Sophia hat gelogen

Tante

„Als ich so alt war wie ihr jetzt, bin ich nur sehr ungern in die Schule gegangen. Ich glaube, ich war einfach faul. Aber ich erinnere mich sehr gut, als ich zwölf Jahre alt war und mich damals in ein Lügennetz verstrickt hatte. Angefangen hat es auch mit einer schlechten Arbeit. Ich hatte Angst, dass ich zu Hause bleiben und lernen müsste, wenn es mein Vater erfährt.“ „Das kenne ich!“, unterbricht Martin. „Dann kannst du sicher auch verstehen,“, sagt Tante Sophia, „dass ich das Heft einfach verschwinden ließ und die schlechte Note verschwieg.“ „Und dein Papa hat nichts gemerkt?“, fragt Martina. „Nein“, antwortet die Tante.

„Und dann kam die nächste Arbeit. Die fiel noch schlechter aus. Wieder beichtete ich die schlechte Note nicht zu Hause. Als mein Vater mich nach einiger Zeit nach den Arbeiten fragte, erfand ich irgendwelche Ausreden. „Ich habe das Heft ist in der Schule vergessen“, sagte ich oder „Es wurde eingesammelt, um zu kontrollieren, wer die Verbesserungen gemacht hat.“

„Das war ja ganz schön mutig“, sagt Martin. „Mutig war das eigentlich nicht“, antwortet Tante Sophia, „Ich hatte dabei ein ziemlich schlechtes Gewissen. Aber mein Vater gab sich eine ganze Weile mit den Ausreden zufrieden, bis eines Tags ein Brief eintraf. Mein Vater nahm ihn mit in sein Arbeitszimmer. Wenig später öffnete er die Tür und sagte ganz ruhig zu mir: „Sophia, komm doch mal herein.“ „Hast du da nicht Angst gehabt?“, fragt Martina dazwischen. „Und wie ich Angst hatte, mir klopfte das Herz bis zum Hals – ich wusste ja, dass ich gelogen hatte“, antwortete Tante Sophia. „Ich sah den Brief auf dem Schreibtisch liegen und erkannte sofort die Schrift meines Klassenlehrers. Mein Vater gab mir den Brief zu lesen. Es waren nur zwei Zeilen, in denen er zu einem Gespräch in die Schule gebeten wurde. „Komm setzt dich“, sagte mein Vater, „erzähl mir was los ist.“ Da konnte ich nicht mehr länger alles verschweigen. Es brach aus mir heraus. Ich erzählte alles.“

Sophia macht eine kleine Pause und erzählt dann weiter: „Ich war über mich selbst erschrocken: Was ich alles erzählt habe! Aber gleichzeitig war ich erleichtert, dass jetzt alles ausgesprochen war. Mein Vater hörte sich alles in Ruhe an und schaute mich sehr traurig an. Er sagt zu mir nur: „Du kannst jetzt gehen.“

Autor(en): Wolfgang Fischer