Ganze Geschichte

Die Kirche als Regenunterstand

„Endlich sind Sommerferien," denkt Martina. Sie hat sich sehr darauf gefreut. Sie packt ihre Badesachen ein und geht mit ihrem Freund Martin ins Schwimmbad. Schwimmen, rutschen, tauchen, mal vom Drei-Meter-Brett springen, mal herum tollen, die Zeit vergeht wie im Fluge. Am Nachmittag kommen Wolken auf. „Komm, wir ziehen uns schnell an“, ruft Martina Martin zu. „Vielleicht schaffen wir es noch vor dem Regen, nach Hause zu kommen.“ Kaum sind sie auf dem Heimweg, fängt es plötzlich an, stark zu regnen. Es blitzt und donnert. Martin hat Angst. „Dort drüben ist eine Kirche“, sagt er, „da können wir uns unterstellen“. Weil der Regen nicht enden will, gehen sie in die Kirche hinein und schauen sich neugierig um.

 

Weihwasserbecken, Asperges, Aspergill

Welch ein Zufall! In der Kirche treffen die beiden Tante Sophia. „Was macht denn ihr hier?“ fragt Tante Sophia. „Wir warten, bis der Regen aufhört.“ „Das kann schon noch eine Weile dauern“, gibt Tante Sophia zur Antwort. „Dann schauen wir uns die Kirche an“, sagt Martina. Martin geht neugierig mit. Das erste, was ihm auffällt, ist ein großes Becken mit Wasser im Eingangsbereich. „Waschen sich darin die Leute die Hände?“, fragt Martin, der nur selten in die Kirche geht. „Nein“, erklärt ihm Tante Sophia, „das ist ein Weihwasserbecken. Die Leute tauchen die Finger ein und bekreuzigen sich mit dem Wasser.“ „Warum machen sie das?“ ,will Martin wissen. „Die Menschen erinnern sich mit dem Wasser und der Bekreuzigung an ihre Taufe. Deshalb nimmt man auch kein gewöhnliches Wasser, sondern Weihwasser.“ „Aber dann wird man doch nicht getauft?“, fragt Martin nach. „Nein“, sagt Tante Sophia, „getauft wird man nur einmal, aber sich an die Taufe erinnern, das kann man viele Male. Das ist auch gut so, denn wenn man in der Taufe Christ wird, hat man einen weiten Weg vor sich, auch als Christ zu leben.“ „Erinnern sich wirklich alle daran, die in das Weihwasserbecken fassen?“ zweifelt Martina. „Nicht alle, häufig geschieht es auch in Gedankenlosigkeit, aber der Sinn jedenfalls ist es. Und weil die Taufe so wichtig ist, macht man sogar im Gottesdienst gelegentlich ein Taufgedächtnis.“

 

„Was ist das?, will Martina wissen.“ „Du hast das sicher schon erlebt, ohne dass du es gewusst hast“, sagt Tante Sophia. „Daran kann ich mich nicht erinnern“, schüttelt Martina den Kopf. Sie schaut ganz nachdenklich. Wo soll es denn ein Taufgedächtnis gegeben haben? „Bei jedem Asperges“, rutscht es Tante Sophia heraus. „Bei was für einem Ding?“, fragt Martin. „Asperges ist der Fachausdruck für die Besprengung mit Weihwasser und der Wedel, mit dem meist der Priester die Gläubigen besprengt, heißt Aspergill“, erklärt Tante Sophia. „Da muss man zuerst einmal draufkommen,“ sagt Martina, „dass man an die Taufe erinnert wird, wenn der Priester Weihwasser verspritzt.“

 

Opferstock

Martin und Martina gehen weiter und kommen an einem Kästchen vorbei, in das man Geld einwerfen kann. „Ist das die Kasse für das Eintrittsgeld in die Kirche?“, fragt Martin. „Aber Martin, du musst doch keinen Eintritt für den Gottesdienst bezahlen“, klärt ihn Martina auf. „Wenn die Leute etwas hinein werfen, machen sie es freiwillig.“ „Die Leute geben das Geld für die Armen und den Unterhalt der Gemeinde, erklärt Tante Sophia den beiden. „Sie opfern etwas für die, die bedürftig sind. Deshalb heißt diese Kasse auch Opferstock.“ „Wenn ich also arm bin“, flüstert Martin halblaut vor sich hin, „dann brauche ich nichts einzuwerfen?“ „Die Geldspende ist immer freiwillig“, sagt Tante Sophia, „doch Christen tragen auch für andere Christen Verantwortung. Damit auch die Armen leben können, gibt man das Geld“. „Ist das Geld immer für die Armen bestimmt?“, fragt Martina nach. „Nicht immer, ein Teil des gespendeten Geldes wird auch für den Erhalt der Kirche, für Kerzen und so weiter verwendet. Aber ein Teil ist für die Armen.“

 

Kreuz und Taube

Tante Sophia hat schon viel erklärt. Jetzt dreht sie auf einmal den Spieß um und fragt die Kinder: „Könnt ihr euch vorstellen, warum im Altarraum ein großes Kreuz steht?“ „Ja klar.“ Martin ist ganz stolz: „Das ist ein Zeichen für die Christen. Weil Jesus gekreuzigt worden ist, stellen sie es auf.“ „Das war ja leicht“, gibt Martina zur Antwort. „Dann stell ich,“ sagt Tante Sophia, „einmal eine schwere Frage: „Schaut mal auf das Fenster an der Wand. Da seht ihr in der Mitte einen Mann, der im Wasser steht, ein anderer gießt gerade Wasser über seinen Kopf. Und über den beiden ist eine Taube zu sehen. Wisst ihr, warum die Taube abgebildet ist?“ Martin und Martina überlegen. „Das ist doch eine Taufe“, sagt Martina. „Aber was für eine Taube das ist, weiß ich nicht“. „Du liegst richtig,“ bemerkt Tante Sophia, „das ist tatsächlich eine Taufszene, die Taufe Jesu im Jordan. Und die Taube ist ein Symbol für den, der bei jeder Taufe mit dabei ist: Der Hl. Geist. Die Menschen haben schon im Altertum die Taube als Symbol für den Hl. Geist gewählt.“

 

Taube und Friede

„Warum gerade die Taube?“, fragt Martin neugierig. „Ich erkläre es mir so „Die Taube ist ein ganz besonderer Vogel. Von jedem Ort aus findet sie wieder zurück zu ihrem Ursprungsort.“ „Ja, deswegen benutzt man sie als Brieftauben“, wirft Martin ein. „Der innere Kompass sagt der Taube immer, wohin sie fliegen muss, um zu ihrem Schlag zu finden.“, fährt Tante Sophia fort. „Wer seinen Ursprungsort gefunden hat, ist zuhause. Wo jemand zuhause ist, wo man Freunde kennt, wo man sich wohl fühlt, da herrscht Frieden.“ „Dann müsste die Taube doch ein Zeichen für den Frieden sein“, wendet Martin ein. „Ja , das ist sie auch. Außerhalb der Kirche, da steht die Taube für den Frieden.“ „Wie, die Taube ist der Heilige Geist und der Frieden?“ Martin wundert sich. „Das sind ja zwei ganz verschiedene Dinge.“ „Du hast recht, Martin“, sagt Tante Sophia, „aber ich erkläre es mir folgendermaßen: „Wenn Menschen den Heiligen Geist gefunden haben, dann leben sie so glücklich und zufrieden wie eine Taube, die ihren Schlag findet. Dann sind sie in Frieden mit sich und den anderen.“ „Ist ja spannend“, sagt Martina.

 

Glocke

Martin wird nachdenklich. Er schaut sich um, stellt aber keine Fragen mehr. Erst als er vorne im Altarraum die Glocke an der Wand sieht, will er wissen, warum sie da neben der Sakristeitür hängt. „Die Glocke läutet immer am Beginn des Gottesdienstes“, weiß Tante Sophia. „Dann stehen die Leute auf und wissen, dass es jetzt los geht.“ „Das ist ja wie bei der Olympiade, wenn vor dem 100 Meter Lauf in die Luft geschossen wird“, erklärt es sich Martin. „Nur dass es beim 100 Meter Lauf eine Pistole ist, und hier ist es eben eine Glocke“, sagt Martina. „Wie die großen Glocken auf dem Turm, ist die kleine Glocke an der Sakristeitür ein Signal, das die Menschen immer wieder daran erinnert, dass jetzt der Gottesdienst losgeht oder dass sie sich zum Gebet versammeln sollen“, erklärt Tante Sophia den beiden.

„Können wir nicht einmal klingeln“, fragt Martin und zieht schon an dem Seil bevor Tante Sophia antworten kann. „Das war jetzt das Zeichen, dass wir nach Hause gehen“, sagt er. Tante Sophia schmunzelt, sagt aber nichts. „Gut, dann schauen wir, ob es noch regnet“. Ab und zu kommt zwar noch ein Tropfen herunter, aber „das ist gut für das Wachstum“, sagt Tante Sophia und begibt sich mit den beiden auf den Heimweg.

Autor(en): Wolfgang Fischer