Der evangelisch Theologe Ernst Lange hat einmal den prägenden Satz gesagt: „Christen sind Menschen, die sich nicht von ihren schlechten Erfahrungen leiten lassen, sondern von ihren guten Erwartungen.“ - Ein Satz, der mir gefällt - gerade am Beginn eines neuen Jahres. Denn die Versuchung, sich von den schlechten Erfahrungen leiten zu lassen ist groß.
An schlechten Erfahrungen fehlt es den meisten nicht. Das Jahr 2024 war wieder reich an schlechten Erfahrungen: Noch immer tobt der Ukraine Krieg. Und im Nahen Osten ist auch kein Friede in Sicht. Die erneute Wahl von Trump zum amerikanischen Präsidenten erfüllt viele Menschen mit Sorge, nicht nur in Amerika. Diese Aufzählung lässt sich beliebig fortsetzen. Dazu kommen vielfältige schlechte Erfahrungen in unserem persönlichen Leben.
Die Frage ist darum nicht: Wie vermeide ich schlechte Erfahrungen? Die werden sich kaum vermeiden lassen. Die Frage ist vielmehr: Wie gehe ich mit meinen schlechten Erfahrungen um? Welche Macht gebe ich ihnen in meinem Leben? Setze ich die dunkle Brille meiner schlechten Erfahrungen auf und sehe alles nur noch schwarz? Blicke ich rückwärts auf das, was mich enttäuscht hat, was mich verletzt hat - und bekomme den Blick nicht mehr nach vorn, in die Zukunft?
„Christen sind Menschen, die sich nicht von ihren schlechten Erfahrungen leiten lassen, sondern von ihren guten Erwartungen“, schreibt Ernst Lange. Er setzt dunkler Vergangenheit helle Zukunft gegenüber: gute Erwartungen für eine gute Zukunft. Es ist notwendig für das Gelingen meines Lebens, dass ich gute Erwartungen habe; anders gesagt, dass ich ein Mensch der Hoffnung bin. Ein Mensch, der zuversichtlich in die Zukunft geht, dem gelingt vieles. Der gibt nicht so schnell auf. Er weiß, wofür er kämpft, wofür er durchhält. Die Zukunft gehört den Hoffenden. Sie sehen mit den Augen guter Erwartungen nach vorn. Und das, so Ernst Lange, ist Verpflichtung für den Christen.
Warum gerade für den Christen? Weil er seine Hoffnung nicht nur ein oberflächlicher Optimismus ist, nach dem Motto: „es wird schon irgendwie gut gehen“ Unsere Hoffnung hat einen Namen: Jesus Christus. An ihm machen wir unsere Hoffnung fest. Wer an Jesus Christus glaubt, dem erschließt sich Zukunft. Wer ihm glaubt, der gibt seinen guten Erwartungen den Vorrang vor seinen schlechten Erfahrungen. Es ist eine Erwartung, die Gott zutraut, dass er immer für eine Überraschung gut ist, dass er immer noch Möglichkeiten hat, wo ich mit meinem Latein am Ende bin.
Ich kann Ihnen, liebe Schw. u. Br., keine Garantie auf ein glückliches Leben geben, auch dann nicht, wenn Sie sich von Ihren guten Erwartungen leiten lassen. Dennoch möchte ich Sie in dieser Haltung bestärken. Denn jenseits von allem Gottesglauben: Es ist einfach zukunftsträchtiger, wenn wir uns von unseren guten Erwartungen leiten lassen. Schwarzseher gibt es zu viele, die mit Trauermiene immer nur das Unglück und das Misslingen herbeireden.
Unsere Welt braucht Menschen, die sich von ihren guten Erwartungen leiten lassen, nicht naiv, nicht blauäugig, sondern vertrauensvoll und mutig, realistisch und zuversichtlich. Menschen wie Abraham, Menschen wie Maria.
Abraham vertraut seinen guten Erwartungen. Auf Gottes Wort hin bricht er in ein unbekanntes Land auf und bekommt neuen Lebensraum geschenkt. Maria empfängt aus diesem Glauben die Kraft, Mutter des Herrn zu werden. Sie baut auf Gottes Treue und unerschöpfliche Möglichkeiten. Darum hat sie gute Erwartungen und geht ihren Weg in Hoffnung.
Unsere Welt braucht Menschen, die sich wie Abraham und Maria von ihren guten Erwartungen leiten lassen. Wie sagt Ernst Lange? - „Christen sind Menschen, die sich nicht von ihren schlechten Erfahrungen leiten lassen, sondern von ihren guten Erwartungen.“
Papst Franziskus hat an Heiligabend mit der Öffnung der Heiligen Pforte im Petersdom das Heilige Jahr 2025 offiziell eröffnet. Es steht unter dem Motto „Pilger der Hoffnung“. Es ist ein sogenanntes ordentliches Heiliges Jahr, das alle 25 Jahre stattfindet.
Grundlegende Elemente der Heiligen Jahre sind die Wallfahrt nach Rom und das Durchschreiten der Heiligen Pforten in den vier Patriarchalbasiliken (Petersdom, Santa Maria Maggiore, Sankt Paul vor den Mauern und Lateran). Das Heilige Jahr soll aber nicht nur in Rom begangen werden, sondern überall in der Weltkirche. Am letzten Sonntag, am Fest der Heiligen Familie, wurde in allen Kathedralen der Weltkirche, so auch im Mainzer Dom, das Heilige Jahr eröffnet.
Bei der Eröffnung des Heiligen Jahres sagte unser Bischof Peter Kohlgraf: „Auch im Bistum Mainz wollen wir uns auf den Weg machen, neue Wege beschreiten und uns mit Zuversicht den Herausforderungen unserer Zeit stellen… Lassen Sie uns dieses besondere Jahr zusammen gestalten. Werden wir Pilgerinnen und Pilger der Hoffnung – für uns selbst, füreinander und für eine Welt, die neue Wege braucht.“
Ich wünsche Ihnen und mir, dass wir uns im neuen Jahr 2025 von unseren guten Erwartungen leiten lassen und so Pilger der Hoffnung werden.
A m e n