Der Kerzenladen
Es klingelt an der Tür. Martina ruft „Ich mach auf!“ und rennt zur Haustür. Ihr Freund Martin steht davor und fragt, ob sie mit nach draußen kommt und eine Runde Fahrrad fährt. Martina fragt ihre Mutter: „Darf ich mit Martin Fahrrad fahren gehen?“ „Ja, darfst du“, erlaubt die Mutter. „Aber du könntest mir einen Gefallen tun. Sei doch so nett und fahr mit Martin zu dem Kerzenladen wo wir letzte Woche waren und kaufe zwei rote Grablichte.“ „Ja, ist gut“, antwortet Martina. Gemeinsam mit Martin macht sie sich auf den Weg.
Martina mag den Kerzenladen, dort riecht es so gut nach Bienenwachs und die Verkäuferin ist immer so nett. Als die beiden ankommen, geht gerade Tante Sophia in den Laden. Die beiden laufen hinter ihr her. „Hallo, Tante Sophia!“ ruft Martin. „Hallo ihr beiden!“ grüßt Tante Sophia, „Was macht ihr denn hier?“ Martina erklärt, dass sie zwei Grablichte haben möchten. „Oh, einen Moment bitte“, entschuldigt sich die Verkäuferin, „ich glaube, die sind noch im Lager. Ich muss sie erst holen. Wenn ihr wollt, könnt ihr mitkommen“, lädt sie die beiden ein.
Martin und Martina sind neugierig und gehen hinter der Frau her.
Die Kerzenwerkstatt
Im Hof hinter dem Laden ist der Lagerraum und die Werkstatt, in der die Kerzen hergestellt werden. „Wenn ihr wollt, könnt ihr euch eine Weile umschauen. Ich muss die Kerzen für euch erst holen. In der Zwischenzeit erklärt Herr Schmitt euch gerne alles.“ Herr Schmitt war gerade dabei, eine lange Liste mit Bestellungen zu kontrollieren. Jetzt drehte er sich um und wendet sich an Martin und Martina. „Wart ihr schon mal in einer Kerzenwerkstatt?“ fragt er die beiden. Martin und Martina schütteln den Kopf. „Na, dann kommt mal näher“, lädt Herr Schmitt sie ein. „Die Maschinen für die Kerzen stehen dort hinten. Wir stellen hier nur Kerzen für die Kirche her. Dabei gelten besondere Regeln. Die Kerzen müssen zu einem bestimmten Teil aus echtem Bienenwachs bestehen und sind eigentlich immer weiß. Wie das genau funktioniert, kann ich euch jetzt leider nicht zeigen, denn heute arbeiten die Maschinen nicht.
Viele verschiedene Kerzen
Tante Sophia kommt auch aus dem Laden in die Werkstatt. „Ich wollte mal sehen, wo ihr bleibt“ sagt sie und begrüßt Herrn Schmitt. Dann schaut sie sich um und staunt: „Habt ihr schon mal so viele verschiedene Kerzen gesehen?“ Martin und Martina schütteln den Kopf. „Braucht man die alle im Gottesdienst?“ will Martin wissen. „In gewisser Weise schon, aber nicht alle gleichzeitig“, erklärt Tante Sophia. „Da gibt es die Altarkerzen, die brennen bei jedem Gottesdienst. Aber die kleinen Kerzen, die die Leute vor dem Marienbild aufstellen, die brennen unabhängig vom Gottesdienst – meistens auch über Nacht.“
Osterkerze und Taufkerze
„Aber was ist mit den ganz großen und dicken Kerzen da hinten?“ will Martina wissen und zeigt auf ein paar Kerzen die fast so groß sind wie sie selbst. „Das sind Osterkerzen“, erklärt Tante Sophia, „das ist eine ganz besondere Sorte Kerzen. In jeder Kirche gibt es nur eine einzige davon. Sie wird in der Osternacht feierlich gesegnet und steht bis zum nächsten Osterfest auf einem besonderen Ständer erst in der Nähe des Altars, später dann meist beim Taufstein.“ „Und was bedeuten die Buchstaben und Zahlen auf der Osterkerze – und da sind auch so rote Stöpsel reingesteckt“, wundert sich Martina. „Die ‚roten Stöpsel’ sind ein Symbol für die Nägel mit denen Jesus Christus ans Kreuz genagelt wurde. Die Osterkerze ist ein Zeichen dafür, dass Jesus den Tod besiegt hat. Er hat das Licht in die Welt gebracht und die Dunkelheit des ewigen Todes vertrieben. Deshalb ist die Kerze immer weiß und deshalb wird sie in der Osternacht in die vollkommen dunkle Kirche getragen.“ „Und was bedeuten die Buchstaben und Zahlen?“ will Martin ungeduldig wissen. „Die Zahlen sind die Jahreszahlen von dem Jahr, in dem die Osterkerze an Ostern gesegnet wird. Das A (Alpha) ist der erste Buchstabe des griechischen Alphabets und das W (Omega) der letzte. Das soll ein Zeichen dafür sein, dass Christus der Anfang und das Ende von allem ist. Deshalb brennt auch die Osterkerze bei den Totenmessen und bei der Taufe wird die Taufkerze an der Osterkerze angezündet.“
„Taufkerzen gibt’s hier auch!“ ruft Martin. „Dort auf dem Tisch liegen welche!“ „Ja, stimmt. Woran hast du erkannt, dass das Taufkerzen sind?“ fragt Tante Sophia. „Ich hab mich an die Taufe erinnert, die wir neulich gesehen haben“, antwortet Martin, „außerdem steht ein Name drauf und es sind Wasserwellen als Verzierung drauf.“ „Aber was bedeutet das P mit dem X davor?“ will Martina wissen. „Das sind wieder griechische Buchstaben“, erklärt Tante Sophia. „Das „X“ ist ein „Ch“ und „P“ ist ein griechisches „R“. Zusammen sind das die Anfangsbuchstaben von „Christos“ also griechisch für Christus. Auf der Taufkerze stehen sie, weil Christus das Licht der Welt ist und eben auch das Leben des Neugetauften erleuchten soll. – So gesehen, ist die Taufkerze eine kleine Schwester der Osterkerze.“
Wozu sind Grablichte da?
In diesem Moment kommt die Verkäuferin in die Werkstatt. „Ach, hier seid ihr – ich habe die Grablichte nach vorne in den Laden gebracht. Wenn du willst, Martina, kannst du sie jetzt mitnehmen.“
Martina nickt. Sie und Martin verabschieden sich von Herrn Schmitt und gehen mit Tante Sophia in den Laden zurück.
„Wozu sind Grablichte eigentlich gut?“ will Martina wissen. Tante Sophia überlegt einen Moment und antwortet dann: „Grablichte haben – wie alle Kerzen in der Kirche – den Sinn, dass sie uns daran erinnern sollen, dass Jesus Christus das Licht der Welt ist und auch unsere dunklen Stunden hell machen kann. Den Brauch, Kerzen auf die Gräber zu stellen, gibt es schon viele hundert Jahre lang. Die Menschen drücken damit aus, dass sie an die Verstorbenen denken. Auch wenn sie wieder nach Hause gegangen sind, denn die Kerze brennt ja dann immer noch weiter.“
„So ist das auch mit den Kerzen vor dem Marienbild in der Kirche!“ überlegt Martina laut. „Richtig. Wir zünden manchmal eine Kerze an, wenn wir ein besonderes Gebet für jemanden sprechen. Vielleicht, weil es in seinem Leben gerade dunkel ist und wir wollen, dass es wieder hell für ihn wird. Oder weil wir für etwas besonders dankbar sind und das dadurch ausdrücken wollen, dass die kleine Kerze lange brennt“, ergänzt Tante Sophia.
„Und was ist mit dem Grablicht neben dem Tabernakel, wo die geweihten Hostien drin sind?“ will Martin wissen. Tante Sophia lächelt: „Du meinst das „ewige Licht“. Das ist kein Grablicht, auch wenn es in manchen Kirchen ein bisschen so aussieht. Viele sagen, dass es eine rote Lampe ist, weil Jesus sein Blut am Kreuz für uns vergossen hat. Es brennt immer – als Zeichen dafür, dass Gott immer bei uns ist.“
Kerzen sind nicht nur feierlich
Martin und Martina bezahlen die Grablichte und machen sich auf den Heimweg. Auf dem Weg überlegt Martina laut „Ich wusste gar nicht, dass es so viele verschiedene Kerzen gibt.“ „Ja, ich auch nicht“, antwortet Martin nachdenklich, „aber jetzt ist mir sozusagen ein Licht aufgegangen: Ich verstehe jetzt, dass eigentlich alle Kerzen das gleiche bedeuten – auch die Hochzeitskerzen die wir gesehen haben und die anderen Kerzen mit Symbolen drauf: Sie erinnern uns daran, dass Gott immer bei uns ist und dass er will, dass wir ein helles und freundliches Leben mit viel Wärme haben.“ Martina nickt: „Stimmt. – Die Kerzen in der Kirche sind also nicht nur einfach hübscher als Glühbirnen, sondern sagen uns auch etwas.“ „Hmm, du hast Recht“, stimmt Martin zu. „Und wenn du mal so nachdenkst, wann wir besonders gerne Kerzen anzünden, dann fallen dir bestimmt noch ein paar Feste ein – und fast alle haben was mit Jesus zu tun: Weihnachten, zum Beispiel...“
Autor(en): Eva Reuter