- Ostersonntag, LJ C (2022) zu: Offb 7,9.14b-17 & Joh 21, 1-19
PHILIPPS-WALLFAHRT 2022:
Gott führt uns aus der Bedrängnis zum Leben
- Philippo sit laus! Lob sei dem heiligen Philipp. So kündet es die Sequenz zur Wallfahrt des hl. Philipp von Zell in ihren 15 Strophen, die uns in einem über 500 Jahre alten Wallfahrtsbüchlein überliefert ist. Dabei ist die Verehrung des hl. Philipp von Zell noch sehr viel älter: die Vita wurde bereits rund 100 Jahre nach seinem Tod, um das Jahr 850 verfasst und bezeugt zahlreiche Wunder, die sich nicht nur zu seinen Lebzeiten, sondern auch nach seinem Tod an seinem Grab ereignet haben. Von da an gab es ganz offensichtlich eine Wallfahrt hier, später ein Stift mit einer bedeutenden Stiftskirche. Ein Zeitgenosse des heiligen Bonifatius war Philipp, wie er und viele andere aus England aufgebrochen, nach Rom, wo er zum Priester geweiht wurde. Während Bonifatius aber zum großen Bischof, Missionar, Organisator der deutschen Kirche wurde und nach seiner Rückkehr aus Rom sich in Mainz niederließ, war das Leben Philipps viel bescheidener, beschaulicher. Hier, im einsamen, wohl schon damals idyllischen und fruchtbaren Zellertal lässt er sich nieder, als Einsiedler, pflanzt einen wunderbaren Garten, schafft sich ein kleines Paradies. Aber schon bald kommen die Menschen zu ihm, spüren, dass von ihm eine Kraft ausströmt, die heilt, spüren, dass, wer ihm begegnet, mit der Leben schaffenden Kraft Gottes in Berührung kommt. Und das endet nicht mit seinem Tod, auch nach seinem Tod ereignen sich Wunder. Die Menschen pilgern zum Grab und erfahren Heil und Segen.
- Allerdings bleibt die Wallfahrt nicht einfach ungebrochen durch alle Jahrhunderte. Es ist ein Auf und Ab. Immer wieder geriet der Heilige in Vergessenheit, kam die Wallfahrt zum Erliegen. Mal waren es Kriege und Zerstörungen, mal einfach Gleichgültigkeit, die Reformation, und nicht zuletzt ganz wirtschaftliche Interessen, als man den Kirchenschatz und die Einkünfte des ehemaligen Stifts einfach nach Heidelberg übertrug und damit die dortige Universität finanzierte. Immer neu fierte die Wallfahrt Auferstehung, wurde der heilige Philipp dem Vergessen wieder entrissen – und mit jeder Wiederbelebung der Wallfahrt stellten sich prompt die Wunder ein: Kranke wurden geheilt, Blinde können wieder sehen, Lahme wieder gehen. Kinderlosen Ehen wird Kindersegen geschenkt.
- Ein eindrucksvolles Beispiel für dieses Phänomen ist das 10. Jahrhundert. Durch die kriegerischen Überfälle der Ungarn wurden Kloster und Kirche verwüstet. Die Magyaren, ein wildes Reitervolk aus dem Osten, versetzt im 10. Jahrhundert das christliche Abendland in Schrecken. Im Jahr 937 und noch einmal 954 dringen sie bis hierher vor, überschreiten bei Worms den Rhein und plündern und zerstören auch Zell, das Kloster und die Kirche. Alles lag in Trümmern. Bis Kaiser Otto II., so der Bericht über die Auffindung der Gebeine, im Jahr 976 „den Befehl oder eher ehrwürdigen Rat“ gab, das Kloster und Stift zu erneuern und nach den Gebeinen zu suchen. Heimlich, bei Nacht, wohl weil man sich gar nicht mehr sicher war, ob Philipp überhaupt gelebt habe, ob es sein Grab und seine Gebeine überhaupt gibt, lässt Abt Adalbert von Hornbach nach den Gebeinen graben und stößt schließlich auf das Grab. Noch in derselben Nacht ereignet sich das erste Wunder: im benachbarten Wachenheim wird eine gelähmte Magd geheilt, aus Niefernheim bringt eine Frau ihren taubstummen Sohn zum Grab und prompt kann er reden. Sofort, so heißt es in dem Bericht über die Auffindung seiner Gebeine, „begann der heilige Philipp, so als sei er aus einem tiefen Schlaf aufgewacht, in der Kraft Gottes neue Zeichen und Wunder zu wirken“.
- Immer mehr Menschen strömen zu seinem Grab. Man bittet in allen möglichen Anliegen: König Adolf von Nassau betet hier vor einer Schlacht um Kriegsglück – allerdings vergeblich. Er fällt in der Schlacht bei Göllheim. Nicht alle Wünsche werden erfüllt. Alle sieben Jahre, wenn die halbe Welt zur Heiltumswallfahrt nach Aachen pilgert, herrscht Ausnahmezustand im beschaulichen Zellertal. Und noch einmal erlebt die Wallfahrt einen Boom, als 1447 der kinderlose Kurfürst der Pfalz Ludwig (IV.) mit seiner Ehefrau Margarete von Savoyen zum Grab des Heiligen pilgert und sich prompt der ersehnte Thronfolger einstellt, der nach dem Heiligen „Philipp“ genannt wird. Das spricht sich herum, bis in den höchsten Kreisen. Fürsten und gewöhnliches Volk pilgern nach Zell und bitten um Nachwuchs. Ja selbst die Kaiserin Maria Bianca Sforza, Gemahlin Kaiser Maximilians, pilgert nicht weniger als viermal vom nahen Reichstag in Worms im Jahr 1495 nach Zell, allerdings vergebens: ihr bleibt der Kinderwunsch wie auch die Liebe ihres Gatten versagt. Wie häufig der Heilige aber gerade in diesem Anliegen geholfen haben muss, zeigt die Tatsache, dass zum vom Kurfürsten nach der Reformation eingezogenen Kirchenschatz mehr als 400 silberne Kinderlein gehörten, wohl Votivgaben dankbarer Eltern an den Heiligen.
- Nach der Reformation verfielen Stift und Kirche gänzlich, und wieder geriet der Heilige in Vergessenheit, bis der katholische Kurfürst die Universität Heidelberg verpflichte, eine neue Kirche zu bauen, die 1749 eingeweiht werden konnte. Seit 1780 fand, mit Erlaubnis des Bischöflichen Stuhls von Worms, dem die Heidelberger Universität unterstand, wieder eine Wallfahrt statt.
- Wie viele Menschen sind in diesen Jahrhunderten wohl hierher gepilgert? Welche Sorgen, Nöte, Hoffnungen trugen sie zum Grab des heiligen Philipp? Es ist fast ein wenig wie in der Lesung dieses Sonntags, in der Vision aus der Offenbarung des Johannes: eine unübersehbare Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen. „Es sind die, die aus der großen Bedrängnis kommen“, hört der Seher sagen. Ja, gerade in Zeiten der Bedrängnis, in Nöten, in verzweifelten Situationen kommen Menschen und erhoffen sich von Gott Hilfe. Denn, daran lassen die uralten Lebens- und Wunderbeschreibungen keinen Zweifel: es ist ja nicht der Heilige, der hilft, sondern es ist Gott durch den Heiligen. Es sind dieselben Wunder und Zeichen, die Jesus einst selbst gewirkt hat: Lahme, die wieder gehen, Blinde, die wieder sehen, Taube, die wieder hören und Stumme, die reden. „Wer an mich glaubt, wird die Zeichen, die ich getan habe, auch tun, und er wird noch größere tun, denn ich gehe zum Vater!“, sagt Jesus in den Abschiedsreden.
- Auch wir kommen heute „aus der großen Bedrängnis“. Die ganze Welt scheint aus den Fugen geraten zu sein. Durch die Pandemie konnte die Wallfahrt in den letzten beiden Jahren nur sehr bescheiden und mit großen Einschränkungen stattfinden. Mehr als 6 Millionen Menschen sind gestorben an dem Virus, und immer noch ist die Pandemie nicht überwunden. Der Umgang mit der Pandemie hat die Menschen in unserer Gesellschaft tief gespalten. Dazu jetzt der Krieg in der Ukraine: was wir nach Jahrzehnten des Friedens nicht mehr für möglich gehalten haben: Krieg mitten in Europa, Hundertausende auf der Flucht, zerstörte Städte, die Leichen in den Straßen von Butscha und anderswo. Der rasante und kaum noch aufzuhaltende Klimawandel – die große Flutkatastrophe an der Ahr ist ein Menetekel dieser globalen Bedrängnis, der sich die Menschheit gegenüber sieht. Und auch, wenn wir auf den Zustand unserer Kirche schauen: massenhafte Kirchenaustritte in Folge der Missbrauchsskandale, von Finanzskandalen, von Machtmissbrauch, angesichts der scheinbaren Unfähigkeit zu Reformen und Veränderung. Der Synodale Weg scheint in der Sackgasse, auch die Kirche tief gespalten, der Karren mächtig im Dreck. All diese Bedrängnisse tragen wir heute auch mit in diese Wallfahrt, vor den heiligen Philipp.
- Mich haben zwei Episoden aus der Vita und der Auffindung der Gebeine besonders beeindruckt, die uns vielleicht in unseren Bedrängnissen eine Perspektive, eine Hoffnung schenken können. Einmal: Es wird erzählt, dass Philipp, der hier über einem heidnischen Heiligtum zuerst eine kleine Kapelle zu Ehren des Erzengels Michael errichtet hatte, dann auch in Bockenheim über einem heidnischen Quellheiligtum eine Kirche zu Ehren des hl. Petrus erbaute. Unter ihrem Altar entsprang die Quelle. Die alte Kirche gibt es dort nicht mehr, aber ein Kapellchen an dieser Stelle. Die Quelle, so habe ich gelesen, sprudelt heute kaum noch. Sie ist fast versiegt. Vielleicht ein Bild des Zustandes der Kirche insgesamt, ein Bild für den Glauben in unserer Gesellschaft: ausgedörrt, vertrocknet. Aber eben nicht ganz versiegt! „Das Lamm in der Mitte vor dem Thron wird sie weiden und zu den Quellen führen, aus denen das Wasser des Lebens strömt!“ heißt es heute in der Lesung. Und: „Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen!“ Heute ist der Sonntag vom Guten Hirten. Christus ist das Lamm und der Hirte, der seine Herde auf satte, reiche Weiden führt, sagt die Bibel – der Garten des hl. Philipp kommt mir in den Sinn. Und der sie an den Quellen des Lebens tränkt. Das ist die große Verheißung, das Versprechen Gottes. An den Wundererzählungen um den hl. Philipp beeindruckt mich, dass die Menschen sich von ihrem Glauben an Gottes Kraft und Verheißung vom Leben nicht abbringen ließen, auch wenn nicht alle Hoffnungen sich erfüllt haben. Ein Heiliger ist ja nicht der Weihnachtsmann, der alle Wünsche erfüllt. Und doch bin ich sicher, dass alle, die in unterschiedlichen Bedrängnissen hier her kamen, verändert, gestärkt zurückkehrten. Voller Hoffnung. „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass alles gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht!“, hat einmal der ehemalige tschechische Präsident Vaclav Havel gesagt. Hoffnung bedeutet nicht, dass Gott uns alle Hindernisse und Herausforderungen wie so ein Superheld aus dem Weg räumt. Hoffnung ist das feste Vertrauen, dass Gott mit uns geht, in guten wie in schweren Stunden des Lebens, den Bedrängnissen. Dass er uns führt zu den Wassern des Lebens. Und selbst in Zeiten, in denen die Quelle vielleicht nur noch tröpfelt: Gott schenkt dem, der glaubt, die Gewissheit, dass sie nie ganz versiegt. Und, das zeigt ja die Wallfahrt hier: auch nach Zeiten der Dürre, als alles schon zu Ende schien, gab es immer wieder eine neue Blüte.
- Über viele Jahrhunderte hing an der alten Kirche hier ein uralter Holzkarren. Er erinnerte an ein anderes Wunder am Grab des Heiligen. Eine gelähmte Bettlerin wurde Tag für Tag von ihrem Mann auf diesem Karren zur Kirche gezogen und hier vor der Kirchentür zum Betteln abgelegt. Jahrelang hat sie hier den Heiligen vergeblich um Heilung gebeten. An einem Karsamstag, als in der Kirche der Gottesdienst gefeiert wurde, spürte sie auf einmal, wie vom Heiligen eine Kraft sich in ihre lahmen Glieder ergoss. Sie traute dem Wunder nicht so recht. Sie ließ sich von ihrem Mann wie jeden Tag in dem Karren nach Hause fahren und übte dann die ganze Nacht heimlich das Gehen, bis sie schließlich ohne Hilfe laufen konnte. Am nächsten Morgen trug die gelähmte Bettlerin bei der Osterprozession zum Staunen aller das Kreuz voran beim Einzug in die Kirche. Den Karren hängte man zum Zeugnis für dieses Wunder an den Eingang der Kirche.
- Ja, wir brauchen auch als Kirche jemanden, der uns den Karren aus dem Dreck zieht, denn allein schaffen wir es nicht. Es war, vermittelt durch den Heiligen, die Kraft des Auferstandenen, die diese Frau heilte und wieder selbstbewusst, aufrecht gehen ließ. Diese österliche Kraft möge auch die Kirche, möge uns alle erfüllen, durchdringen, dass wir wieder glaubwürdig und selbstbewusst, wie diese Frau, in der Welt für Christus und sein Kreuz Zeugnis geben können. Ich bin fest überzeugt, dass der Zeitpunkt kommt, an dem die lahmende Kirche den Karren an den Nagel hängen kann, an dem wir wieder aufrecht und selbstbewusst Gottes Frohe Botschaft in die Welt tragen. Wenn wir nur vertrauen, dass Gott mit uns geht. Wenn wir nur die alles lähmende Resignation, die Mutlosigkeit, die Streitereien um den richtigen Weg, die Hoffnungslosigkeit, die Unsicherheit, die Verzweiflung abschütteln, wenn wir uns durchdringen lassen von der Kraft, die von Christus her kommt, vom Leben, das von Ostern kommt. Möge der heilige Philipp uns dazu helfen. Amen.
FÜRBITTEN
Wallfahrt Hl. Philipp von Zell,
08.05.2022, 10.00 Uhr
Herr Jesus Christus, in Menschen wie dem hl. Philipp von Zell ist uns deine Menschenfreundlichkeit und Güte sichtbar geworden. Wir bitten dich:
# Für alle, die mit ihren Sorgen und Nöten hierher zur Wallfahrt kommen. Stärke ihren Glauben und festige ihre Hoffnung. Herr unser Gott –
# Für die Opfer von Gewalt, Terror und Unfriede auf der Welt: dass die Bereitschaft zur Versöhnung wächst. Wir beten besonders inständig um Frieden für die Menschen in der Ukraine. Herr unser Gott –
# Für alle Kranken: richte sie auf, lass sie im Blick auf dein Kreuz Heilung finden für Leib und Seele. Um eine Ende der Pandemie. Herr unser Gott –
# Für alle Ehepaare, die sich ein Kind wünschen, dass ihre Hoffnung sich erfüllt; und für unsere Familien: dass sie einander stärken und stützen. Herr unser Gott –
# Am Muttertag beten wir besonders auch für alle Frauen und Mütter, die sich mit Ausdauer, Liebe und Kraft ihren Aufgaben in Familie und Beruf widmen; wir beten für alle Familien, die ein Kind erwarten und für alle Frauen und Männer, die ihre Kinder allein erziehen. Herr unser Gott –
# Für unsere Kirche: dass sie sich notwendigen Veränderungen nicht verschließt; dass die Verantwortlichen, die Bischöfe und alle Getauften gemeinsam um die rechten Wege ringen und um einen Neuaufbruch im Glauben, in der Hoffnung und im Vertrauen auf die Kraft deiner Auferstehung. Herr unser Gott -
# Für unsere Verstorbenen: schenke ihnen die ewige Gemeinschaft mit Dir und all deinen Heiligen. Herr unser Gott –
Guter Gott, der heilige Einsiedler Philipp von Zell wurde zum Ratgeber für viele Menschen. Auf seine Fürbitte lass uns unsere Berufung in dieser Welt erkennen und hilf uns, ihr gerecht zu werden, durch Christus, unseren Herrn. Amen.