wurden, auf dem Marktplatz von Wittenberg verbrannt hatte. Die Antwort war am 3. Januar der päpstliche Bann und die Exkommunikation. Jetzt macht sich der so geächtete Mönch auf den Weg in die große Stadt, nach Worms, wo sich die Mächtigen des Reiches, alle Fürsten, Bischöfe, päpstliche Abgesandte versammelt haben, um ihnen zu sagen, wozu seine innerste Überzeugung, sein Gewissen ihn drängt: „Kehrt um!“
- Mich erinnert das sehr an Jona, von dem im Alten Testament die Rede ist: der kleine Prophet des kleinen unbedeutenden Volkes Israel, der sich in die damalige Hauptstadt der Welt, das mächtige Ninive aufmacht, um im Auftrag eines Gottes, den dort niemand kennt, zuzurufen: „Kehrt um, oder eure Stadt wird zerstört!“ Jona weiß, wie lächerlich dieses Vorhaben ist und wie aussichtslos. Er versucht sich zu drücken, zu fliehen. Auf einem Schiff, Hauptsache weit weg. Doch Gott lässt den, den er gepackt hat, nicht los. Als sich Jona in seiner Verzweiflung ins tosende Meer werfen lässt, schickt Gott den Fisch, lässt ihn vom Fisch verschlingen und an Land wieder ausspeien. Und schickt Jona neu auf den Weg. Und so verkündet er schließlich, wahrscheinlich mit zitternden Knien, die Umkehr und das nahen von Gottes Gericht. Am Südportal des Domes ist das eine meiner Lieblingsszenen: Wie Jona da im Maul des Fisches wie in einer Kanzel steht, ein Schriftband in der Hand als Symbol für die Botschaft, die er verkündet. Am Ende geschieht das Unglaubliche, das Volk geht in Sack und Asche, bekehrt sich, kehrt um. Und Gott verzeiht.
- Die Geschichte Luthers geht zunächst anders aus. Auch er steht, wahrscheinlich mit zitternden Knien, vor den Mächtigen. Bekommt, so wird es später zumindest dargestellt, eingeschüchtert kaum ein Wort heraus, erbittet sich Bedenkzeit, ringt mit sich eine Nacht lang. Und muss einen Tag später – das ist am 18. April vor 500 Jahren, erneut vor Kaiser und Fürsten und Bischöfen erscheinen, hier, nur wenige Schritte entfernt. Über Nacht aber hat er die Kraft erhalten, die nötige Gewissheit von Gott, um die Botschaft, von der er in seinem Gewissen fest überzeugt ist, dass es die Botschaft Gottes, die Botschaft des Evangeliums ist, zu bezeugen: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders!“ Er verweigert den Widerruf, mit Berufung auf sein Gewissen und mit Berufung auf die Heilige Schrift, das Wort Gottes, in dem sein Gewissen gebunden sei. Auch wenn der blutjunge Kaiser, ein ebenso frommer Mann, der sich genauso in seinem Gewissen von Gott gebunden weiß, nach nächtlichem Ringen zu einer anderen Überzeugung kommt und am Ende den päpstlichen Bann bestätigen und die Reichsacht über Luther verhängen wird, haben diese beide Episoden doch frappierende Parallelen. Jona ist am Ende unzufrieden und enttäuscht, weil sich das Volk von Ninive bekehrt, weil Gott sich erbarmen lässt und sein angedrohtes Gericht nicht über Ninive hereinbrechen lässt, weil er nun scheinbar als falscher Prophet dasteht. Luther ist bitter enttäuscht, dass er den Kaiser und die meisten der Mächtigen nicht überzeugen konnte. Zwar hat er sich bei vielen, wohl auch beim Kaiser, Respekt erworben, anders wäre nicht zu erklären, dass man noch tagelang verhandelte und Wege suchte, wie Luthers Leben geschützt werden konnte, ohne das der Kaiser sein Gesicht verliert. Und die Geschichte zeigt, dass Luthers Worte hier in Worms eine Wirkmächtigkeit hatten, die die Welt und die Christenheit nachhaltig und bis heute verändert und reformiert hat, die auch die katholische Kirche reformiert hat, wenn auch nicht so schnell, wie es sich manch einer erhofft hätte. Denn schließlich führt der Auftritt Luthers in Worms am Ende auch zum Trienter Konzil gut 40 Jahre später, in dem die katholische Kirche in weitreichenden Reformen viele der von Luther angeprangerten Missstände aufgreift. Wie die Worte Jonas in Ninive hatten auch die Worte Luthers hier in Worms eine Wirkmächtigkeit, die die Menschen, die die Kirche zu Umkehr und zu Reformen bewegt hat.
- Diese Wirkmächtigkeit aber haben die Worte nicht aus sich, sondern wo sie wahrhaft von Gott kommen. Nicht der heruntergekommene fremde Prophet hat die Menschen in Ninive beeindruckt, sondern dass sie in seinem Auftreten gespürt haben, da steht mehr dahinter. Durch diesen Menschen spricht Gott. Und nicht der abgerissene Mönch aus Wittenberg hat in Worms beeindruckt, sondern dass selbst der Kaiser und die Mächtigen spürten: hier steht einer ein für das, was er in seinem Gewissen als den Willen Gottes erkannt hat. In seinen Worten blitzt etwas vom Wort Gottes auf, von seinem Evangelium.
- Das Dumme ist, das dort, wo Gott sich der Menschen als Werkzeug und Sprachrohr bedient, immer auch die Menschlichkeiten mit hineinspielen. Davon war Jona nicht frei, der sich schmollend unter den Ginsterstrauch setzt, als Gott am Ende kein Feuer und Schwefel über Ninive regnen lässt; und davon war auch Luther nicht frei, der in seiner Enttäuschung immer unflätiger über Papst und Kaiser herzieht und dabei Gräben aufreißt statt Brücken für Gottes Botschaft zu bauen. Dass der Papst und die führenden Persönlichkeiten der katholischen Kirche damals Luther in diesen menschlichen Eitelkeiten in nichts nachstanden, will ich gar nicht verschweigen. Das ist die Tragik dieser Ereignisse von vor 500 Jahren: dass da auf beiden Seiten so viele Menschen waren, die eigentlich nichts anderes wollten als Gottes Willen zum Durchbruch zu verhelfen, die aber gleichzeitig so gefangen waren in ihren menschlichen Leidenschaften, Besserwissereien und Eitelkeiten. Ja, wir Menschen sind groß im Kaputtmachen, im Spalten und Zerstören. Am Ende aber kann nur Gott die Spaltungen und Brüche heilen, weil wir es nicht hinbekommen.
- „Kommt her, mir nach!“ so beruft Jesus heute im Evangelium die ersten Jünger. Wörtlich übersetzt steht dort: „Hinter mich!“ Wo wir Menschen uns mit unserem Willen durchsetzen wollen, wo wir vorne dran stehen wollen, siegen wollen, wo es letztlich um uns und unseren Willen geht, da geschieht Spaltung, da werden Gräben aufgerissen. Wo wir uns gemeinsam hinter Jesus versammeln, ihm nachfolgen, das wächst Einheit. Die Architektur des Domes ist für mich ein hervorragendes Bild für die Ökumene: der Dom hat zwei große Eingangsportale, die einander gegenüber liegen: das Südportal und das Kaiserportal im Norden. Es gibt unterschiedliche Zugangswege, unterschiedliche Wege und Weisen, um Gott zu begegnen, das ist für mich die Botschaft. Das Ziel von Ökumene ist ja nicht Uniformität, Gleichmacherei. Wichtig aber ist, dass wir uns, egal aus welcher Richtung wir kommen, welchen Zugang wir haben, gemeinsam ausrichten auf Jesus Christus. Sich hinter ihn rufen lassen, erfordert Demut, sich selbst zurücknehmen können. So wie der Dom nach Osten, zum Sonnenaufgang hin ausgerichtet ist, so sollen wir uns als Christen gemeinsam auf Jesus Christus hin ausrichten, der uns vorangeht. Je mehr uns das gelingt, je mehr wir uns gemeinsam hinter ihm versammeln, ihn vorausgehen lassen, umso mehr wird der Traum von einer versöhnten Christenheit, von Einheit in bunter Vielfalt, Wirklichkeit werden. „Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist.“ (Eph 4,5)