Es ist Donnerstag, Viertel vor zwölf. Die Schule ist aus. Martina hatte gerade Religionsunterricht. Noch voll von ihren Eindrücken trifft sie Martin und erzählt ihm stolz: „Wir haben heute in Reli die Priesterweihe durchgenommen.“ „Ja und, ist doch langweilig“, antwortet ihr Martin. „Eigentlich schon, aber Herr Kaiser hat es nur wegen mir gemacht, du weißt schon... Onkel Daniel...“ Martin unterbricht sie: „Weil dein Onkel Daniel zum Priester geweiht wird – da will ich eigentlich gar nicht hingehen.“ „Ich wollte ja auch nicht hingehen, aber jetzt bin ich ganz schön neugierig. Ich kann mir vorstellen, wie das Ganze abläuft. Herr Kaiser hat es uns erzählt, aber so richtig verstanden habe ich es, ehrlich gesagt, noch nicht.“
Eine Woche später, am Samstag um Viertel vor neun klingelt Tante Sophia bei Martina und will sie abholen. „Hallo Martina, du wolltest doch mit zur Priesterweihe von Onkel Daniel!“, begrüßt sie Martina. „Hallo Tante Sophia, ja ich bin schon fertig. Wir müssen noch bei Martin vorbeigehen, der will auch mit“, antwortet Martina. Tante Sophia ist einverstanden. „Aber wir müssen uns beeilen, damit wir einen guten Platz bekommen.“ Die beiden laufen los und holen Martin ab, der schon vor der Haustür auf sie wartet.
Als sie zu dritt in der Kirche ankommen, sind schon viele Leute da. Sie finden gerade noch einen Platz in einer Bank und kurz darauf läutet eine Glocke an der Sakristei. Alle stehen auf und die Messdiener, die Weihekandidaten, viele Pfarrer und der Bischof ziehen feierlich in die Kirche ein. Als Onkel Daniel in seinem weißen Gewand vorbeikommt, können Martin und Martina ihn kaum sehen. Der Gottesdienst beginnt wie immer mit Liedern und Gebeten. Aber dann steht ein Diakon auf und bittet Onkel Daniel und die anderen Kandidaten, vor den Bischof zu treten. Martin und Martina schauen gespannt nach vorne. Tante Sophia flüstert Martina ins Ohr: „Das ist noch nicht die Priesterweihe, das ist erst die Vorstellung der Kandidaten.“ Martina erinnert sich an den Religionsunterricht: „Das weiß ich. Herr Kaiser hat uns gesagt, dass die Priesterweihe erst nach dem Evangelium und der Predigt kommt.“ Martin kann es kaum erwarten.
Endlich ist es so weit. Der Bischof hat gepredigt. Er setzt seine hohe Bischofsmütze, die Mitra, auf und stellt dann den Kandidaten, die geweiht werden sollen, eine Reihe Fragen: Ob sie bereit sind, gemeinsam für die Gemeinde zu beten, ob sie bereit sind, den Armen beizustehen, ob sie bereit sind, die Sakramente zu feiern und, und, und. „Warum müssen die so viele Fragen beantworten?“, will Martin wissen. „Kann er sie nicht einfach fragen, ob sie Priester werden wollen?“ „Ja, das könnte er“, antwortet Tante Sophia, „aber der priesterliche Dienst ist nicht einfach. Deshalb will der Bischof genau wissen, ob die Weihekandidaten tatsächlich bereit sind, das zu tun, was Jesus von ihnen verlangt.“
Während Tante Sophia den beiden den Sinn der Fragen erklärt, legen sich die Weihekandidaten plötzlich ausgestreckt auf den Boden. Martin erschrickt: „Ist denen schlecht?“ „Warum legen sich die Kandidaten alle auf den Boden?“, fragt er eingeschüchtert. „Nein, ihnen ist nicht schlecht“, beruhigt Tante Sophia. „Sie legen sich auf den Boden, weil sie erkannt haben, dass das die Haltung ist, die sie vor Gott einnehmen. Jeder Kandidat weiß, dass er ohne die Hilfe Gottes nichts kann. Vor Gott macht er sich deshalb ganz klein, damit Gott durch ihn wirken kann.“ „Gott kann doch immer wirken,“ wundert sich Martina, „warum muss Onkel Daniel sich da klein machen?“ „Du hast recht“, antwortet Tante Sophia, „aber es ist ja auch nur als Zeichen gemeint. Die Kandidaten erinnern sich und uns daran, dass Jesus selbst gedient hat und gerade dadurch seine Macht gezeigt hat. Er war der Größte, weil er sich ganz klein gemacht hat. Und das soll auch der Priester tun.“ „Aha, und weil es nur als Zeichen gedacht ist, dürfen sie auch wieder aufstehen“, hat Martina verstanden. „Das mit dem Dienen ist ja ganz schön schwer“, überlegt Martin laut. „Deshalb bitten die Menschen auch um Gottes Beistand und rufen alle Heiligen an, sie sollen Gott ebenfalls um seinen Beistand bitten,“ antwortet Tante Sophia. „Erst danach weiht der Bischof die Kandidaten für das Priesteramt.“ Jetzt ruft die Gemeinde in einem langen Wechselgesang, der Litanei, mit dem Vorsänger die Heiligen an und bittet sie, dass sie den Kandidaten beistehen.
Nach der Litanei und den Fürbitten legt der Bischof jedem einzelnen Kandidaten die Hände auf. Dann stimmt er das Weihegebet an. Obwohl es ziemlich lange dauert, schauen Martin und Martina gespannt zu. „Ist dein Onkel Daniel jetzt Priester?“, fragt Martin nach, nachdem der Bischof das Weihegebet beendet hat und die Kandidaten an ihre Plätze zurückgekehrt sind.
„Ja, das Wesentliche der Priesterweihe ist jetzt vorbei“, antwortet Tante Sophia, „aber zur Bekräftigung der Weihe erhalten Onkel Daniel und die anderen jetzt noch die priesterlichen Gewänder und später auch eine Hostienschale und einen Kelch.“ „Ich weiß warum“, sagt Martina, „das habe ich mir gemerkt von Herrn Kaiser. Die Hostienschale und den Kelch braucht er zum Messefeiern.“ „Bevor er den Kelch und die Hostienschale überreicht bekommt, passiert noch etwas. Passt gut auf!“ macht Tante Sophia sie aufmerksam. „Ich weiß das“, antwortet Martina stolz, „Da werden die Handflächen gesalbt, das ist ein Zeichen für seinen priesterlichen Dienst.“ „Du hast gut aufgepasst im Religionsunterricht“, sagt Tante Sophia. Als ganz am Schluss der Priesterweihe zuerst der Bischof und dann alle anwesenden Priester Onkel Daniel und die anderen Neupriester umarmen, findet Martin: „Das sind ja Freunde, echt cool.“ „Ja, sie üben gemeinsam den priesterlichen Dienst in unserem Bistum aus“, sagt Tante Sophia, „da muss man schon zusammenhalten.“
Nach der Messe kommt Onkel Daniel auf die drei zu und fragt sie: „Kommt ihr mit zum Empfang?“ Da ist Martin ganz stolz. „Kann ich da auch den Bischof sehen?“, fragt er. „Mal sehen, ob er es bei so vielen Leuten schafft, dass er auch zu euch kommt“, antwortet Onkel Daniel. Und tatsächlich kommt der Bischof und begrüßt Martin, Martina und Tante Sophie. Martina guckt Daniel an: „Fühlst du dich jetzt anders?“, will sie wissen. Onkel Daniel lächelt: „Im Moment freue ich mich einfach, dass ich jetzt den Beruf habe, den ich haben wollte. Ich bin aber immer noch der Daniel, den du kennst, wenn du das meinst.“ „Das ist prima. Ich freu mich mit dir!“, antwortet Martina und gemeinsam mit Martin und Tante Sophia gehen alle zum Platz vor der Kirche um noch ein bisschen zu feiern.
Autor(en): Wolfgang Fischer